In einer aktuellen Fernseh-Dokumentation gab es kürzlich eine interessante Berthold Brecht-Doku, die den bedeutenden deutschen Schriftsteller als Macho und Frauenheld darstellt, aber auch künstlerisch in wertvoller Aufarbeitung Leben und Wirken des Schriftstellers beleuchtet und neue Eindrücke seiner Person vermittelt. In diesem Rückblick wollen wir an diesen Ausnahme-Schreiber mit Jahrhundert-Potenzial erinnern und das Interesse an deutscher Literatur neu entfachen – soweit das im Zeitalter der Digitalisierung, der Video-Spiele und Netflix-Verfilmungen überhaupt möglich ist.
Einführung: Die erste Liebe, die erste Lüge. Bertolt Brecht und Paula Banholzer gehen am Ufer des Lech in Augsburg spazieren. Brecht redet und redet, er malt die gemeinsame Zukunft in den leuchtendsten Farben. Kein Wort ist ihm zu groß, kein Versprechen zu kühn. Doch Paula, Gymnasiastin und Arzttochter, misstraut diesem Brecht. Es braucht viele Wanderungen, bis sie dem jungen Mann, der sich als Dichter vorstellt, nachgibt. Sie gehen im Lech baden, und Brechtwird über diesen Tag im Frühling 1921 notieren: „Wir nehmen ein Sonnenbad im Kahn. Dann lehre ich ihr das Schwimmen.“ Darüber kann Paula Banholzer nur lachen. „Oh der Lügner, der Lügner!“ ruft sie. „Ich konnte doch schwimmen! Ich hab’s gelernt mit 12 oder 13 Jahren.“
Sie sagt das in die Kamera von Heinrich Breloer, einem Filmemacher, der sie in den 1970er Jahren interviewte. Nun hat Breloer alte Aufnahmen in ein abendfüllendes Dokudrama eingearbeitet. Sein Zweiteiler „Brecht“, der an einem Freitag ausgestrahlt wurde, erzählt das Leben des bedeutenden deutschen Schriftstellers. Es ist ein Leben, das Literatur von Weltrang hervorbringt und zugleich viele krumme Geschichten im Privaten, voller kleiner und großer Lügen. Breloer zeigt, wie Brecht seine Frauen erobert und dann ein perfides Spiel mit ihnen treibt: Er nährt die Hoffnung auf ein Leben an seiner Seite, fordert absolute Treue, doch echte Nähe hält er nicht aus und zieht sich schnell zurück. Brecht liebt aus der Halbdistanz, meist zwei oder drei Frauen gleichzeitig.
Breloer hat die Rolle des Brecht doppelt besetzt. Den jungen Schriftsteller spielt Tom Schilling mit viel Verve und Hang zur Melodramatik, den älteren Brecht stellt Burghart Klaußner als oftmals mürrischen Mann da, dem die Energie abhandengekommen ist, eine Frau im Sturm für sich zu gewinnen. Der alte Brechtvertraut ganz auf seine Aura beim Umwerben der oftmals wesentlich jüngeren Frauen. Er ist ein Großmeister des Theaters. Das muss genügen.
Brecht und die Frauen, das ist nicht nur die Geschichte gebrochener Herzen. Helene Weigel, der wohl wichtigste Mensch in Brechts Leben, war eine willens- und meinungsstarke Frau. Eine, die ihm Kontra gab. Eine, die ihr eigenes Glück nicht an das eines Mannes kettete.
Als Brecht sie im Berlin der 20er Jahre kennenlernt, ist Helene Weigel schon eine arrivierte Schauspielerin. Brecht muss begreifen, dass seine bewährte Eroberungsstrategie — Bildungshuberei in Kombination mit forschem Auftreten — bei Weigel so gar nicht verfängt.
Ein durchaus schmerzhafter Lernprozess: Als Brecht bei Weigel übernachten will, bietet sie ihm das Sofa an. Er klopft an ihre Schlafzimmertür, will zu ihr ins Bett steigen, weil es angeblich so kalt ist auf der Couch. Weigel stapft zur Tür, drückt Brecht eine zweite Decke in die Hand und verpasst ihm eine Ohrfeige.
Brecht und Weigel nähern sich nur langsam an. Sie werden schließlich ein ungleiches Künstlerpaar: Da ist Helene Weigel aus Wien, die mit beiden Beinen im Leben steht. Und da ist Brecht, der sein schüchternes Wesen oft durch Großmäuligkeit zu kaschieren versucht. Brecht fühlt sich in der Welt des Theaters am wohlsten; er entwickelt eine eigene Dramentheorie, er will das klassische Illusionstheater aufbrechen durch Verfremdungseffekte, er will sein Publikum über den Verstand erreichen, nicht über Empathie. Helene Weigel bringt seine Stücke auf der Bühne zum Glänzen — und sie organisiert Brechts Leben. Öffentliche Auftritte mag Brecht nicht, also spricht sie für ihn. Sie tut das alles, ohne zu einer Dienstbotin zu schrumpfen. Gerade weil sie so kantig und selbstbewusst ist, eben weil sie Reibungsflächen bietet, hält Brecht bis zu seinem Tod an ihr fest.
