Mexiko hat über 40.000 Corona Todesfälle und leidet an stetig steigenden Infektionen. Damit ist das Land weltweit auf Platz vier, aber will trotzdem die virusbedingten Sperren lockern. Seit der Coronakrise werden in Mexiko fast 99 Menschen pro Tag ermordet. Im gleichen Zeitraum im Jahr 2019 gab es täglich fast 3 Opfer weniger. Vor allem die gezielte Tötung von Frauen und Mädchen nahm in den Monaten Januar bis Juni stark zu.
Nach Aussage von Alfonso Durazo, dem mexikanischen Sicherheitsminister, wurden in den ersten sechs Monaten diesen Jahres insgesamt 17.982 Menschen ermordet. Fast 500 von ihnen waren Frauen, die aufgrund von Femiziden, also aus geschlechterspezifischen Gründen, getötet wurden. Die Kriminalität in Mexiko steigt stetig und ist vor allem durch den Drogenhandel verschiedener Kartelle und Banden zu begründen, die zum Teil mit der lokalen Polizei zusammenarbeiten. Dadurch werden die meisten Verbrechen nicht aufgeklärt und dementsprechend auch nicht bestraft. So werden insgesamt nur sieben Prozent der Delikte gegen Frauen juristische verfolgt und nur jeder zehnte Femizid bekommt ein Gerichtsverfahren. Viele Frauen, die Opfer solcher Angriffe wurden, erstatten erst gar keine Anzeige, da sie Angst vor den Tätern haben oder sowieso davon ausgehen, dass keine Strafverfolgung stattfindet. Die Gewalttaten kommen teilweise von kriminellen Organisationen, aber häufig auch von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern. Vier von zehn Frauen werden in ihrem eigenen Haus ermordet. Mexikaner*innen gehen regelmäßig auf die Straße, um für mehr Respekt gegenüber Frauen und für mehr Tatendrang der Justiz zu protestieren, wie beispielsweise auch am 9. März, dem Weltfrauentag. Die brutale Ermordung der 25-jährigen Ingrid Escamilla im Februar sorgte für einen gewaltigen Aufschrei im Land, der am Weltfrauentag dafür sorgte, dass allein in Mexiko-Stadt rund 80.000 Demonstrant*innen auf die Straßen gingen. Ingrid Escamilla wurde von ihrem Partner erst erstochen, und der ihrer Leiche dann die Haut abzog und sie zerstückelte. Auch die mexikanischen Medien standen in dem Fall stark in der Kritik, da sie Fotos von der Leiche veröffentlichten, die daraufhin auch vermehrt in sozialen Netzwerken kursierten. Später kam heraus, dass die Polizei diese Fotos an die Presse verkauft hat.
Zehn Frauen werden in Mexiko pro Tag ermordet. Aufgrund der Corona-Pandemie steigt diese Zahl noch einmal an. Ana María Hernández Cárdenas, Leiterin der südmexikanischen Frauenhilfsorganisation Consorcio, erklärte der ZEIT, warum Mexikanerinnen während der Coronakrise besonders gefährdet sind: „Die Frauen werden durch die Maßnahmen zur Virusbekämpfung in doppelter Weise schutzlos: Sie sind 24 Stunden am Tag ihren potenziellen Angreifern ausgesetzt, weil sie ununterbrochen zu Hause bleiben müssen. Und sie können sich nicht an die zuständigen Behörden wenden, wenn sie bedroht werden“. Sie bestätigt außerdem, dass die Anrufe bei den Notfallhotlines um 56% zugenommen haben, was zeigt, „dass Frauen und Mädchen derzeit in besonderer Weise den Gefahren häuslicher Gewalt ausgesetzt sind“.
Doch nicht nur im eigenen Haushalt sehen sich Mexikanerinnen oft einer akuten Gefahr ausgesetzt. Auch auf offener Straße werden sie Opfer von Drogenkartellen. María Salguero, eine Datenalaystin aus Mexiko-Stadt, erklärte dem SPIEGEL, wie sie den getöteten Frauen und Mädchen einen Namen und eine Geschichte gibt und sie nicht nur als ein weiterer Eintrag in den Statistiken verschwinden. Ihr ist es vor allem wichtig zu verstehen, warum Frauen von Drogenbanden ermordet werden. Laut Salguero sind diese Frauen entweder selber Mitglied in den Kartellen oder Verwandte oder Ehefrauen von Mitgliedern. Einige werden aber auch aus Versehen getötet oder von den Mördern mit dem eigentlichen Opfer verwechselt. María Salguero fertigte mit ihren Recherchen über die Opfer eine Datenbank an, die sie kostenlos online stellt, damit Aktivist*innen und Journalist*innen die Daten ergänzen können.
Der Staat handelt wenig effektiv und sucht kaum nach Lösungen für die tiefgreifenden Gefahren, denen sich Frauen täglich in vielen Regionen des Landes aussetzen müssen. Andrés Manuel López Obrador, Mexikos Präsident, zieht einen wenig radikalen Ansatz zur Lösung der Probleme des Landes vor: „Gewalt kann nicht mit Gewalt beantwortet werden, Feuer nicht mit Feuer gelöscht werden, Bösem nicht mit Bösem begegnet werden“. Leere Worte, die nur die staatliche Passivität im Kampf gegen Kriminalität gegen Frauen und Mädchen rechtfertigen soll.