Ex-Politiker als gutbezahlte Lobbyisten, diese Schlagzeile findet man in letzter Zeit immer wieder. Doch dieses Thema hat einen bitteren Beigeschmack – so sieht es auch die Ethik-Kommission des deutschen Bundestages. Denn es gibt offenbar eine große Diskrepanz zwischen dem Abschied aus der aktiven Politik und der Wiederauferstehung als Fürsprecher großer Wirtschaftskonzerne, wo der oder die einzelne seine/ihre Verbindungen zur Politik oder zu ehemaligen politischen Wegbegleitern nutzt, um Wirtschaftsunternehmen einen Weg zu ebnen, der dann von der Politik abgesegnet wird.
Viele Spitzenpolitiker aus allen deutschen Parteien machen nach ihrer politischen Karriere eine zweite Karriere als Lobbyist und Protegee namhafter Wirtschaftsunternehmen, die ihnen die Dienste lukrativ vergüten und dafür den Eintritt in politische Kreise erhalten. So ist es gedacht, und so wird es von vielen Ex-Politikern praktiziert. Das ist vielen Leuten allerdings ein Dorn im Auge, denn ein Abgang mit Anstand, wo der einzelne nach seiner aktiven Zeit in der deutschen Politik sich in die wohlverdiente Rente zurückzieht, sieht anders aus. Nämlich nicht so, dass nun die lange Zeit in der Politik genutzt wird, um mit alten Weggefährten über mögliche Vergünstigungen zu plaudern, die der gut bezahlte Lobbyist dann seinem Auftraggeber zukommen lässt. Gerade kürzlich ist erst noch Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg in die Kritik geraten, weil er sich bei der Bundesregierung für die Interessen des insolventen DAX-Konzerns Wirecard AG eingesetzt hatte. Nicht für gute Worte und einen warmen Händedruck, sondern für jahrelange und gut dotierte Beraterverträge, die mehr Pseudo-Funktionen denn wirkliche Aufgaben beinhalteten. Damit ist Karl-Theodor zu Guttenberg allerdings in bester Gesellschaft, denn viele andere Ex-Spitzenpolitiker haben sich ihr „politisches Netzwerk“ und daraus resultierende beste Verbindungen lukrativ vergolden lassen. Allen voran der Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der sich direkt nach seinem SPD-Abschied auf die Suche nach neuen Einnahmequellen gemacht hatte und beim russischen Erdgas-Konzern GAZPROM seines Duz-Freundes Wladimir Putin fündig geworden ist. Diesem Konzern öffnet Schröder seit jeher Tür und Tor und hat großen Anteil daran, dass die Gaspipeline Nordstream vom gleichnamigen Konzern Nordstream AG ihren Weg nach Europa gefunden hat. In der freien Wirtschaft lässt sich eben viel mehr Geld verdienen als in der Politik, das können auch andere politische Schröder-Mitstreiter wie Kurt Beck, Roland Koch, Daniel Bahr oder Hildegard Müller bestätigen. Sie alle haben munter die Hand aufgehalten und statt aufs Altenteil zu wechseln und die großzügigen Pensionen zu genießen, haben sie sich jahrelang als Sprachrohr, Unterstützer oder Wegbereiter namhafter Konzerne und Unternehmen verdingt – oder tun dies noch heute.
Auch Sigmar Gabriel, der seinerzeit gesundheitliche Gründe anführte, um sich aus der Politik zu verabschieden, hat schon zu Zeiten als Vize-Kanzler Lobbyarbeit für den Schlachtkonzern Tönnies betrieben. Das Unternehmen aus Rheda-Wiedenbrück, dass unlängst wegen der Corona-Pandemie und einer hohen Infektionszahl unter tausenden Mitarbeitern Schlagzeilen machte. Die Frage stellt sich nun, wie gut ist diese „Doppelmoral“ moralisch vertretbar, wieso ist eine bezahlte Lobby-Arbeit vor diesem Hintergrund überhaupt akzeptabel? Denn wie es aus einer aktuellen Umfrage heißt, finden das die meisten Menschen in Deutschland unredlich, also nicht korrekt. 74 Prozent der von „Kantar“ befragten Personen hielten es nicht für moralisch vertretbar, dass Spitzenpolitiker nach ihrer politischen Karriere Lobbyarbeit für Verbände oder Wirtschaftsunternehmen machen. Nur 22 Prozent hatten kein Problem damit. Das ist also ziemlich eindeutig. Findet auch die Organisation „Lobby Control“, die sich eine längere Übergangszeit zwischen politischer Arbeit und der Lobbyarbeit wünscht. Diese Kritiker sehen oft Interessenskonflikte und fordern schärfere Regeln, damit der/die Ex-Politiker/in nicht seinen Einfluss nutzt, um irgendwelche Dinge hinter verschlossenen Türen „auszuklüngeln“. Zwar gibt es seit 2015 im Land ein Karenzzeit-Gesetz für Minister, Staatssekretäre und auch für die Kanzlerin, in der sie nicht neu tätig werden dürfen, aber generell scheint es zweifelhaft, wenn alte politische Seilschaften dafür genutzt werden, Unternehmen den Weg in die Wirtschaft oder zu internationalen Kontakten zu ebnen und diesen dadurch einen unrechtmäßigen Vorteil gegenüber Mitbewerbern zu verschaffen. Schon Helmut Kohl wusste nach seiner langen Amtszeit von 1982-98, dass lukrative Quellen sprudeln, wenn man sich für andere einsetzt. Er gründete deshalb nach seiner Abwahl eine eigene Beratungsfirma, die dann vom Medienmogul Leo Kirch mit großzügigen Verträgen ausgestattet wurde. 600.000 D-Mark waren Ende der 80er Jahre eine Menge Geld, vor allem wenn sie Jahr für Jahr flossen. Als Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie konnte Hildegard Müller (CDU) als Ex-Staatsministerin im Bundeskanzleramt (2005-2008) die Zeit danach so gut vergolden, dass sie mehr als 1 Million Euro im Jahr in dieser Position verdient. Dass dabei ihre politischen Kontakte nicht maßgeblich sein sollen, dass kann man niemandem mehr weiß machen. Deshalb ist der politische Abgang möglicherweise ein Abschied ohne Anstand, der sich mit Moral und Verpflichtung eigentlich nicht vereinbaren lässt.