Die Schwellenländer werden durch die Corona-Pandemie dauerhaft geschwächt. In Relation zu den Industriestaaten ist eine Erholung auf Dauer nicht in Sicht. Ökonomen befürchten, dass viele Länder den wirtschaftlichen Anschluss verlieren.
Zunächst waren nur die aufstrebenden Länder Asiens betroffen, die durch den Ausbruch des Coronavirus in China einen wirtschaftlichen Schock erlitten. Inzwischen sorgt das Virus mit seinen Auswirkungen weltweit für wirtschaftliche Probleme. Besonders Schwellenländer seien dauerhafter betroffen, als Industrieländer. 100 Milliarden Dollar haben internationale Investoren seit Jahresbeginn aus Schwellen- und Entwicklungsländern zurückgezogen – mit drastischen Folgen.
Die Situation ist sogar noch extremer als vor 30 Jahren während der Asienkrise, oder 2008/09 während der Finanzkrise. Über 100 Schwellen- und Entwicklungsländer haben in den vergangenen Monaten beim internationalen Währungsfonds (IWF) Hilfskredite beantragt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Pandemie sind fatal. Die Volkswirtschaft leidet, aber ohne finanzielle Unterstützung fehlt es den Schwellenländern an Möglichkeiten, um sich schnellstmöglich zu erholen. Ein Beispiel dafür ist Brasilien. Mit rund viereinhalb Millionen Infizierten zählt Brasilien neben den Vereinigten Staaten von Amerika und Indien zu den größten Corona-Hotspots weltweit. Das Land hatte bereits vor der Corona-Pandemie wirtschaftliche Engpässe. Doch mit der Rezession in den letzten Monaten, hoher Staatsverschuldung und dem Virus spitzt sich die Situation weiter zu. Ökonomen befürchten, dass Länder wie Brasilien den wirtschaftlichen Anschluss verlieren.
Es sei „eine Krise, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, die Erholung ungewiss“, teilte der IWF im Juni dieses Jahres in einem aktualisierten Ausblick auf die globale Wirtschaft mit. Während Industrienationen laut IWF-Experten eventuell um ein oder zwei Jahre zurückgeworfen werden, so droht das Wirtschaftswachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern um ein gesamtes Jahrzehnt zurückgeworfen zu werden. Die Weltbank hat für 2020 mit einem Wirtschaftsrückgang von 2,5 Prozent in Schwellen- und Entwicklungsländern errechnet. Im Vergleich zu dem erwarteten Rückgang von 8 Prozent in Industrieländern wirkt das gering. Allerdings handelt es sich um den stärksten Wirtschaftseinbruch in Schwellenländern seit den 1960er Jahren. Hinzu kommt, dass Schwellen- und Entwicklungsländer auf Hilfe bei der Wiederbelebung der Wirtschaft angewiesen sind.
Seit der Gründung des IWF 1945 haben noch nie so viele Länder gleichzeitig den Weltwährungsfonds um finanzielle Unterstützung gebeten, erklärte IWF-Chefin Kristalina Georgieva. Doch auch der internationale Währungsfonds hat seine Grenzen. Die Krisenmanager befürchten mit einer langanhaltenden Coronakrise die finanziellen Grenzen komplett auszuschöpfen. Doch was geschieht mit den Ländern, die auf die finanzielle Hilfe angewiesen sind?
Auch wenn zunächst Milliarden von Dollar aus Schwellen- und Entwicklungsländern abgezogen wurden, so wird seit Juni wieder ein Anstieg der Investitionen in Schwellenländer verzeichnet. Allerdings gilt dies nicht für alle von der Corona-Krise betroffenen Volkswirtschaften. Viele Schwellenländer-Währungen haben zu Dollar und Euro deutlich an Wert verloren. Auch hierfür ist Brasilien ein Beispiel. Als Mitglied der BRICS-Staaten war das Land neben Südafrika auf dem Finanzmarkt äußerst attraktiv. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaftslage weiter verschärft. Die Folge: Die Landeswährung hat gegenüber dem Euro enorm an Wert eingebüßt.
Durch den Einbruch des internationalen Warenverkehrs, ausländischen Direkt-Investitionen und des Tourismus stehen viele Schwellenländer mit dem Rücken zur Wand. „Je länger dies anhält – und steigende Infektionen deuten darauf hin, dass noch Schlimmeres bevorsteht – desto mehr müssen selbst lebensfähige, große einheimische Unternehmen Kredite aufnehmen, um sich über Wasser zu halten. Wenn die Kreditgeber bei den Unternehmenskrediten aber kein Entgegenkommen zeigen, werden sich viele dieser überschuldeten Firmen finanziell nicht mehr erholen können, wenn es zum Aufschwung kommt und die Nachfrage anzieht“, erklärte Raghuram Rajan, ein aus Indien stammende Star-Ökonom.
Wer wird den Schwellen- und Entwicklungsländern also helfen, wenn die Grenzen des IWF erreicht sind? Für die ärmsten Länder hat der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller wegen der Corona-Krise einen Schuldenerlass gefordert. Zwar könnte dies generell entlasten, an der Art und Weise, wie sich die ärmsten Ländern Geld beschaffen, ändere es aber nichts. Denn dabei sind sie nicht auf Bewertungen an den Finanzmärkten angewiesen, sondern auf Töpfe von Organisationen. Ein Schuldenschnitt ergebe deshalb vor allem bei den Schwellenländern Sinn, so Langhammer. Dazu müssten die international tätigen Banken aber bereit sein. „Das ist in der Geschichte noch nicht häufig vorgekommen. Außerdem werden die Banken natürlich auch auf ihre schwierige Situation wegen der Corona-Krise in ihren Heimatländern verweisen und staatliche Hilfen einfordern.“
Neben dem IWF stünden auch chinesische Finanzierungsinstitutionen zur Verfügung. Dazu gehören die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank und die New Development Bank der BRICS-Staaten. Inwieweit deren Mittel ausreichen ist unklar. Die Entwicklungs- und Schwellenländer müssen weiter hoffen, dass die bisherigen Maßnahmen gegen die Pandemie reichen. Angesichts des sich schnell verbreitenden Virus stehen die Chancen aber eher schlecht. Die Chefin der Welthungerhilfe warnte: Es ist davon auszugehen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten dort viele Tote beklagen müssen.