Nachdem die USA sich große Bestände des neuen Corona-Wirkstoffs, Remdesivir, gesichert hatten, nahm die EU die Verhandlungen mit dem Hersteller Gilead Sciences auf.
Der Wirkstoff wurde Anfang Juli unter Auflagen für den europäischen Markt zugelassen und ist somit das erste Mittel zur Therapie von COVID-19, teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit. Die Zulassung „… eines ersten Medikaments zur Behandlung von Covid-19 ist ein wichtiger Fortschritt im Kampf gegen das Virus“, erklärte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Amerika hat sich bereits mit dem Hersteller in Verbindung gesetzt, um sämtliche Bestände der nächsten Monate zu sichern. Deutschland hingehen verfügte bereits über einen Vorrat des Medikaments. Er war für Arzneimittel-Härtefallprogramme zugänglich und wurde im Rahmen klinischer Studien genutzt. Die EU zieht nun nach und verhandelt mit Gilead Sciences über mögliche Reservierungen. Informationen zu der genauen Menge und den Kosten konnte die EU-Kommission bislang nicht geben, da die Verhandlungen noch am Anfang stehen.
Remdesivir wurde ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelt. Allerdings zeigte das Medikament nicht ausreichend Wirkung und wurde deshalb nicht für die Behandlung verwendet. Im Zuge der Pandemie wurde eine Wirkung auf Coronaviren entdeckt. Der Wirkstoff hemmt das Enzym des Coronavirus, das für die Vermehrung verantwortlich ist. Im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) wurden erste positive Ergebnisse einer Studie mit Remdesivir veröffentlicht. Von 1063 Teilnehmenden bekamen rund die Hälfte das antivirale Medikament. Die andere Hälfte kam in die Kontrollgruppe ohne Medikament. Das Ergebnis: Remdesivir verkürzte die Genesung um 4 Tage im Vergleich zur Kontrollgruppe und milderte den Verlauf des Lungenvirus. Das klingt auf den ersten Blick nach wenig Zeit. „Wenn man liest ‚vier Tage weniger krank gewesen‘, sagt man vielleicht: Naja, was soll’s? Macht das soviel aus? Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird, oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt,“ erklärte Gerd Fätkenheuer, ein an der Studie beteiligter Infektiologe.
Empfohlen wird die Verwendung bei Patienten ab 12 Jahren. Das Mittel wird über eine Infusion verabreicht und sei laut der Studie im NEJM seht gut verträglich. Besonders Patienten in einer frühen Phase der Erkrankung würden laut der Studie von Remdesivir profitieren. Die Wissenschaftler betonten jedoch auch, dass die Gabe allein zur Bekämpfung nicht ausreiche, denn es seien Teilnehmende aus beiden Gruppen am Virus verstorben. Dennoch ist es ein Anfang, der gerade schweren Verläufen entgegenwirken könne.
Die Zulassung von Remdesivir erfolgte im Schnellverfahren. Wenig verwunderlich bei einem Pandemiegeschehen. Doch Kritiker warnten vor dem neuen Wirkstoff. Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) kritisierte den „Hype“ um das neue Medikament. „Es fehlen definitiv valide und verlässliche Langezeitergebnisse für Covid-19-Patienten“, erklärte er. Bislang wurden nur Ergebnisse von Kurzzeitstudien aus den letzten Monaten publiziert. Für langfristige Ergebnisse war es noch zu früh. Und eine erfolgreiche Studie sei auch kein Beleg dafür, dass Remdesivir die Sterblichkeitsrate wirklich senken würde: „Es gibt keine Evidenz dafür, dass wir hier Leben retten.“
Dennoch ist Remdesivir ein Anfang, denn gerade bei der gesundheitlichen Versorgung von Corona-Infizierten ist jeder zusätzliche Tag entscheidend. Die Kosten für einen fünftägig Behandlung mit dem Corona-Medikament belaufen sich auf rund 2000 Euro und werden von der Krankenkasse übernommen.
Bisher haben sich die USA die Produktionsmenge bis September 2020 gesichert. Die derzeitigen Vorräte der deutschen Bundesregierung reichen zwar noch aus, aber im „ZDF-Morgenmagazin“ vom 02. Juli 2020 teilte der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit, dass er von Gilead Sciences erwarte, „dass Deutschland und Europa versorgt werden, wenn es um ein solches Medikament geht.“ Auch Fätkenheuer betonte gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass auch „… gesamtgesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte bei einem Medikament wie Remdesivir eine Rolle spielen.“