Mit der Entdeckung des größten Finanzskandals in der Geschichte der Bundesrepublik reichen die Ermittlungen weit über den Finanzdienstleister Wirecard hinaus. Nun stehen auch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) und der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY) in der Kritik.
Ende Juni hatte der Dax-Konzern Wirecard einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Landgericht München gestellt. Der Grund: Laut Aussagen des Unternehmens drohen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Hinter der Zahlungsunfähigkeit steckte jedoch kein Liquiditätsengpass, sondern ein Finanzloch in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, das EY im Jahresabschluss entdeckt hatte. Das Geld befand sich offiziell auf Treuhandkonten auf den Philippinen. Doch wie sich nun herausstellte gab es besagte Konten nie und folglich eine Summe in dieser Höhe auch nicht.
Der größte Finanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik endete aber lange nicht mit der Aufdeckung unrechtmäßiger Geldströme und dubioser Drittpartnergeschäfte. Im Zuge der Ermittlungen gerieten die BaFin und EY ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Fragen, wie Wirecard jahrelang die Bilanzen vor den Augen der Finanzaufsicht verschleiern konnte und die Testate vom Wirtschaftsprüfer EY für vergangene Jahresabschlüsse erhielt, bleiben zunächst ungeklärt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass britische Medien seit mehreren Jahren über die finanziellen Ungereimtheiten berichteten, rückte die deutsche Finanzpolitik in den Fokus der Kritiker.
In einem Interview mit „The Capital“ erklärte der Rechtsanwalt Peter Mattil, wieso Aktionäre ein Recht auf Schadensersatz von Wirecard und anderen Beteiligten haben. „Neben der Insolvenz der Wirecard AG machen wir Ansprüchen gegen verschiedene Personen geltend. Dazu zählt natürlich der Vorstand, aber auch der Aufsichtsrat. Denn der Aufsichtsrat hat die Pflicht, die Vorgänge im Unternehmen gründlich zu überprüfen und zu kontrollieren. Er steht damit in der Haftung. Das gilt auch für den Wirtschaftsprüfer EY“, teilte Mattil mit. Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird „… das Vermögen der Gesellschaft an die Gläubiger verteilt. Das Verfahren dürfte aber Jahre dauern. Das zweite ist, dass die Wirecard AG kein Vermögen hat. Dann spricht man von einer Einstellung mangels Masse. Dieses Gutachten ist in Auftrag gegeben. Zu welchem Ergebnis es kommt bleibt abzuwarten. Allerdings ist die Wirecard AG Besitzer der Wirecard Bank AG, daher ist mit einem Vermögen zu rechnen“, fügte er hinzu.
Neben der EY geriet auch der BaFin-Chef Felix Hufeld im Wirecard-Skandal unter Druck. In einer Anhörung musste sich Hufeld den kritischen Nachfragen des Finanzausschusses des Bundestags stellen und teilte mit, dass alles rechtmäßig abgelaufen sei und die BaFin nicht stärker hätte durchgreifen können. Eine Überprüfung des Kontrollprozesses ergab, dass die BaFin die Kontrolle von Wirecard gar nicht selbst durchgeführt, sondern einen externen Verein, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), beauftragt hatte. Dort wurde jedoch nur ein Mitarbeiter mit der Aufgabe betraut. Hinzu kam, dass die BaFin bereits mehrfach von Whistleblowern und anderen anonymen Quellen Informationen zu Unstimmigkeiten in den Bilanzen und Auslandsgeschäften erhalten hatte. Hufeld selbst bestätigte, dass diese Informationen auch berücksichtigt wurden, allerdings er nicht mehr dazu sagen könne. Der Prüfung der DPR dauere allerdings noch an, sodass noch kein abschließender Bericht vorgelegt werden konnte.
Kritiker sprechen von einem Versagen in den Kontrollinstanzen und Politiker forderten einen Neustart in den Führungsebenen der Aufsichtsbehörden. Die Hauptfrage, wer nun tatsächlich verantwortlich ist, blieb bislang ungeklärt und muss strafrechtlich ermittelt werden. Ob dabei auch den Wirtschaftsprüfern ein Fehler unterlief, konnte noch nicht ermittelt werden. Um weitere Fehler in der Kontrolle zu vermeiden hat die EU-Kommission nun die European Securities and Markets Authorities (Esma) zu Rate gezogen. Sie soll das Handeln der BaFin in der Wirecard-Affäre überwachen und bewerten.