Der katalanische Regierungschef Quim Torra wurde am Montagabend von der spanischen Justiz kurzerhand seines Amtes enthoben. Daraufhin gingen tausende Menschen demonstrieren – teilweise gewaltsam. Allein in der Hauptstadt der Region Katalonien, in Barcelona, versammelten sich rund 1000 Demonstrierende, „die zum Ciutadella-Park vor dem Regionalparlament marschierten“, so die tagesschau. Dabei warfen sie Böller, Steine, Müllsäcke und sogar Schweineköpfe auf die Polizisten. Es wurden auch einige Müllcontainer in Brand gesetzt. Gegen Mitternacht wurden die Proteste aufgelöst. Nicht nur in Barcelona gingen die Menschen auf die Straße, um gegen das Urteil zu demonstrieren. Auch in anderen Teilen Kataloniens gab es Ausschreitungen, in Girona wurde die spanische Flagge verbrannt.
Nach seinem Vorläufer Carles Puigdemont soll nun auch der 57-jährige katalonische Regionalpräsident Torra laut der spanischen Justiz wegen „Ungehorsams“ abgesetzt werden. Der Oberste Gerichtshof in Madrid entschied Ende September, dass ein vergangenes Urteil aus dem Jahr 2019 noch bestünde: Quim Torra darf demnach eineinhalb Jahr lang keine öffentlichen Ämter ausüben. Dieses Verbot verhängte das Gericht, da der Politiker sich geweigert hatte, während des Wahlkampes im letzten Jahr Symbole der Widerstandsbewegung „am Sitz seiner Regierung in Barcelona und an anderen öffentlichen Gebäuden“ zu entfernen, so die tagesschau. Auf den Plakaten stand „Freiheit für politische Gefangene“, eine Aussage, die nach Torras Anwalt von dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt werde. Die Wahlkommission erklärte, dass hiermit das Neutralitätsgesetz verletzt werde. Zusätzlich zur Amtsenthebung wurde Torra noch eine Geldstrafe von 30.000 Euro aufgebürdet. Die Bestätigung dieses Urteils liege zwar noch nicht schriftlich vor, aber wie Torras Anwälte erklärten, gibt es kaum noch eine Chance darauf, etwas daran zu verändern. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, wollen sie „vor das spanische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen“. Torra steht der ganzen Situation noch hoffnungsvoll gegenüber und versicherte in einer Fernsehansprache: „Ich werde die Meinungsfreiheit und unsere Unabhängigkeit nach Europa bringen. Und wir werden gewinnen“. Kurz nach der Verkündung des Urteils sagt er: „Ich gebe nicht auf.“
Sobald der Regionalchef abgesetzt ist, wird es in Katalonien Neuwahlen geben. Ob diese Neuwahlen friedlich verlaufen, ist allerdings erst einmal noch unklar und eher nicht zu erwarten. Proteste während der Corona-Pandemie und die nunmehr 3-jährigen Konflikte über Kataloniens illegales Unabhängigkeits-Referendum von 2017 schüren viel Eskalationspotenzial. Kurz nach dem Referendum wurde gegen Willen der spanischen Regierung für kurze Zeit die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen. Spanien und Katalonien werden sich nun nach Expertenmeinungen noch mehr voneinander entfernen. Die katalanischen Separatisten sind untereinander allerdings zusammengerückt und sogar Torras politische Gegner begleiteten ihn zum Gerichtshof in Madrid. Doch nicht nur die Separatisten kritisieren die Entscheidung des spanischen Gerichts. So schreibt die tagesschau, dass auch Manuel Castells ein Soziologe und Universitätsminister der Zentralregierung das Urteil als „Provokation“ betrachtet, welche die angespannte Lage nur verschlimmern werde.
Vorübergehend wird der Vizepräsident von Torras regieren, Pere Aragonés. Neuwahlen sind Anfang nächsten Jahres als wahrscheinlich zu erachten, so die ZEIT. Torra, wie auch sein Vorgänger Puigdemont befürchten allerdings „eine Niederlage ihrer JxCat-Partei bei den Neuwahlen“, so die faz. Denn laut aktuellen Umfragen würde bei Neuwahlen die gegnerische linke Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) stärker sein. Besonders die ERC fordert möglichst schnelle Wahlen, damit besonders in der Coronakrise kein Machtvakuum in der Region entsteht. In einer Fernsehansprache kritisiert auch Torra den Zeitpunkt der Amtsenthebung inmitten einer Pandemie. Denn in Katalonien und auch in Spanien steigen die Infektionszahlen wieder. Das ganze Land hat seit dem Ausbruch des Coronavirus stark gelitten. Wochenlange Ausgangssperren waren in ganz Spanien an der Tagesordnung. Einige Städte werden vermutlich wieder abgeriegelt, dazu gehört auch die Hauptstadt Madrid. Insgesamt wurden über 31.000 Corona-Tote verzeichnet. Es bleibt zu hoffen, dass sich durch die Unruhen und Proteste das Virus nicht weiter ausbreitet und noch mehr Menschen das Leben kostet. Denn Spanien hat ausreichend wirtschaftliche Probleme, um die Auswirkungen der Pandemie aufzufangen, da können innenpolitische Probleme nur noch weiteren Zündstoff für eine Eskalation bieten. Damit wäre Spanien in die Zeiten von Franco zurückversetzt, was aber sicherlich keiner dort will.