Jugendliche, die sich heutzutage austoben wollen, machen Computerspiele – und die Besten unter ihnen werden E-Sport-Profis mit irren Gehältern bis 15.000 Euro im Monat. Sie gehören Vereinen an, genau wie in der Fußball-Bundesliga, z.B. Schalke 04, und ergänzen die Profis vom Rasensport auf den Bildschirmen, indem sie „League of Legends“ spielen. Sie leben, essen und trainieren wie die Fußball-Profis und spielen und trainieren bis zu 19 Stunden pro Tag.
Als Elias L. um 13 Uhr zum Training kommt, steht das Mittagessen auf dem Tisch. Vom Lieferservice: koreanisch, Reis mit Hühnchen und Gemüse. „Unsere Spieler sollen sich gesund ernähren“, sagt Nicolas F. Für den einen oder anderen der fünf Jungs war das anfangs durchaus eine Umstellung. Aber sie hätten schnell gelernt, sagt F., der Mann, der sie managt, dass sie dank einer gesunden Ernährung leistungsfähiger und konzentrierter seien.
Elias fläzt sich aufs Sofa. Er trägt einen Hoodie mit Schalke-Logo, wirkt etwas blass, obwohl er bis mittags geschlafen hat. Aber soll niemand sagen, dass Daddeln nicht anstrengend ist, vor allem wenn man es professionell betreibt. Als E-Sportler verbringt Elias zehn bis zwölf Stunden täglich am Bild schirm. Er ist 19, nennt sich „Upset“ und ist seit drei Jahren Profi bei Schalke 04. Auf dem Sofa neben ihm seine vier Mitspieler: Felix aus der Nähe von Karlsruhe, Dong-Geun aus Südkorea, Andrei aus Rumänien und Jonas aus Schweden. Der Trainer kommt aus Kanada, sein Assistent ist Amerikaner.
Später sitzen sie im Trainingsraum nebeneinander auf ihren Gamer-StühIen vor den Bildschirmen, Headsets auf dem Kopf, Cola-Dosen auf dem Tisch, während Dylan F., der Trainer, ihnen über die Schulter sieht. Sie spielen „League of Legends“, ein Strategiespiel, das weltweit von mehr als 100 Millionen Menschen gezockt wird. Zwei Mannschaften mit je fünf Spielern stehen sich gegenüber. Es gibt rund 150 verschiedene Charaktere, Magier, Ninjas, Monster und Drachen, aus denen die Teams auswählen können; es geht darum, die Festung des Gegners zu zerstören.
„Ein Spieler auf diesem Niveau“, sagt der Trainer F. „braucht eine gute Reaktion und Koordination, vor allem muss er in der Lage sein, Probleme schnell zu lösen.“ Flinke Finger benötige man auch, aber die sind nicht so entscheidend, die Spieler müssen eher mental in Form sein. Aber weil ein bisschen Bewegung nie schaden kann, hat der Teammanager F. einen Fitness-Trainer für seine Spieler engagiert. Und er hat eine Psychologin angestellt, die sich um die Teamchemie kümmern soll, um das mentale Coaching sowie ums „Well-Being“.
Daddeln in Königsblau
Schalke, eigentlich ein traditionel1er Fußballverein, nimmt den E Sport sehr ernst. Der Club hat für die E-Sportler zwei Wohnungen in Berlin-Charlottenburg angemietet, in der einen leben die Spieler, in der anderen sind die Geschäftsstelle sowie die Trainingsräume untergebracht. „s04″steht auf dem Klingelschild. Altbau, 200 Quadratmeter mit Fischgrät-Parkett. Die Wände sind in Königsblau gestrichen, in Schalkes Vereinsfarbe; ein Zimmer wurde zu einer Lounge mit Coffee Shop-Atmosphäre hergerichtet. Im Trainingsraum stehen die Tische mit den Computern, Stühle mit Schalke-Logo und eine sehr große Leinwand, auf der Spielszenen analysiert werden. Im Büro des Managers stapeln sich die Kisten mit Energy-Drinks und Kartons mit Protein-Riegeln. An den Wänden hängen noch ein paar Bilder von der Veltins-Arena, dem Stadion in Gelsenkirchen. Auf einem Foto ist Huub Stevens zu sehen, der Trainer, mit dem Schalke im Jahr 1997 den Uefa-Cup gewann. Die kommen aber weg, die passen nicht mehr zum neuen Stil. Mit Fußball haben die E-Sportler wenig am Hut.
Für Schalke 04 ist der E-Sport eine Investition in die Zukunft. Acht Millionen Euro hat der Verein bezahlt, um in der LCE dabei zu sein, der „League of Legends European Championship“. Während sich andere Bundesligavereine in ihren E-Sport-Abteilungen auf virtuellen Fußball konzentrieren, ist Schalke einen anderen Weg gegangen. Der Club hat sich zusätzlich für das „League of Legends“ entschieden: „So gewinnen wir Fans, die sich zuvor vielleicht nicht für den Fußballverein Schalke 04 interessiert haben“, sagt F. „Der E-Sport kann — nach dem Fußball – die zweite treibende Kraft in Deutschland und Europa werden.“ Es geht um die Generation Internet, um die Jugendlichen, die ihre Freizeit vor dem Bildschirm verbringen. Ein riesiger Markt. „League of Legends“ wurde 2009 von der Firma „Riot Games“ entwickelt. Vor dieser Saison hat sie die Regeln geändert: Die Teams sind nun Teilhaber der Liga, sie können nicht absteigen, was lukrativer ist für die Sponsoren, und sie werden • an den Gewinnen beteiligt. Vieles ist mittlerweile so wie im Fußball: Die Spieler haben Agenten, es gibt einen weltweiten Transfermarkt und eine Transferperiode am Ende der Saison, in der Spieler die Teams wechseln dürfen. Für die Stars werden auch mal sechsstellige Ablösen gezahlt. Auch Schalke hat für diese Saison ein neues Team zusammengekauft. Elias L. ist der einzige, der vorige Saison schon dabei war. Er und die anderen Spieler leben fünf Minuten von der Geschäftsstelle entfernt in einer 250 Quadratmeter großen Wohnung, die ebenfalls von Schalke bezahlt wird. F. hat ihnen die Zimmer eingerichtet, und als sich anfangs die Nachbarn beschwerten, weil die Stühle zu laut über die Dielen rollten, hat er Bodenschutzmatten besorgt. Er hat eine Firma beauftragt, die wöchentlich die Wohnung reinigt. Er achtet darauf, dass die jungen Männer regelmäßig Obst essen, dass sie Vitamin D zu sich nehmen, weil sie oft zu wenig Sonne abbekommen, und dass sie genug Schlaf finden, weswegen in der WG um zwei Uhr nachts das WLAN abgestellt wird.
Für die fünf jungen Spieler beginnt der Arbeitstag um 13 Uhr. Nach dem Essen macht jeder für sich ein Aufwärmspiel, ab 14 Uhr beginnt das Teamtraining mit Spielen gegen andere Mannschaften. Wenn sie gegen 21Uhr zurück in ihre Wohnung kommen, ziehen sich die Spieler in ihre Zimmer zurück. „Wir sind den ganzen Tag zusammen; sagt Elias. „Da ist man abends froh, mal Zeit für sich zu haben.“ Allein sein heißt in dem Fall: im Einzelmodus weiterspielen.
15 000 Euro Monatsgehalt
Elias L. ist in Luchert aufgewachsen, einem Dorf im Westerwald. Mit fünf bekam er seinen ersten Gameboy, mit zehn fing er an, „League of Legends“ zu spielen. Er erinnert sich an Konflikte mit den Eltern, die gar nicht begeistert waren, dass ihr Sohn den ganzen Tag vor dem Bildschirm saß, auch weil er damals unter Kopfschmerzen und Migräne litt. Mit 16 bekam Elias das Angebot von Schalke 04; seine Eltern nehmen das Daddeln seitdem ernst. Elias hat in der elften Klasse die Schule verlassen und einen Dreijahresvertrag als Profi unterschrieben. Was die Schalke Profis verdienen, möchte F. nicht verraten. Vom besten Spieler aber, einem Koreaner namens „Faker“, weiß man, dass er etwa zwei Millionen Euro im Jahr erhält. Profis in Europa verdienen zwischen 10.000 und 15.000 Euro im Monat.
