Unser Gast heute ist Tobias Scheidacker. Er ist Notar in Berlin, Fachanwalt für Miet-und Wohnungseigentumsrecht und Partner der Kanzlei IKB Fachanwälte. Mit ihm sprechen wir über die Funktion des Notars beim Immobilienkauf.
Herr Scheidacker, herzlich willkommen. Wir freuen uns sehr, dass Sie heute die Zeit gefunden haben, zu uns zu kommen.
Tobias Scheidacker: Schönen guten Tag.
Herr Scheidacker, Sie sind seit nunmehr 20 Jahren Immobilienanwalt. Vor drei Jahren haben Sie sich entschieden, Notar zu werden, und haben das dritte juristische Staatsexamen absolviert. Jeder, der sich damit auskennt, weiß, dass das eine ganz schön harte Angelegenheit ist und selbst für gestandene Juristen eine Herausforderung bedeutet. Seit einiger Zeit sind Sie nun also neben Ihrer Tätigkeit als Anwalt auch als Notar zugelassen. Erst einmal dazu: Herzlichen Glückwunsch!
Tobias Scheidacker: Danke!
Lassen Sie uns ein klein wenig über die Position des Notars sprechen. Was reizt Sie denn an dieser Tätigkeit?
Tobias Scheidacker: Das hat im Wesentlichen drei Gründe. Ich würde sagen, zwei organisatorische und einen inhaltlichen. Die organisatorischen sind, dass ich als Anwalt nicht die Hoheit über meinen Kalender habe. Die Gerichte setzen Gerichtstermine an und dann muss ich hinfahren. Das bedeutet – weil wir ein sehr gut laufendes Dezernat haben – sehr viel an Rumfahren. Ich bin häufig den ganzen Vormittag im Auto und fahre von einem Gericht zum nächsten und kann nicht produktiv inhaltlich an den Akten arbeiten, sondern bin in Gerichtsterminen.
Der zweite ist, dass die Gerichte auch Fristen festsetzen. Da wird dann zum Beispiel angeordnet, dass wir innerhalb von zwei Wochen zu irgendetwas Stellung nehmen müssen, und dann haben wir eine Deadline im Kalender – das macht Stress! Wenn man neun, zehn, zwölf Deadlines pro Tag im Kalender hat, ist das Arbeiten sehr fremdbestimmt. Das ist Druck. Den hat man als Notar nicht. Als Notar bestimme ich selber, wann ich die Termine mache und die sind bei mir im Büro. Ich muss also nicht rumfahren. Es gibt diese Art von Deadlines nicht und das ist sehr angenehm.
Der inhaltliche Grund ist, dass ich als Notar durch die neutrale Position, die ich habe, über den Dingen stehe. Es ist nicht dieses permanente sich Streiten, sondern es ist eher ein Vermitteln, Moderieren, Beraten. Das ist eine sehr viel friedlichere Art und Weise zu arbeiten. Das ist auch mal ganz gut.
Das kann ich verstehen. Jeder Notar ist Rechtsanwalt, aber nicht jeder Rechtsanwalt ist Notar. Worin unterscheiden sich beide Berufe?
Tobias Scheidacker: In Berlin gibt es den sogenannten Anwaltsnotar. Das heißt, wenn ich Notar sein will, muss ich auch Anwalt sein. Das ist in anderen Bundesländern anders, zum Beispiel in Brandenburg. Da gibt es das sogenannte Nur-Notariat. Das heißt, wer Notar ist, kann nicht Anwalt sein.
Der Vorteil des nur Nur-Notariats ist, dass der Notar sich nur auf diese notariellen Sachen konzentriert und dann natürlich sehr viel Erfahrung sammelt. Der Vorteil des Anwalts-Notariats ist, dass ich aus der anwaltlichen Praxis weiß, wie ich notarielle Urkunden knacken kann. Das heißt, meine notarielle Arbeit ist auch ein bisschen mitgeprägt von der anwaltlichen Erfahrung, was man nicht machen sollte oder was man vielleicht anders machen sollte.
Die Berufe unterscheiden sich schon dadurch, dass ich als Anwalt primär am Streiten bin und Rechte bezogen auf Mandanteninteressen durchsetze, während ich als Notar versuche, Verträge möglichst sicher zu gestalten, so dass es für alle funktioniert, es für alle sicher ist. Und es gibt auch die Beratung, die über das übliche anwaltliche Arbeiten hinausgeht, wenn zum Beispiel Menschen ein Testament errichten wollen. Dann berate ich, welche Möglichkeiten es gibt. Das hat überhaupt keinen Bezug zu einer anderen Partei, sondern das dreht sich dann um die Fürsorge für denjenigen, der mit seinem Anliegen zu mir kommt. Das ist noch mal ein ganz anderer Aspekt, den ich sehr angenehm finde.
