Auf der Werft, da ist der Teufel los. Nicht erst seit kurzem, sondern schon so lange, wie man dort gemerkt hatte, dass man die bundesdeutsche Ministeriums-KUH lukrativ melken kann. Seit eine alte, marode Schulschiff-Ruine namens Gorch Fock dort angelandet wurde, um das gute alte Renommier-Schiff wieder auf Vordermann zu bringen. Seit dem Zeitpunkt ist der „Reichtum“ auf der Elsflether Werft ausgebrochen und es gibt offenbar niemanden, der den Hahn zudreht, um diese sprudelnde Geldquelle zu stoppen. An der sich Hinz und Kunz finanziell „gesund stossen“, ohne dass ein Finanzvorstand oder Betriebsprüfer sein Veto einlegt. Kann das wirklich wahr sein?
Es gab Tage in der Elsflether Werft, da waren die Übergänge zwischen privaten und dienstlichen Angelegenheiten fließend. Der 5. März vergangenen Jahres war so ein Tag. Vorstand Klaus W. machte einen Einkauf bei Ikea. Ein Eckschrank »Utrusta« und Küchenelemente vom Typ »Ringhult« standen auf der Rechnung. Der Werftchef, das muss man wissen, war gerade mit seiner Freundin in eine hübsche Erdgeschosswohnung umgezogen, direkt am Wasser. Der Tischler jedoch, der die Möbel bei Ikea abholte und im neuen Zuhause seines Chefs aufbauen musste, kam von der Werft. Die beiden Ikea-Rechnungen in Höhe von insgesamt 4156 Euro bezahlte W. von einem Konto des Unternehmens. Hilfreich zeigte sich der Betrieb auch, als Klaus W. seinen Wohnwagen verkaufen wollte. Weil dem Käufer, einem Mitarbeiter der Werft, das Geld fehlte, gewährte ihm die Firma ein Darlehen über 20.000 Euro. Der Kredit war sofort auszuzahlen, in bar. Besonders praktisch: Der Käufer erhielt eine Gehaltserhöhung. So konnte er die monatlichen Raten von 300 Euro ohne Einbußen begleichen. Und dann waren da noch die ganz großen Darlehen, die Klaus W. und Co-Vorstand Marcus R. an ihre eigenen Gesellschaften vergaben und dann investierten: 800.000 Euro steckten sie in eine Hamburger Filmgesellschaft, sechs Millionen Euro schickten sie in die Mongolei — für den Erwerb einer Goldmine.
Was haben Ikea-Küchen, Wohnwagen und Goldminen mit dem Geschäft einer kleinen Werft zu tun, die eigentlich mit der Sanierung des Marineschiffs »Gorch Fock« mehr als genug Arbeit hat? Fragen wie diese klären zurzeit die Osnabrücker Staatsanwaltschaft und die Oldenburger Polizei, die dafür die Soko »Wasser« gegründet hat. Die Vorwürfe: Bestechung gegen Klaus W., Untreue gegen beide Vorstände. Auf Anfrage bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass sie ihre Ermittlungen ausgeweitet hat: wegen »Betruges zum Nachteil der Marine«. Wer die Beschuldigten sind, hat die Behörde nicht mitgeteilt.
Ein Konvolut aus internen Akten, Rechnungen, E-Mails und Kontoauszügen zeigt, wie in den vergangenen Jahren Millionensummen aus der Werft abflossen. Es geht um ein Geflecht aus Firmen und Subunternehmen, um frisierte Rechnungen, schnelle Autos und private Darlehen. Also ums große Geld.
Im Dezember stoppte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als wichtigste Kundin vorübergehend die Zahlungen an das Unternehmen. Im Februar beantragte die Elsflether Werft Insolvenz. Die beiden Vorstände Klaus W. und Marcus R. mussten ihre Posten räumen. Ihre Nachfolger sollen nun die Werft retten und die »Gorch Fock« zu Ende bauen. Der Druck ist ohnehin immens, nachdem die Sanierungskosten für das einst für 8,5 Millionen Mark gebaute Segelschulschiff auf 135 Millionen Euro gestiegen sind. Das Problem: Nicht nur bei der »Gorch Fock« gibt es offene Rechnungen. Insgesamt fordern Gläubiger bis zu 27 Millionen Euro. Die Werft steht vor dem Neuanfang — oder vor dem Aus.
