Trumps Zeit als Präsident ist bald vorbei und dann beginnt die Aufarbeitung seiner Amtszeit. Das System Trump wird noch sehr lange nach Ende seiner Amtszeit Nachwirkungen auf die Gesellschaft zeigen. Was kann Strafverfolgung zur Aufarbeitung dieser Zeit leisten?
Letztes Jahr wurde Kamala Harris, designierte Vizepräsidentin der USA gefragt, ob das Justizministerium ihrer Regierung den außergewöhnlichen Schritt unternehmen würde, eine Strafanzeige gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump zu stellen. „Ich glaube, dass sie keine Wahl hätten und dass sie es tun sollten, ja“, antwortete sie.
Wenn der Präsident im Verdacht steht, illegal gehandelt zu haben, sollte es dann nach dem Ausscheiden aus dem Amt untersucht und möglicherweise strafrechtlich verfolgt werden? Trump behauptet, dass er „das absolute Recht hat, sich selbst zu begnadigen“, was die Möglichkeit aufwirft, ob er dies noch vor dem 20. Januar tun könnte. Die Verfassung gibt dem Präsidenten die Befugnis, Begnadigungen zu gewähren, allerdings nicht im Falle einer Anklage.
Aber abgesehen von diesen Ausnahmen ist die Befugnis bekanntlich weit gefasst und hat auch schon dazu geführt, dass sie missbraucht wurde. Präsident George H.W. Bush begnadigte beispielsweise sechs Beamte der Reagan-Administration. Auch Präsident Bill Clinton begnadigte seinen eigenen Halbbruder aufgrund seiner Verurteilung wegen Kokainkonsum. Zudem gewährte Clinton einem reichen Finanzier und Spender Straffreiheit, der wegen Steuerhinterziehung als flüchtig galt.
Mit diesen Präzedenzfällen im Hinterkopf haben die Berater von Präsident Trump kürzlich die Idee geäußert, seine verbliebene Macht zu nutzen, um seine Kinder, seinen Schwiegersohn und seinen persönlichen Anwalt, Rudolph Giuliani, vor einer möglichen Strafverfolgung zu schützen.Solche präventiven Begnadigungen sind ungewöhnlich, aber der Oberste Gerichtshof entschied 1866, dass der Präsident die Macht hat, sie zu erlassen. Das berühmteste Beispiel war die Begnadigung von Präsident Richard Nixon durch Präsident Gerald Ford nach dessen Rücktritt. Es ist eine Praxis, die bis in die Zeit der Präsidentschaft von George Washington zurückreicht.
Ob Trump in der Lage wäre sich selbst präventiv zu begnadigen, ist jedoch eine ganz andere Frage. „Es gibt keine endgültige Antwort, weil noch nie ein Präsident versucht hat, sich selbst zu begnadigen und dann trotzdem vor Gericht gestellt wurde“, erklärt Charlie Savage, Journalist der New York Times. „Folglich gab es auch nie einen Fall, der dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit gab, diese Frage zu klären.“
Es gibt zahlreiche potenziell kriminelle Handlungen, weshalb gegen den Präsidenten ermittelt werden könnte, darunter Steuerhinterziehung und -betrug, Verstöße gegen das Wahlkampffinanzierungsgesetz, Behinderung der Justiz, öffentliche Korruption und Bestechung. Doch es wurde bisher noch nie ein Ex-Präsident angeklagt. Trump ist ein Präsident, der es auf beträchtlich viele potenzielle strafrechtliche Verstöße bringt.
Theoretisch könnte der designierte Präsident Biden die Strafverfolgung in die Wege leiten, doch es wäre problematisch für ihn. Schließlich könnte es ihm als parteipolitischer Schritt übelgenommen werden.
Ruth Marcus von der Washington Post sagt: „Jeder, der glaubt, dass es einfach ist, setzt sich nicht mit den Implikationen auseinander, wenn er den beispiellosen Schritt unternimmt, Strafanzeige gegen einen ehemaligen Präsidenten zu stellen“, schreibt sie. „Die Vereinigten Staaten sind kein Ort, an dem die Machthaber ihre politischen Feinde einsperren. Es gibt einen schmalen Grat zwischen dem Streben nach Gerechtigkeit und dem Drang nach Vergeltung.“
Und weil die Befugnisse des Präsidenten so weit ausgelegt werden, wäre es extrem schwierig zu beweisen, dass irgendeine von Trumps Handlungen im Amt tatsächlich kriminell war, so Eric Posner, Professor an der University of Chicago Law School. „Die Demokraten können nicht gewinnen“, schreibt er in der New York Times. „Eine Untersuchung und eine mögliche Anklage und ein Prozess gegen Trump würden dem Zirkus der Trump’schen Präsidentschaft für die nächsten Jahre einen zentralen Platz in der amerikanischen Politik einräumen, der Biden-Administration die Luft abschnüren und Trumps Märtyreransprüche nähren.“
Doch so hoch die Kosten sein mögen, Trump zur Rechenschaft zu ziehen, so denken einige, dass die Kosten, dies nicht zu tun, noch höher wären. „Bei dieser ganzen Präsidentschaft ging es um jemanden, der dachte, er stünde über dem Gesetz“, sagte Anne Milgram, die ehemalige Generalstaatsanwältin von New Jersey. „Wenn er für mögliche Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen wird, dann stand er buchstäblich über dem Gesetz.“
Schwierig wird es, wenn der amerikanischen Bevölkerung der Eindruck vermittelt wird, dass es keinen Grund für die Mächtigen gibt, sich an die Regeln zu halten. So darf es sich nicht manifestieren, dass ein Zweistufensystem für Gerechtigkeit existiert. Biden hat versprochen, dass er sich aus jeder strafrechtlichen Entscheidung des Justizministeriums über seinen Vorgänger heraushalten würde.
Aber die Strafverfolgung von Trump stellt eine Herausforderung dar. New Yorks Gerichte geben Angeklagten weit mehr Schutz als Bundesgerichte, und es gibt strengere Regeln darüber, welche Beweise einer Grand Jury vorgelegt werden können. Seit über einem Jahr leitet der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Cyrus Vance Jr., die eine Untersuchung, die sich auf eine Reihe möglicher Finanzvergehen bezieht, die vor Trumps Präsidentschaft vorlagen. Trump sieht sich mit vielen weiteren Zivilverfahren konfrontiert, darunter die Ermittlungen des New Yorker Generalstaatsanwalts zu seinen Geschäftspraktiken und eine Verleumdungsklage von E. Jean Carroll, die behauptet, er habe sie in den 1990er Jahren vergewaltigt und ihren Ruf geschädigt, indem er sie während seiner Amtszeit als Lügnerin bezeichnete.
Letztlich geht es bei dem Dilemma weniger um Donald Trump als um die strukturellen Probleme, die seine Präsidentschaft offengelegt hat. „Eine Abrechnung kann verschiedene Formen annehmen – Untersuchungen, Anhörungen, Prozesse, öffentliche Versammlungen – aber es muss ein nationales Projekt sein, nicht die heroische Suche eines einzelnen Bundesstaatsanwalts, Generalstaatsanwalts oder investigativen Reporters“, schreibt Masha Gessen im New Yorker. „Einfacher ausgedrückt: Wir müssen darüber reden, was passiert ist, und darüber, wie wir so weiterleben können, dass so etwas nicht wieder passiert.“