Notare unterliegen der sogenannten Neutralitätspflicht. Was bedeutet das in der Praxis? Können Sie das einmal ausführen?
Tobias Scheidacker: Ja, gerne an einem Beispiel: Ich beurkunde einen Kaufvertrag und nach der Beurkundung gibt es in dem Objekt einen Wasserschaden. Dann ruft mich der Käufer an und sagt: „Muss ich jetzt den Kaufpreis bezahlen?“ Und dann ruft mich der Verkäufer an und sagt: „Der Käufer hat gesagt, er will nicht bezahlen. Was mache ich jetzt?“ Da muss ich als Notar sagen: „Da kann ich Sie leider nicht beraten. Da müssen Sie zu einem Anwalt gehen.“ Denn meine Aufgabe ist es, für beide Seiten da zu sein. Ich darf nicht einseitig tätig werden. Meine Aufgabe ist es, diesen Vertrag möglichst sicher durchzuführen. Aber wenn die Parteien das nicht mehr wollen oder wenn sie nachverhandeln wollen oder tatsächlich anwaltliche Begleitung brauchen, kann ich das an dieser Stelle nicht tun.
Eine Zwischenfrage: Sie sind ja Anwalt. Dürften Sie diesen Fall anwaltlich begleiten oder nicht?
Tobias Scheidacker: Nein, in diesem Fall nicht, wenn ich beurkundet habe. Aber wenn der Fall bei einem anderen Kollegen beurkundet wurde, dann natürlich schon.
Beim Kauf und Verkauf von Immobilien hier in Deutschland ist der Gang zum Notar zwingend erforderlich. Welche Funktion hat denn der Notar bei der Übertragung der Immobilie?
Tobias Scheidacker: Ich sorge dafür, dass es sicher läuft, also dass der eine das Geld bekommt und der andere das Grundstück. Und ich sorge dafür, dass die Personen wissen, was sie tun. Ich berate und belehre auch im Zusammenhang mit der Beurkundung und während der Vorbereitung über Risiken. Und ich schaue natürlich auch: Wer sitzt da vor mir? Wenn da jemand sitzt, der 80, 85 Jahre alt ist und sein Grundstück übertragen soll, verschenken an den Sohn oder verkaufen an jemand anderen, und dem wird von den anderen Beteiligten die ganze Zeit der Mund verboten und die Fragen an ihn werden von den anderen beantwortet, dann muss man da mal genauer hingucken. Weiß derjenige noch, was er tut? Ist er orientiert – zeitlich, räumlich, inhaltlich? Versteht er was hier gerade geschieht? Oder geht es so nicht? Da passe ich natürlich auf.
Könnten Sie zur Not so einen Vertrag platzen lassen, wenn Sie der Meinung sind, hier geht was nicht mit den richtigen Dingen zu?
Tobias Scheidacker: Ja, ich kann abbrechen und eine nähere Untersuchung einleiten oder genauer hinschauen. Wenn ich den Eindruck habe, dass jemand vielleicht nicht mehr geschäftsfähig ist und möglicherweise nicht weiß was er tut, dann kann ich auch beurkunden, zum Beispiel bei Not-Testamenten, wenn wir nicht mehr wissen, ob jemand jetzt noch die Möglichkeit hat, das Testament zu machen, aber morgen vielleicht nicht mehr. Da kann man nicht einfach abbrechen. Aber man kann, wenn man nicht sicher ist, einen Vermerk in die Urkunde aufnehmen, dass ich als Notar die Situation nicht einschätzen kann. Und dann können die Beteiligten sich hinterher darüber streiten – mit Gutachter oder wem auch immer – ob eine Testierfähigkeit noch vorlag oder nicht. Aber ich habe dafür gesorgt, dass dieser Punkt nicht untergeht.
Beim Notar werden ja alle Verträge grundsätzlich laut vorgelesen gesprochen. Warum ist das so?
Tobias Scheidacker: Zum einen wird es der Bedeutung der Sache gerecht. Wenn jemand testiert oder wenn jemand ein Grundstück verkauft, dann ist das ein wichtiges Geschäft.
Indem alles vorgelesen wird, wissen die Beteiligten, was sie tun. Gelegentlich passiert es, dass wir einen Vertrag vorbereitet und an alle Beteiligten übersandt haben, jeder sich das angeschaut hat, und wir einen Termin gemacht haben. Die Beteiligten kommen und ich lese vor und an einer bestimmten Stelle sagt dann einer: „Ach, so wollten wir das aber gar nicht. Das wollen wir an der Stelle anders haben.“ Durch das Hören versteht man es noch mal anders.