Elsfleth ist ein kleines Städtchen hinterm Deich, dort wo die Unterweser idyllisch in die Breite geht. Am Kai liegen ein paar kleine Schiffe, die große Halle steht leer. Fast jeder hier kennt den ehemaligen Werftchef Klaus W. und seine Vorliebe für schnelle Autos. Einen 5er BMW fuhr er als Dienstwagen, privat einen Jaguar. Der 50-Jährige ist ein lockerer Typ mit Halbglatze und schwarzgrauem Vollbart, der lieber T-Shirt und Jeans als maßgeschneiderte Anzüge trägt. Beim 100-jährigen Jubiläum öffnete der Vorstand 2016 die Tore der Werft für Besucher. Auch eine reiche Hamburger Reederin kam zu besonderen Anlässen nach Elsfleth. Brigitte Rohden war die Eigentümerin der Werft. Ihre Anteile hatte sie an eine Hamburger Stiftung übertragen. Mit den Gewinnen, so die Idee, sollte die »Sky-Stiftung« Jugendprojekte fördern. Doch nennenswerte Überweisungen an die Stiftung blieben aus — trotz Millionenumsätzen. Zum wichtigsten Mann in diesem Konstrukt machte Rohden ihren Vertrauten Marcus R. Er lenkte als Chef die »Sky Vermögensverwaltungsgesellschaft« und als Co-Vorstand neben W. die Werft. Der Hamburger Anwalt, nebenbei Honorarkonsul der Mongolei, ist das Gegenteil von W., ein piekfeiner Jurist mit Kanzlei an der vornehmen Elbchaussee.
Der Niedergang begann vermutlich am 20. April 2016. Um 14 Uhr eröffnete Britgitte Rohden in Hamburg die Aufsichtsratssitzung der Elsflether Werft. Marcus R. beantragte im Namen der Reederin, »unbesicherte Darlehen« in Höhe von bis zu acht Millionen Euro aus der Werft freizugeben. Die Gelder sollten an eine Gesellschaft namens »Intermartec« fließen. War der betagten Reederin bewusst, dass damit ihre Millionen an eine Firma gehen sollten, die den beiden Vorständen R. und W. zu je 50 Prozent privat gehörte? Fragen kann man sie nicht mehr — Brigitte Rohden starb Anfang 2018 im Alter von 77 Jahren.
Der Aufsichtsratsbeschluss verwandelte die Elsflether Werft in eine scheinbar niemals versiegende Geldquelle. Als Geschäftsführer ihrer »Intermartec« setzten die beiden Vorstände einen jungen, unerfahrenen Bekannten ein, Enrico P. Der heute 30-Jährige arbeitete zugleich als Chef der EWV GmbH, einer Tochterfirma der Elsflether Werft — und sollte von dort die Millionenbeträge an das Privatunternehmen von R. und W. überweisen. E-Mails zwischen Enrico P. und Angestellten der Werft zeigen, wie unkompliziert die Geldtransfers abliefen. »Liebe Margot«, schrieb er am 20. Dezember 2016, »könnt ihr bitte einmal 115 000 Euro als Darlehen zur EWV überweisen. Marcus und Klaus hatten das schon miteinander abgesprochen.
P. schickte die E-Mails aus dem Urlaub oder aus der Hamburger Kanzlei von Marcus R., wo auch die »Intermartec« vorübergehend angemeldet war. Sie waren locker und formlos, manchmal versehen mit einem Smiley. »Bei Fragen klingel gerne bei mir durch«, heißt es in einer anderen Mail. Aber warum sollte jemand aus der Werft nachfragen? Enrico P. handelte direkt im Auftrag der Vorstände. Egal ob es um kleine Summen oder größere Beträge ging — ein Einzeiler genügte. »Könnten Sie bitte so freundlich sein und 700 000 Euro auf unser Stammkonto überweisen?«, schrieb Enrico P. Den Journalisten sagte P., er habe Marcus R. in einem »gastronomischen Betrieb« kennengelernt. Sonst wolle er sich nicht äußern. Der Werft ging es unterdessen immer schlechter. Ende 2016 machte sie noch Gewinne in Höhe von gut neun Millionen Euro. Ende 2017 landete sie in den roten Zahlen. »Wir haben nachträglich für das Jahr 2017 mit minus sechs Millionen Euro eine Überschuldung festgestellt«, erklärte der neue Vorstand Axel Birk, »die Werft blutete förmlich aus.« Die Geldabflüsse schienen lange Zeit kein Problem gewesen zu sein — schließlich hatte die Werft mit der Bundeswehr einen Großkunden, der für sein so marodes wie geliebtes Segelschulschiff »Gorch Fock« nahezu jeden Preis zu zahlen bereit war. In nur drei Jahren stiegen die Sanierungskosten für das in Bremerhaven liegende Schiff von 9,6 auf 135 Millionen Euro. Zuvor ließ das Marinearsenal als zuständige Dienststelle in Elsfleth bereits andere Schiffe großzügig instandsetzen.
