Nach vergeblichem Warten auf eine europäische Lösung will die Bundesregierung jetzt die Einreise aus Ländern mit mutiertem Coronavirus verbieten. Immer mehr Länder machen ihre Grenzen dicht, um einer weiteren Ausbreitung der mutierten Varianten entgegenzuwirken. Auch Innenminister Horst Seehofer will jetzt auf eine nationale Entscheidung setzen.
Noch wurde keine endgültige Entscheidung über ein Einreiseverbot getroffen, was sich aber durch ein sogenanntes Umlaufverfahren ändern könnte. Dabei wird kein Treffen des Kabinetts benötigt, damit schneller entschieden werden könne. Seehofer will Einreisen aus „Mutationsgebieten“ verbieten, wobei es sich momentan um fünf Länder handelt: Großbritannien, Irland, Portugal, Südafrika und Brasilien. Deutsche Staatsbürger sollen weiterhin in die Bundesrepublik einreisen dürfen, denn „da ist wohl die Möglichkeit einzuräumen“, wie Seehofer bestätigte. Seehofer will das im Alleingang beschließen, da eine europäische Lösung offenbar vorerst nicht zustande kommt. „Deshalb bereiten wir das jetzt national vor“, so der Innenminister. Er gab auch bekannt, dass aus rechtlichen Gründen ein „generelles Verbot von Auslandsreisen“ nicht möglich sei, so die Süddeutsche Zeitung. Allerdings soll laut Seehofer „die Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland auf nahezu Null“ beschränkt werden. Er erklärte im Interview mit der Bild, dass Deutschland „kein Gefängnis“ wird.
Für das Verbot von Auslandsreisen sind „wesentlich höhere“ Hürden gegeben, so Verfassungsjuristen. Die Einreisesperre für die Länder mit hoher Verbreitung an Corona-Mutationen stellt allerdings auch einen großen „Eingriff in die Reisefreiheit“ dar, so die Süddeutsche. Unter den Ländern befinden sich zwei EU-Länder, Portugal und Irland, wobei ersteres sogar Teil des Schengen-Raums ist und somit eine kontrollfreie Ein- und Ausreise garantiert. Ausnahmen sind möglich, aber im Detail noch nicht geklärt, fest steht nur, dass diese sehr strikt sein werden: „Da bin ich für enge Ausnahmen, nicht für einen Schweizer Käse“, so Seehofer. Mögliche Ausnahmen beziehen sich auf den Transport von medizinischen Gütern und möglicherweise auf weiteren Warenverkehr. Das Verbot soll für alle Wege gelten, Luft-, Bahn-, Straßen- und Seeverkehr. Einreisende aus Hochrisikogebieten dürfen schon bereits seit einigen Wochen nicht ohne negativen Test ins Land gelassen werden. Hochrisikogebiete sind Länder, „bei denen der so genannte Inzidenzwert bei mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen liegt“, so die Tagesschau. Insgesamt hat die Bundesregierung rund 160 Länder als Risikogebiet eingestuft, aus denen zwar eingereist werden darf, aber nach spätestens 48 Stunden ein Corona-Test vorliegen muss. Bei einem negativen Testergebnis kann die Quarantäne auf fünf Tage verkürzt werden, sonst muss sie zehn Tage andauern. Für einige Länder wurden die Reglungen bereits jetzt verschärft, so muss beispielsweise bei der Einreise aus Spanien schon während der Rückreise ein negatives Ergebnis vorliegen. Durch verstärkte Flughafenkontrollen und Stichproben innerhalb der Landesgrenzen sollen die Einhaltung dieser Regeln gewährleistet werden.
Der Vorschlag eines Einreiseverbots traf auf viel Kritik, so auch vom FDP-Innenexperte Stephan Thomae: „Das Coronavirus und seine Mutanten sind höchst gefährlich, nichtsdestoweniger sind wir nicht im Krieg.“ Er plädiert auf mehr Schnelltest anstatt auf Abschottung. Auch die EU rät dazu von nicht notwendigen Reisen abzusehen, lehnt allerdings gleichzeitig zu strenge Maßnahmen ab: „Aber ich denke auch, dass wir nicht zu drastische Maßnahmen ergreifen sollten“, so Ylva Johansson, die Innenkommissarin der EU-Komission. Vor allem dürfen die Beschränkungen nicht „die wirtschaftliche Erholung und die Bedeutung eines gut funktionierenden Gesundheitssystems behindern“, so Johansson. EU-Bürger*innen sollen immer noch ihre Angehörigen treffen dürfen.
In vielen anderen Ländern herrschen bereits strenge Einreisebeschränkungen. Norwegen will seine Grenzen für alle nicht-norwegischen Einreisenden dicht machen, Portugal stellte den Flugverkehr mit Brasilien ein und auch Israel und Finnland verbieten alle nicht nötigen Flugzeugreisen. In Großbritannien müssen alle Reiserückkehrer*innen aus Hochrisikogebieten in eine zehn-tägige Quarantäne. Auch in Deutschland kann es jetzt zu sehr scharfen Regeln kommen, wobei der Innenminister offenbar die Mehrheit der deutschen Bürger und Bürgerinnen auf seiner Seite hat. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind 68 Prozent für eine strikte Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland.