„Nord Stream 2 ist ein Wirtschaftsprojekt und kein politisches Kräftemessen“, so der Sprecher der russischen Regierung, Dimitri Pekow. Demnach rechnet die russische Regierung nicht damit, dass die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu einem Baustopp der Ostseepipeline „Nord Stream 2“ führen wird. Denn das ist der aktuelle Streitpunkt unter den Befürwortern und den Ablehnern der Gaspipeline, die nur noch 150 Kilometer Strecke vor sich hat, bevor sie in Deutschland beendet werden kann.
Der Druck auf die Beteiligten des Vergiftungsattentats auf den Kreml-Kritiker Nawalny ist seit Bekanntwerden des mutmaßlichen Giftanschlags auf Nawalny immer höher geworden. Von mehreren Seiten wurden Rufe laut, den Bau der Gasleitung zu stoppen. Das Ziel: Russland mit wirtschaftlichem Druck dazu zu bringen, den Fall aufzuklären. Doch die Russen sehen die Aufregung gelassen, wissen sie doch, dass politische Verstrickungen nicht mit wirtschaftlichen Interessen korrelieren sollten. Europa und speziell Deutschland wird eines Tages vom Erdgas abhängig sein, geht es doch auch darum, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen und die Umweltverschmutzung weiter zu reduzieren. Die CDU sieht sich derzeit im Mittelpunkt der Diskussionen um einen möglichen Bau-Stopp, denn ein Teil der Partei fordert ein klares Zeichen an den Kreml, dass politische Morde und Anschläge auf kremlkritische Akteure nicht geduldet werden können – ganz im Sinne der internationalen Menschenrechte. Norbert Röttgen von der Partei spricht sich für einen endgültigen Baustopp aus, während Friedrich Merz für eine 2-jährige Unterbrechung der Bauarbeiten plädiert. Auch Jens Spahn schiebt den mächtigen russischen Nachbarn nun den schwarzen Peter zu und fordert eine Rücksicht auf die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands und Europas. Andere politische Schwergewichte der Christlich Demokratischen Union wie ihre Anführerin Angela Merkel sehen die Sache etwas sachlicher und emotionsloser und wollen an Nord Stream 2 festhalten. Neben ihr sticht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer dabei als Fürsprecher der Pipeline hervor, der sich bereits auf dem Wirtschaftsforum 2019 in Sankt Petersburg zu Wladimir Putin bekannt hatte. Schließlich hatte die sächsische VNG aus Leipzig bereits damals einen Vertrag zur Abnahme von jährlich 3,5 Milliarden Kubikmeter Nordstream-Gas mit dem Mutterkonzern Gazprom abgeschlossen.
Fest steht, dass der politische Anschlag auf Alexej Nawalny und die zukünftige Energieversorgung Deutschlands zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Wochenende erklärt, er hoffe nicht, „dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu „Nord Stream 2“ zu ändern. Es gebe weiter gute Gründe für die Pipeline. Er betonte aber ebenfalls, dass nichts von vorneherein ausgeschlossen werden könne. Er forderte Russland erneut auf, zur Aufklärung beizutragen. Es scheint also, dass verschiedene Parteimitglieder verstanden haben, dass man den russischen Umgang mit politischen Feinden nicht beeinflussen könne, sondern nur einen weiteren Keil zwischen die deutsch-russischen Beziehungen treiben könnte. Der Kreml sitzt wie bereits in der Vergangenheit gezeigt, am längeren Hebel – ob es uns gefällt oder nicht. Es gibt eben keine energiepolitischen Alternativen zum russischen Gas, sonst könnte Deutschland andere Druckmittel einsetzen. Russland kann in Ruhe abwarten, bis sich die Wogen der Erregung gelegt haben, eine Unterbrechung der Baumaßnahmen würden die Russen in Ruhe aussitzen.
Überraschend ist die pro-russische Haltung von Michael Kretschmer (CDU), der die menschliche Seite der Angelegenheit, nämlich die Vergiftung von Nawalny als auch von Sergej Skripal 2018 in den Hintergrund stellt und erst einmal den guten Kontakt zu Putin beibehalten will. Dasselbe gilt für Armin Laschet, der eine Bestrafung Russlands wegen der Giftanschläge, ablehnt. Allerdings steigt der Druck auf diejenigen, die den Pipelinebau befürworten innerhalb der CDU. Alte CDU-Barden melden sich zu Wort und fordern einen Baustopp. So, wie Volker Rühe, der eine Fortsetzung der Bauarbeiten von der Reaktion Moskaus abhängig machen will. Dagegen steht die Meinung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig von der SPD, die strikt gegen einen Baustopp ist, weil sie da ausschließlich die Interessen der Pipeline-Gegner vertreten sieht. Bei Deutschlands Ausstieg aus Kohle und Atomstrom muss ihrer Meinung nach eine vernünftige Alternative genutzt werden – Erdgas. Erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarstrom werden in Mecklenburg-Vorpommern bereits mehrheitlich für die Energieversorgung genutzt, daher sei dieses Pipeline-Projekt auch gegen die Ansicht von Kramp-Karrenbauer, die sich auch in die Diskussion eingeschaltet hatte, oder gegen die zweifelnde Haltung von Heiko Maas unbedingt durchzusetzen. Ein spannendes Thema, bei dem emotionale Aspekte und ökonomische Bedürfnisse sorgfältig gegeneinander abgewogen werden sollten.