Es waren ideale Voraussetzungen für ein augenscheinliches Kickback-System, das Werftmanager wohl schon vor Jahren etablierten.
Subunternehmer der Werft wussten offenbar, dass sie bei Marineaufträgen in Elsfleth großzügig kalkulieren mussten. Jedes ihrer Angebote wurde den Marineprüfern vorlegt, die eigene Büros im Verwaltungsgebäude der Werft hatten. Die gingen die Einzelposten durch, machten hier und da Abstriche, bevor sie die Aufträge freigaben. So lief es auch bei der »Gorch Fock«.
Was den Marineleuten offenbar nicht klar war: Von den Schlussrechnungen der Subunternehmer behielt die Werft in der Regel am Ende 15 Prozent für sich ein — eine Art Dankeschön für den Großauftrag. Mit den Kürzungen der Prüfer wurde dieser nachträgliche Rabatt verrechnet. Je mehr bemängelt wurde, desto weniger blieb als Extra bei der Werft hängen. »Alle wussten von dem Bonussystem«, erklärt ein Firmenchef; um ihre Aufträge nicht zu verlieren, hätten sie mitgemacht. Leitende Mitarbeiter von drei Unternehmen, die ihre Namen nicht nennen möchten, haben gegenüber einem Nachrichtenmagazin diese Abrechnungspraxis bestätigt.
Birk stieß bei der Übernahme des Betriebes auf Unterlagen, die diese Kickback-Zahlungen ebenfalls belegen. »Es geht vermutlich um einen erheblichen Schaden für den Bund«, sagt Birk. Eine interne E-Mail zeigt, wie die Werft von einem der Subunternehmen sogar gefälschte Rechnungen erbat: »Des Weiteren brauche ich, wenn es möglich ist, zwei Fake-Rechnungen von Ihnen«, schrieb eine Angestellte der Werft am 16. Oktober 2012 an die Firma. Es folgt ein vorformulierter Text mit der gewünschten Abrechnungsposition »Pos 233«. Der Preis: 1180 Euro.
Eine entsprechende Gutschrift solle wieder »direkt an uns gehen«. Weiter unten heißt es weiter: »Eine dritte Sache wäre auch wieder eine Fakerechnung.« Das Schreiben bezieht sich auf die Reparatur des Versorgungsschiffs »Ammersee« — es legt nahe, dass die Werft offenbar schon vor sechseinhalb Jahren zulasten der Marine getrickst hat.
Von der Leyen räumt inzwischen auch Fehler ihrer Organisation im Umgang mit der »Gorch Fock« ein. Der Skandal ist allerdings noch nicht ausgestanden. »Mir stockt schon der Atem, wenn jetzt scheibchenweise herauskommt, mit welchen Methoden die alte Werftleitung agiert hat«, erklärt die Ministerin. Die erste Schockwelle erreichte sie im Dezember. Da wurde bekannt, dass sich einer ihrer Marineprüfer in Elsfleth selbst angezeigt hatte: Peter G. hatte von der Werft, deren Angebote er kontrollierte, ein großzügiges Darlehen in Höhe von 400.000 Euro für den Bau einer Seniorenresidenz erhalten. Er war privat in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Ein weiteres Darlehen in selber Höhe bekam Peter G. von der »Intermartec«, der privaten Firma der beiden Werftvorstände. Die Staatsanwaltschaft geht der Frage nach, ob der Prüfer dafür ab und zu ein Auge zudrückte, und ermittelt gegen W. wegen Bestechung. Der Prüfer und W. bestreiten die Vorwürfe.
