Anfang Juni wurde ein Video von einer nun ehemaligen Mitarbeiterin des Catering-Service für den Fleischkonzern Tönnies auf verschiedenen sozialen Netzwerken veröffentlicht. Das Video zeigt, wie die Mitarbeiter*innen Deutschlands größter Fleischfabrik dicht aneinandergedrängt in einer Kantine von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, sitzen und essen. Von der filmenden Mitarbeiterin ist immer wieder der Satz: „Wie sollen wir uns hier schützen“ zu hören. Tönnies reagierte auf das Video und bestätigte seine Echtheit. Doch wie gravierend sind die Auswirkungen wirklich? Hat sich Corona in dem Unternehmen stärker verbreitet und ist das Virus auch auf das Fleisch übertragen worden?
Es ist noch ungeklärt, ob das Video vor oder nach den Corona-Vorsichtsmaßnahmen entstand. Seit dem 28. März ist das Video im Umlauf, die Beschränkungen traten aber schon ab dem 22. März in NRW in Kraft. Der Catering-Mitarbeiterin wurde nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung schlussendlich fristgerecht gekündigt. Bis zum 22. Juni waren bereits 1331 der 7000 Tönnies Mitarbeiter*innen in Rheda-Wiedenbrück infiziert. Während im Rest des Landes überall Lockerungen stattfanden, verhängte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet allerdings einen Lockdown bis zum 30. Juni über den ganzen Landkreis Gütersloh. Konkret bedeutet das Kontaktbeschränkungen, die erneute Schließung von Museen und Restaurantbesuche nur für Personen aus dem gleichen Haushalt. Die Landesregierung hat außerdem Polizist*innen losgeschickt, die kontrollieren sollen, ob die Tönnies Mitarbeiter*innen und die restlichen Personen des jeweiligen Hausstandes in ihrer Quarantäne verbleiben.
Die Produktion der Fleischfabrik wurde vorerst gestoppt. Es bleibt noch unklar, wann genau die Produktion wieder anfängt. Klar ist bis jetzt nur, dass es durch den Ausfall der Verarbeitung in der Tönnies-Fabrik zu viele Schweine gibt, die nicht geschlachtet werden können. Am Tag werden in der Fleischfabrik rund 20.000 Tiere geschlachtet, seit der Schließung fällt diese hohe Zahl weg. Torsten Staack, der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, erklärt, dass es „derzeit insgesamt etwa 100.000 Schweine“ gibt, die nicht weiterverarbeitet werden können. Diese Schweine bleiben bei den Halter*innen und nehmen so den Platz für neue Ferkel weg.
Überträgt sich das Virus auf das Fleisch?
Wie das Bundesinstitut für Risikobewertung der Süddeutschen Zeitung mitteilte, ist die Übertragung des Coronavirus auf das Fleisch „theoretisch denkbar und kann daher nicht ausgeschlossen werden“. Die Konsument*innen müssen das Fleisch hinreichend erhitzen und die Erreger würde sowieso abgetötet werden. Aldi ist der größte Abnehmer von Tönnies und teilte mit, dass sie auch weiterhin Fleisch aus dem Konzern beziehen wollen. Aber auch Edeka und REWE bieten Tönnies Produkte an. Unter anderem beziehen die Eigenmarke von Aldi, aber auch Dölling, Naumburger oder Zerbster Original ihr Fleisch von Tönnies.
Wie Anfang Juli herauskam war der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von März bis Mai als Berater für den Fleischkonzern tätig. Gabriel bekam im Monat ein Honorar von 10.000 Euro plus Zuschuss bei Reisetagen. Seine Beratertätigkeiten bezogen sich auf die Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest in Deutschland. Nach eigenen Angaben beendete er sein Vertragsverhältnis mit Tönnies aber aufgrund von gesundheitlichen Problemen. Der Bild Zeitung liegt nun offenbar ein Brief von Robert Tönnies vor, in welchem er davon abrät Gabriel zur Beratung einzusetzen. Er schreibt: „Die Verpflichtung ehemaliger Spitzenpolitiker für Unternehmen führt immer wieder zu unangenehmen Fragen der Öffentlichkeit und in Folge zu einem Imageschaden für das betroffene Unternehmen und den ehemaligen Politiker“. Das Image von Tönnies ist allerdings nicht nur durch die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister geschwächt worden, sondern vor allem durch den unvernünftigen und kurzsichtigen Umgang mit der Ernsthaftigkeit des Coronavirus.
Der ganze Tönnies-Skandal kann als Appell an die Fleischindustrie betrachtet werden: Das System und die Kette der Fleischproduktion lassen sich leicht zum einbrechen bringen. Vielleicht ist es an der Zeit die Produktion zu vermindern und mehr auf ethische und moralische Richtlinien zu achten, bezogen auf Mensch und Tier.