Und dann führt dieses Vorlesen auch zu Fehlerbereinigung. Man schaut, ob die Grundbuchangaben stimmen, ob die Kontonummer stimmt, ob von den Beteiligten die Geburtsdaten und die Adressen stimmen. Es ist eine Art Kontrolle.
Dann gehen wir einmal ein bisschen in Ihre Praxis rein. Wenn eine Immobilie verkauft wird, wie lange dauert es Vom Notarbesuch bis zum Abschluss der Eigentumsübertragung und natürlich auch zur Auszahlung des Kaufpreises für die Immobilie?
Tobias Scheidacker: Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt auf die Grundbuchsituation an. Müssen noch eingetragene Belastungen gelöscht werden? Welche Gläubiger sind da beteiligt? Oder gibt es uralte Eintragungen, die gelöscht werden müssen? Und es kommt darauf an, bei welchem Grundbuchamt es ist. Wir haben da sehr unterschiedliche Laufzeiten. Ich hatte vor kurzem einen sehr schnellen Vertrag, der war beim Grundbuchamt Berlin-Mitte, da haben wir Mitte Dezember beurkundet und das Eigentum wurde gestern umgeschrieben. Das ging echt schnell. Und es gibt andere, zum Beispiel hat ein Amtsgericht in Thüringen auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie eine Bearbeitungszeit von sechs Monaten haben.
Das sind ja enorme Unterschiede. Gibt es nicht Fristen, die eingehalten werden müssen?
Tobias Scheidacker: Nein. Wenn ich einen Antrag beim Grundbuchamt gestellt habe, dann ist er der erste in der Pipeline und dann wird der auch als erstes bearbeitet. Da kann nicht viel passieren.
Okay. In anderen Ländern funktioniert die Immobilienübertragung oftmals ohne Notar. Warum hat der deutsche Gesetzgeber dem Notar diese Aufgabe übertragen?
Tobias Scheidacker: Das hat historische Gründe. Es wurde nicht vom Gesetzgeber übertragen, sondern das war Praxis, weil man einem Notar vertraut, dass er es möglichst sicher abwickelt. Und es ist dann ins Gesetz übernommen und beibehalten worden, weil es sich bewährt hat. Das ist ein sehr sicheres System. Ein sorgfältig arbeitender Notar kann sicherstellen, dass die eine Seite das Geld erhält und die andere das Grundstück – und dabei nichts schief geht.
Wie wir heute festgestellt haben, hat der Notar bei der Immobilienübertragung eine überwachende Funktion. Was prüft denn der Notar in der Praxis und was liegt in der freien Gestaltung der jeweiligen Vertragsparteien?
Tobias Scheidacker: Der Inhalt des Vertrages kann von den Parteien bestimmt werden. Ich kann natürlich als Notar Vorschläge machen oder einen Entwurf übersenden, aber am Ende verhandeln die Parteien, was sie beurkunden wollen. Ich überwache, dass es alles funktioniert, also dass zum Beispiel erst dann an den Verkäufer gezahlt werden muss, wenn mir die Löschungsbewilligungen der Banken vorliegen, so dass sichergestellt ist, dass das Grundbuch auch leer ist, oder die Grundschuld des Käufers an erster Rangposition steht, bevor er zahlen muss.
Und vielleicht noch mal ein bisschen konkret. Was kann ich denn als Käufer und Verkäufer selbst regulieren? Wo lassen Sie mir freie Wahl bei der Vertragsgestaltung? Was darf ich machen?
Tobias Scheidacker: Wie gesagt: Sie bestimmen am Ende als Beteiligter auf beiden Seiten selbst, was Sie beurkunden wollen. Es gibt natürlich eine Grundstruktur, die man als Notar vorschlägt, also die Mechanik der Abwicklung eines Vertrages. Aber das ist für die Beteiligten nicht von Bedeutung. Für den Verkäufer ist in der Regel relevant, wie viel Geld er erhält und wie lange es dauert. Für den Käufer ist auch relevant, wie lange es dauert, und wann er einziehen kann. Solche Dinge. Das kann man regeln.
Herr Scheidacker, dann wünschen wir Ihnen viele interessante Immobilienübertragungen im nächsten Jahr. Und wenn es wieder etwas Spannendes zu berichten gibt, dann kommen Sie gerne wieder. Danke, dass Sie bei uns waren.