Während in Deutschland und Europa in den nächsten Monaten Millionen von Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden können, sieht die Situation in anderen Ländern anders aus. Europa erhält Millionen Dosen des Impfstoffs, wohingegen es in ärmeren Ländern noch lange dauern wird, bis ausreichen Menschen geimpft sind. Die Kritik an der ungleichen Verteilung wächst.
In Deutschland wurden kurz nach Weihnachten die ersten Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Angefangen mit Mitarbeitern aus der Medizin und Pflege sowie älteren Menschen, werden in den kommenden Monaten voraussichtlich ein Großteil der Bevölkerung geimpft. Die Bundesregierung weiß genau, wie viele Dosen des Corona-Impfstoffs die Behörden in den nächsten Wochen erhalten werden. Im ersten Quartal rechnet das Bundesgesundheitsministerium mit elf bis 13 Millionen Dosen von dem Vakzin-Hersteller Biontech und Pfizer. Die Hoffnung habe Gesichter, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Neujahrsansprache mit: „Es sind die Gesichter der ersten Geimpften.“ Täglich seien es mehr und schrittweise kämen zunächst die priorisierten Alters- und Berufsgruppen an die Reihe „und dann alle, die es möchten.“
Auch die Europäische Union (EU) hat eine Vorstellung, womit sie rechnen können. Es werde bis September 2021 mit 200 Millionen ausgelieferten Impfdosen gerechnet, wie ein Sprecher der EU-Kommission mitteilte. Zudem könnten Lieferungen anderer Hersteller noch hinzukommen. Das Unternehmen Moderna hat einen weiteren Corona-Impfstoff entwickelt, über dessen Zulassung die Europäische Arzneimittelagentur voraussichtlich Anfang Januar entscheiden wird.
Allerdings hagelt es bereits Kritik, da die Impfkampagne in Europa nicht schnell genug vorangehe. Die USA konnten sich bereits im Juli rund 600 Millionen Dosen des Impfstoffs von BionTech und Pfizer sichern. Die EU hatte ihre Bestellung erst im November aufgegeben und auch nur 300 Millionen Dosen, die dann unter den 27 Mitgliedsstaaten gleichmäßig verteilt werden sollen. Die EU hat die Bestellungen auf mehrere Firmen verteilt, die ihrerseits angekündigt hatten, den Impfstoff entwickeln zu wollen. Allerdings können die meisten dieser Firmen noch keine Impfdosen liefern – Biontech und Pfizer jedoch schon. „Ich halte die derzeitige Situation für grobes Versagen der Verantwortlichen“, sagte die Ärztin und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die die Bundesregierung berät, Frauke Zipp, der Welt.
Doch auch wenn die Impfkampagne nur schleppend vorangeht, so geht sie dennoch voran. Allerdings macht Europa nur rund 10 Prozent der Weltbevölkerung aus. Einige Länder auf der Welt verfügen nicht über die Möglichkeit den Impfstoff zu entwickeln. Die kirchlichen Hilfswerke kritisierten die ungleiche Verteilung der Impfstoffe auf der Welt. Es gehe dabei um die „Verantwortung, einen sicheren Impfschutz für alle Menschen auf dieser Welt zu gewährleisten“, erklärte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbands Diakonie, Ulrich Lilie. „Wenn wir nicht Perspektiven für die ärmsten der Armen finden, dann werden wir noch völlig andere Formen von Migration und ganz andere Formen von Auseinandersetzungen auf dieser Welt erleben“, warnte Lilie in der Zeitung „Augsburger Allgemeine“. Oliver Müller, Leiter des internationalen Hilfswerks der katholischen Organisation Caritas kritisierte die Initiative Covax. Sie war von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Zweck der Impfstoffverteilung ins Leben gerufen worden und sei laut Müller zwar eine gute Idee, doch funktioniere sie noch nicht richtig, teilte er im Südwestrundfunk mit. Die verteilten Impfdosen seien zu wenig. „Hier muss bedeutend nachgesteuert werden und das bedeutet, dass die Industrieländer mehr Mittel zur Verfügung stellen müssen, sonst funktioniert die Idee nicht“, so Müller.
Hinzu kommt, dass sich die Industriestaaten bereits einen Großteil des Impfstoffs gesichert haben. Der Generalsekretär der WHO, Tedros Ghebreyesus, kritisierte Europa und die Vereinigten Staaten wegen der ungleichen Verteilung der verfügbaren Corona-Impfstoffe. „Impfungen bieten für manche Menschen Hoffnungen“, so Ghebreyesus und fügte hinzu: „Aber ich bin tief besorgt darüber, dass Impfnationalismus die ärmsten und verletzlichsten Menschen auf der Welt des Zugangs zu diesen lebensrettenden Mitteln beraubt.“ Mit der Covax-Initiative, die von 190 Staaten offiziell unterstützt wird, leistet die WHO einen wichtigen Beitrag, um den Zugang auch in ärmeren Ländern zu ermöglichen. Covax habe sich inzwischen den Zugang zu fast zwei Milliarden Impfdosen von „vielversprechenden Kandidaten“ gesichert. Jedoch seien in den ersten Monaten des neuen Kalenderjahres weitere 4,6 Milliarden Dollar nötig, um genügend Impfdosen kaufen zu können, damit mindestens 20 Prozent der Menschen in den ärmeren Ländern zu immunisieren.
Die Situation in Entwicklungsländern sei gravierend, wie eine Umfrage der Welthungerhilfe zeigte. Die Corona-Pandemie wirke wie ein „Brandbeschleuniger“ von Hunger und Armut. Umso wichtiger, dass auch diese Länder mit ausreichend Impfdosen versorgt werden, um die Situation zu entschärfen.