Weigel und Brecht haben zwar zwei Kinder miteinander, dennoch verabreden sie eine offene Beziehung. Brecht eröffnet das die Möglichkeit, seine Liebschaften weiterzuführen — doch geheuer ist ihm dieses Beziehungsmodell nicht. Die Freiheiten, die er sich selbst nimmt, gesteht er Weigel nicht zu. Er wird rasend eifersüchtig, wenn er von Beziehungen zu anderen Männern erfährt. Er schreibt Weigel dann nervöse Briefe: „Gehe ich Dir ab??? Bist Du auch zurückhaltend gegen die Herren und ordentlich früh und spät???“
Helene Weigel ist da souveräner. Die Vielweiberei sieht sie Brecht nach, offenbar innerlich unbeteiligt. Wie anders ist zu erklären, dass sie mitunter sogar Brechts Beziehungsleben ordnet? Als Brecht erfährt, dass seine Jugendfreundin Paula Banholzer einen Augsburger Kaufmann heiraten will, wühlt ihn das mächtig auf. Zwei Wochen vor der Hochzeit ruft Weigel bei Paula an und sagt, dass Brecht sie nach Berlin holen wolle. Er habe auch schon eine Arbeitsstelle bei einer Bank für sie. Sogar mit Paulas EItern spricht Weigel, sie reist dafür eigens nach Augsburg. Doch Paula, die Brecht immer „Bi“ wie „Bittersweet“ nannte, lässt sich nicht umstimmen. Sie hat genug vom flatterhaften Brecht und bleibt in der Heimat.
Der englische Germanist Stephen Parker, der 2018 bei Suhrkamp eine sehr lesenswerte Brecht-Biografie herausgebracht hat, vergleicht Brecht und Weigel mit dem französischen Intellektuellenpaar Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Auch hier stützte sich die Beziehung auf eine selbstbewusste, emanzipierte Frau. Simone de Beauvoir gilt bis heute als eine der wichtigsten Feministinnen. Neben Weigel spielte Elisabeth Hauptmann eine herausragende Rolle für das künstlerische Schaffen Brechts. Sie begann 1924 als seine Sekretärin und war schon bald mehr als das: Als Tochter einer amerikanischen Mutter erschloss sie Brecht die englischsprachige Literatur und schrieb gemeinsam mit ihm Theaterstücke.
Brechts Assistentin zu sein, verlangte Hauptmann totale Hingabe ab. Schließlich, so schreibt der Brecht-Biograf Parker, wollte der große Dichter auch seine „physischen und sexuellen Bedürfnisse“ befriedigt wissen. Als Hauptmann 1929 erfährt, dass Brecht mit Helene Weigel verheiratet ist, versucht sie sich das Leben zu nehmen.
Nach Brechts Tod 1956 führte Helene Weigel das Theater am Schiffbauerdamm in Ost-Berlin weiter und machte es zu einer der bedeutendsten Bühnen Europas. Noch immer zehrt das Berliner Ensemble vom Ruhm der frühen Tage. Es ist zu einer Weltmarke geworden und wird zu zahlreichen Gastspielen eingeladen. Das Berliner Ensemble gilt noch immer als die große Brecht-Weigel-Bühne.
Vor allem im zweiten Teil seines Dokudramas beleuchtet Heinrich Breloer Brechts Wirken als Theaterautor. Das führt zu einigen zähen Szenen; immer wieder sieht man Brecht in Proben sitzen, rauchend, ein paar knappe Regieanweisungen bellend. Ein prominentes Brecht Stück nach dem anderen hechelt Breloer durch, das Setting bleibt jedoch stets dasselbe.
Rein inhaltlich ist diese Würdigung angemessen. Brecht zählt bis heute zu den meistgespielten Dramatikern. 70 bis 80 seiner Stücke werden pro Spielzeit auf deutschsprachigen Bühnen gegeben. „Die Dreigroschenoper“ liegt seit fast 30 Jahren an erster Stelle, gefolgt von „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“.
Gegen Ende von Breloers Brecht-Zweiteiler wird der Zuschauer noch einmal in einen Schraubstock gespannt. Es ist schwer mit anzusehen, wie Brechts Freundin Ruth Berlau zerbricht. Sie hatte gehofft, Brecht durch ein gemeinsames Kind an sich binden zu können — doch das Baby stirbt einen Tag nach der Geburt. Brecht hält sich von Berlau fern, ihre Gefühlsausbrüche überfordern ihn. Berlau erleidet Depressionen, wird ans Bett geschnallt und mit Elektroschocks behandelt. Brecht hinterlässt ein zerstörtes Leben. Insgesamt 180 Minuten lang versucht Heinrich Breloer, diesen Brecht zu entschlüsseln. Es bleibt eine Annäherung; er ist kaum zu verstehen in all seinen Widersprüchen und Abgründen. Die Schauspielerin Regine Lutz, auch sie wurde von Brecht begehrt, bündelt das lakonisch in zwei Sätze: „Er hat mich gekannt. Aber ihn konnte man nicht kennen.“