Das Ausmaß der großzügig vergebenen Darlehen und privaten Nebengeschäfte wurde erst deutlich, als die Werft am Jahresanfang ein neues Management bekam. Klaus W. feierte gerade im Büro seinen 50. Geburtstag und hielt ein Stück Kuchen in der Hand, als am 30. Januar die Ablösung anrückte. Der neue Vorstandschef Axel Birk ließ alle Schlösser der Werft umprogrammieren und wies die Angestellten an, dass keine Unterlagen die Büros verlassen dürften — so berichten es Anwesen de übereinstimmend. W. musste das Gelände unverzüglich verlassen. Den Kuchen ließ er stehen.
In seinem Büro fanden sich eine Kladde mit einem handschriftlich verfassten Papier und der Entwurf eines Vertrags, in dem die Überweisungen aus der Werft an die »Intermartec« nachträglich zu einem großen Darlehen zusammengefasst wurden. Insgesamt 7,7 Millionen Euro konnten R. und W. demnach in ihre Geschäfte stecken. Neben der Goldmine und der Filmgesellschaft investierten sie in afrikanische Rohdiamanten und Biofilter.
Weitere Millionenbeträge verlor die Werft durch Kredite und Ausgaben, welche zumindest Vorstand Klaus W. neben den sonstigen Geschäften veranlasste.
So erhielt eine Freundin von W. einen Werftkredit in Höhe von 150.000 Euro, weil sie in einer Nachbargemeinde ein Haus kaufen wollte. Für einen Stiefsohn von W. rechnete ein Bauunternehmen umfangreiche Bauarbeiten auf dessen Bauernhof für 101.000 Euro über eine Großbaustelle auf dem Werftgelände ab. Zurückzahlen musste der Mann das Geld bisher nicht. Die neuen Chefs der Elsflether Werft und der Stiftung versuchen nun, möglichst viele von den verpulverten Millionen zurückzuholen. Sie stellten Kredite fällig und lösten die Dienstwagenflotte auf. Manche Dinge ließen sich einfach erledigen: Eine Mitarbeiterin etwa willigte ein, das Geld für einen privaten Küchenumbau zurückzuzahlen, den die Werft spendiert hatte. Auch die sechs Platin-Jahreskarten für Werder Bremen im Wert von 22.200 Euro pro Saison konnten gekündigt werden.
Andere Investitionen sind schwerer zu- rückzuholen. Zum Beispiel ein Werftgelände im benachbarten Brake, das R. und W. über ein Unternehmen in Hongkong und Unterfirmen wie die »Weserdeich Brake Investment« für 1,5 Millionen Euro erworben hatten. Als Sicherheit für die Finanzierung durch die Bank hatten sie einen Zehn-Jahres-Pachtvertrag der Elsflether Werft vorgelegt. Mit monatlichen Pachteinnahmen von 30 000 Euro hätten sie das Gelände in gut vier Jahren abbezahlt.
»Das Gelände ist für uns völlig nutzlos«, sagt Vorstandschef Birk. Er verhandelt derzeit über einen Ausstieg aus den Verträgen. Ähnlich verhält es sich mit einem Schwimmdock, das die beiden alten Vorstände über ihre Firmen für 1,77 Millionen per Mietkauf erwarben. Da die Werft die Raten nicht mehr zahlen konnte, ist das Schwimmdock kaum noch zu retten. Birk: »Um die Werft in eine unbelastete Zukunft zu führen, suchen wir einen Investor.« Leicht wird das nicht. Beide Ex-Vorstände bestreiten, sich persönlich bereichert zu haben. »Es ging immer darum, der Werft zu helfen«, erklärte Marcus R. gegenüber der dpa.
An der »Gorch Fock« sind inzwischen die Arbeiten wieder angelaufen. Hinter dem abgetakelten Segler sitzt Kapitän Nils Brandt zusammen mit der Mannschaft auf einem Wohnschiff und lauscht dem Hämmern und Schweißen von der Baustelle. Der Klüverbaum ist zwar im Moment das Einzige, was aus dem Gerüst um den nackten Rumpf des Schiffes herausragt, aber der Kapitän ist zuversichtlich: »Wenn alles gut geht, stechen wir mit der »Gorch Fock« im April 2020 wieder in See.«