Wer hat eigentlich die Idee für einen Brexit gehabt? Wie sich mehr und mehr herausstellt: eine schwierige, teure und ökonomisch sehr zweifelhafte Angelegenheit. Damit tun sich die Briten bestimmt keinen Gefallen, wie immer sich mehr offenbart.
Großbritannien gehört zur EU, und dank des sogenannten EU-Passes können Geldhäuser von der Insel auch in allen anderen EU-Ländern ihre Bankgeschäfte betreiben. Noch. Mit Boris Johnsons neuem Hardliner-Kabinett ist ein EU-Ausstieg ohne Vertrag sehr viel wahrscheinlicher geworden. Aufs Neue ist offen, ob die ungeordnete „kein-Brexit-ohne-Vertrag-Fraktion“ sich beim Tricksen auf beiden Seiten des britischen Parlaments wird durchsetzen können. Der Chaos-Brexit droht. Vom 1. November an wäre das Vereinigte Königreich ein Drittstaat – ohne die so genannten Passporting-Rechte. Indes hat die EZB-Bankenaufsicht Geldhäuser in Großbritannien davor gewarnt, ihre Brexit-Vorbereitungen zu verlangsamen. Zwar verlegte ein gutes Dutzend Institute seinen Hauptsitz nach Frankfurt, andere wichen aus nach Dublin, Paris, Amsterdam oder Luxemburg. Doch es gibt auch noch Banken, die sich nicht in die Karten sehen lassen, ob sie bereits Pläne erarbeitet haben und in welchem Umfang. Bisher hätten die Banken erheblich weniger Aktivitäten, kritische Funktionen und Mitarbeiter auf den Kontinent verlegt als ursprünglich vorgesehen, hieß es am Mittwoch bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Ein ungeordneter Brexit sei immer noch eine reale Möglichkeit, vereinbarte Zusagen müssten eingehalten werden. So weit Notfallpläne für einen harten Brexit noch nicht bestehen, bedürften die Vorbereitungen einer Beschleunigung.
Hatten zuletzt noch viele auf ein Abkommen oder einen wie auch immer gearteten Exit vom Brexit gehofft, rückt Tag X in greifbare Nähe. Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbands ist überzeugt, dass die 27 EU-Staaten zu Recht nicht bereit sein werden, erneut mit den Verhandlungen von vorne anzufangen. „Die Rhetorik der neuen Regierung ist konfrontativ“, pflichtet ihm Marija Kolak bei, die Präsidentin der Genossenschaftsbanken. „Und deren Vorstellung, den Austrittsvertrag nachzuverhandeln, ist unrealistisch“ verweist sie auf Johnsons Kabinett. Einig sind sich beide in ihrer Folgenabschätzung: Ein No-Deal-Brexit bleibe unverantwortlich und hätte spürbare Folgen für Europas Banken.
Das bisherige Horrorszenario nähert sich damit dem wahrscheinlichsten Ablauf. Immer mehr Großbanken in Frankfurt und anderen EU-Ländern planen um. Dabei wird zunehmend deutlich, dass die nötigen Anpassungen mit dem „Tag X“ nicht enden, sondern erst richtig beginnen werden. Die Planungen der Citigroup gehen laut des neue Europachefs David Livingstone von einem Austritt ohne formelle Vereinbarung mit der EU aus. Den Fokus seines Hauses sieht er darin, für die Kunden bereit zu sein – was immer das bedeuten mag. „Und natürlich sind auch wir bis Ende Oktober in einer Art Warteschleife“, betont der Topmanager. Auf Ähnliches hat sich Guido Zoeller eingestellt, Deutschlandchef der französischen Großbank Société Générale. Auch er geht mittlerweile von einem No Deal als Basisszenario aus, um mit entsprechenden Plänen die Bankaktivitäten im Worst Case fortführen zu können. Er gibt sich ansonsten optimistisch: „Dank unserer Präsenz in Großbritannien und weltweit ist Société Générale gut aufgestellt, auch nach dem Brexit unsere Kunden zu betreuen – sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU.“
Die Banken haben seit dem Brexit-Votum 2016 einen Teil ihrer Hausaufgaben erledigt. Viele haben Vorkehrungen getroffen, damit sie auch nach dem „Tag X“ ihre EU-Kunden bedienen können, indem sie ihre Hauptsitze in die EU verlagert haben.
Die US-Investmentbank Morgan Stanley sieht sich ob des Umzugs nach Frankfurt gut gerüstet. Das Haus habe alle Vorbereitungen bereits vor Monaten abgeschlossen, berichtet Deutschlandchef Oliver Behrens, und bereits Anfang 2019 alle nötigen regulatorischen Freigaben erhalten. Die Mitarbeiterzahl in der hessischen Bankenmetropole wurde auf 300 verdoppelt, das neue Gebäude der EU-Zentrale biete sogar Platz für bis zu 600 Angestellte.
Weniger Auskünfte dringen aus der französischen Großbank BNP nach außen: „Brexit-Pläne und etwaige Auswirkungen kommentieren wir nicht.“ Schweigen ebenso beim US-Haus JP Morgan wie auch beim Düsseldorfer Ableger der britischen HSBC. Manche Auslandsbanken lassen das Hauptgeschäft weiter über London laufen und üben auf dem Kontinent. Für den Fall, dass der Brexit tatsächlich kommt.