Miami. Er gründete SUN Microsystems, er zählte zu den ersten Investoren bei Google. Heute ist der deutschstämmige Milliardär Andreas von Bechtolsheim Chairman von Arista Networks. In den 1970er-Jahren war er aus Deutschland in die USA gezogen. Im Interview mit der ZEIT lautet sein ungewöhnlicher Rat: Investieren Sie in Software!
Mit großem Respekt verweist der 63-Jährige darauf, dass Deutschland zu Recht stolz darauf sein könne, mit vielen Produkten weltweit führend zu sein und die stärkste Wirtschaft Europas aufgebaut zu haben. Nur in einem Schlüsselbereich klaffe eine bedeutende Lücke: Vom Walldorfer Unternehmen SAP abgesehen käme wenig Software von hier, und damit auch nicht die darauf basierenden Geschäftsmodelle. Für die digitale Zukunft bedeute das nichts Gutes.
Smartphones, Internetverbindung, Online-Einkauf. Statistiken schreiben den Deutschen auch in der Nutzung digitaler Dienste europaweit eine führende Rolle zu, nur knapp hinter den US-Amerikanern. Allerdings stammen dabei annähernd alle verwendeten digitalen Technologien aus den USA: Die Smartphones von Apple oder auf Basis von Googles Android. YouTube und Netflix streamen die Filme ins Wohnzimmer. WhatsApp und Facebook vernetzen uns sozial. Cloud-Dienste gibt es hierzulande auch, aber die größten heißen Amazon, Microsoft und Google. In der Spracherkennung ist Google führend. Kaum ein Weg führt im Online-Handel an Amazon und eBay vorbei. Von Bechtolsheim sieht Deutschland in einem Dornröschenschlaf, wenn es um die digitale Zukunft geht – und das sei ein erhebliches Problem.
Mehr als die Hälfte des Risikokapitals in den USA sei im vergangenen Jahr in Unternehmen geflossen, deren primäre Technologie Software ist, berichtet der Arista-Chef. Hardwarespezialisten hätten hingegen weniger als fünf Prozent des Wagniskapitals eingesammelt. Damit offenbare sich, wo die Venture-Capitalists die Zukunft sehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Software erlaubt zügiger als Hardware, Ideen umzusetzen. Jedes Update kann schnell weltweit verbreitet werden und die Software verbessern. Zudem lassen sich Softwareprodukte und digitale Dienste effizient auf die Bedürfnisse einzelner Kunden zuschneiden. Außerdem profitiere sie davon, dass Nutzer kontinuierlich über ihre Verwendung Feedback geben.
Als gutes Beispiel nennt von Bechtolsheim sein eigenes Unternehmen. Kerngeschäft von Arista Networks sei der Verkauf von Netzwerk-Schaltern. Doch mehr als 90 Prozent der Ingenieure seien Softwareentwickler. Wachstum und Markterfolg basierten vor allem auf den Softwareinnovationen. Die Firma baue auch sehr gute Hardware, sei aber eigentlich ein Softwareunternehmen.
Als wichtigste Softwaretechnologie der Zukunft sieht der Unternehmer die künstliche Intelligenz (KI), deren Entwicklung in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte verzeichnete. Die Beraterfirma McKinsey sieht deren Einsatzgebiet vor allem im Verkauf und im Marketing, und außerdem bei der Entwicklung von neuen Produkten. Damit sei KI für nahezu alle Industrien relevant. Nach Auskunft des Milliardärs rechnen Berater mit einem Anwachsen der globalen Wirtschaftsleistung dank KI um 3,5 bis 5,8 Billionen Dollar – so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Andreas von Bechtolsheim warnt davor, dass Deutschland bei diesem Thema abgekoppelt werden könnte, und zwar sehr schnell. In den USA führen die Internetfirmen Google, Microsoft und Amazon, gefolgt von Hunderten von Start-ups. Die haben allein 2018 mehr als zehn Milliarden Dollar Wagniskapital aufgetrieben. Um die KI-Forschung zu beschleunigen, hat die US-Regierung die American Artificial Intelligence Initiative angekündigt. Über 10 Jahre verteilt, habe auch die chinesische Regierung die Bereitstellung von 150 Milliarden Dollar angekündigt. In Deutschland hingegen seien weder im privaten noch im öffentlichen Sektor bedeutende Investitionen in KI sichtbar.
Die Übernahme der Weltherrschaft durch Künstliche Intelligenz bezeichnete der Computerspezialist als Hollywood-Fantasie, denn der Mensch setzte der KI Ziele und Grenzen. Realen Boden habe hingen die Befürchtung, dass das zukünftige Wirtschaftswachstum sehr von KI abhängt und Deutschland seine führende Stellung verliert. Das ginge dann schneller als erwartet. Von Bechtolsheim vermutet eine Steigerung der Innovationsgeschwindigkeit um den Faktor 10 während der kommenden 10 Jahre.
Deutschen Unternehmern rät der 63-Jährige, ihr Geschäftsmodell zu digitalisieren, in Software zu investieren und mehr Softwareingenieure einzustellen – egal, was sie herstellen. Software schreibt er das Potenzial zu, mehr und mehr das Fahrerlebnis im Auto der Zukunft zu prägen, medizinische Diagnosen zu erleichtern und die Suche nach Medikamenten zu beschleunigen. Softwaregestützte Innovationen werden nach seiner Ansicht den Finanzsektor transformieren, die Landwirtschaft verändern und Prozesse effizienter machen.
Selbst wenn im KI-Rennen heute die USA und China die Pole-Position einnehmen, sei es für Deutschland essenziell wichtig, ganz vorne mitzufahren. Im Verpassen dieser Zukunft sieht er für etablierte Firmen und Industrien das größte Risiko