Fünf junge Männer im Alter zwischen 19 und 24 Jahren, mit genügend Geld, gemeinsam in einer riesigen Wohnung in Berlin — das könnten beste Bedingungen sein für wilde Partys. Aber dafür seien die Spieler viel zu professionell, sagt F. „Sie wissen genau, worauf es ankommt, und sind einfach zu managen.“ Ab und an gebe es Meinungsverschiedenheiten untereinander; schließlich verbrächten sie sieben Tage die Woche miteinander. Nur Aufräumen könnten sie noch lernen, immer malwieder muss F. ihnen sagen, dass sie die Kleidung nicht einfach auf dem Boden liegen lassen und die Kartons wegräumen sollen, wenn sie sich abends doch mal Pizza kommenlassen. Ein paar der Jungs haben eine Freundin, aber es ist vor allem das Computerspielen, für das sie sich begeistern. F. sagt: „Für Jugendliche heutzutage ist das Computerspielen eine Möglichkeit, sich auszuleben, Freundschaften aufzubauen und über große Entfernungen mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben.“ Soll aber niemand sagen, dass Daddeln immer Spaß macht. „Während der Saison kann das auch schon mal Stress sein“, sagt Elias L, „wir führen ein professionelles Leben, das sich vor allem um unseren Sport dreht.“ Jeden Freitag- und Samstagabend werden die Spiele ausgetragen. Ein Shuttle holt die E-Sportler ab und bringt sie nach Adlershof in das Studio. Seit drei Jahren spielt die höchste Liga Europas in Berlin; neun der zehn Mannschaften leben hier in Gamer-Häusern. Nur eine fliegt jedes Wochenende aus Kopenhagen ein. Das Studio sieht aus wie bei einer Gameshow im Fernsehen, bunt, grell, zwei Moderatoren, die live kommentieren, und 200 meist junge Zuschauer, die das Spiel auf einem großen Monitor verfolgen. Wer sich nicht auskennt, ist erst mal überfordert. Er sieht Figuren herumlaufen, ab und an Blitze und Feuerbälle, und wundert sich, wenn der Nebenmann plötzlich aufschreit und zu jubeln beginnt. Die Profis starren ungerührt auf ihre Bildschirme und halten zwischendurch mit einem Handwärmer ihre Finger beweglich. Die Spiele sind live bei Twitch und Youtube zu sehen. Anschließend nehmen sich die fünf Schalke-Profis Zeit für Fotos mit ihren Fans, unter ihnen junge Frauen in Schalke-Trikots, die ein Gruppenbild wollen und sich ihre Trikots signieren lassen. Elias L. ist einer der bekanntesten Spieler in der Szene, aber seine Popularität beschränkt sich aufs Netz. Auf der Straße wird er selten erkannt.
2018 hat es Schalke fast bis zur Weltmeisterschaft geschafft.
Im europäischen Finale unterlag das Team dem Titelverteidiger Fnatic aus London. Das Spiel fand in Madrid statt, vor 12000 Zuschauern im Pala cio Vistalegre, wo sonst Stierkämpfe und Konzerte ausgetragen werden. Schalke-Trainer Dylan F. weiß, wie es ist, bei einer WM dabei zu sein. Er war der Trainer von Fnatic und hat das Team sogar ins WM-Finale gecoacht. Das fand im Munhak Stadion im südkoreanischen Incheon statt, das 50 000 Zuschauer fasst und für die Fußball-WM von 2002 gebaut worden war. Weltweit verfolgten mehr als 200 Millionen Zuschauer das Spiel. „Eine unglaubliche Atmosphäre“, sagt F. Es sei der Traum eines jeden Spielers, bei einer WM spielen zu dürfen.
Die letzten Spiele liefen nicht gut für Schalke; die Mannschaft hat die Playoffs verpasst und somit das europäische Finale, das dieses Jahr in Rotterdam stattfand. Die Schalke-Spieler machten danach ein paar Tage Urlaub. Die Hoffnung ruht auf der Sommersaison, die im Juni losgeht. Wie beim Fußball ist die Zeit für Profis begrenzt, spätestens mit Ende 20 ist die Karriere vorbei, oft schon früher. Weil der Druck immens ist — eine Saison, in der man nicht gut performt, und alles kann vorbei sein. Außerdem ändern sich bei „League of Legends“ ständig die Regeln; man muss das Spiel immer wieder neu verstehen. Einige der Spieler verfolgten irgendwann andere Interessen, sagt der Ex-Profi Maurice St., der bis vor kurzem das Nachwuchsteam von Schalke betreut hat. Einige, wie St., finden Jobs im E-Sport, als Trainer oder Betreuer. Im besten Fall hat ein Spieler bis zum Karriereende genug Geld zusammen. Für Jugendliche, die von einem Leben als Profi träumen, hat Dylan F., der Trainer, einen guten Rat: „Setzt nicht alles auf eine Karte. Geht auch mal raus, trefft euch mit Freunden!“ Denn die wenigsten schafften es bis zum Profi.