Berlin. Wie lange noch? Wie lange decken sich die Damen und Herren rund um das Verteidigungsministerium noch gegenseitig, um die schlimmsten Verfehlungen und Rechtsbrüche zu vertuschen und möglichst geheim zu halten. Warum gibt es nicht endlich einen Kontrollausschuss, der endlich den Sumpf um U. von der Leyen trockenlegt und sie für diese neuen „Entdeckungen“ gehörig zur Rechenschaft zieht. Es kann nur heißen: Aufklären, anprangern, Konsequenzen fordern und Sanktionen einleiten! Alles andere wäre feige, falsch und hintergeht die Interessen des deutschen Volkes. Was an neuen Erkenntnissen jetzt ans Tageslicht gekommen ist, das schlägt dem Fass nun wirklich den Boden aus und schreit nach sofortiger Amtsenthebung.
AIs Ursula von der Leyen vergangene Woche eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates leitete, ging es um Frauen in Friedensmissionen. Ein kleines Holzhämmerchen reichte, um die Autorität der gut gelaunten Verteidigungsministerin zu unterstreichen. Auch als sie kurz darauf am Ufer des East River über ihren Besuch in New York sprach, war nichts zu spüren von der Härte des Kampfes, den sie gerade in Berlin führt. Dabei grillten fast zur gleichen Zeit im Saal E700 des Bundestages die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses zur Berateraffäre einen ihrer Vertrauten. Erschienen war Andreas Conradi, 50 Jahre alt, lichtes Haupthaar. Vier Jahre diente er als Chef des Leitungsstabs der Ministerin. Jetzt führt er als oberster Hausjurist die internen Ermittlungen. Nicht nur die Opposition ging den Zeugen scharf an, sondern auch Dennis Rohde von der Regierungspartei SPD: Habe Conradi wirklich energisch genug nachgeforscht? Warum wurde Ex-Staatssekretärin Katrin Suder so schonend behandelt?
Seit Wochen wühlen sich die Abgeordneten durch Berge von Akten. In Dutzenden Fällen haben Mitarbeiter der Ministerin das Vergaberecht gebrochen oder umgangen und Aufträge direkt an Beratungsfirmen erteilt — ohne Wettbewerb. All das immer wieder auch unter der Oberhoheit der Staatssekretärin Suder. Von der Leyen hatte die ehemalige McKinsey-Beraterin persönlich im August 2014 angeheuert. Und die Staatssekretärin habe durchaus etwas bewegt, sagt ein Kollege: „Sie hat da Drive reingebracht und ausgemistet.“
Aber im April 2018 schied die 47-Jährige wieder aus. Sie wolle sich mehr um die Familie kümmern. Sie ging, kurz bevor der Bundesrechnungshof in einer Serie von Berichten die Regelbrüche anprangerte — Verstöße, die das Ministerium teils „billigend in Kauf genommen oder sogar gefördert“ habe, wie die Prüfer im August 2018 schrieben. Bei Aufträgen über insgesamt knapp 100 Millionen Euro sei in den meisten Fällen weder die Notwendigkeit belegt noch die Wirtschaftlichkeit geprüft worden.
Ursula von der Leyen versicherte im November, sie lege für Suder „ihre Hand ins Feuer“. Ziemlich unverblümt versucht sie, die Schuld auf die Kleinen abzuschieben: Es habe an der „Schulung der Beschäftigten“ gefehlt, die mit der Vergabe betraut waren. „Die versuchen, die Verantwortung nach unten durchzureichen“, sagt der Linken-Abgeordnete Matthias Höhn: „Das ist der Rettungsanker.“
Doch umfangreiche Unterlagen aus dem Ministerium, die Journalisten zusammen mit dem ARD-Magazin „Report München“ auswerten konnte, zeigen, dass nicht allein Beamte weitab von der politischen Führung beteiligt waren. Die Spuren führen zur Staatssekretärin. Zum Beispiel im Fall des langjährigen Suder-Bekannten Oliver Triebel. Zeitweise war sie bei McKinsey seine Chefin, bis heute sitzt er mit ihr in einem Gremium der Organisation „Save the Children“. Im Jahr 2015 machte die von ihm geführte Firma Lead Academy Verluste, eine Zahlung blieb zunächst aus. Zeitgleich kamen Aufträge aus dem Ministerium rein. Er kassierte 14000 Euro, um zwei interne Veranstaltungen mit Suder im November 2015 vorzubereiten und zu moderieren. Triebel stellte seine Rechnung, bereits vier Tage bevor die Termine stattgefunden hatten. Rasch folgten bis 2018 weitere Aufträge: insgesamt über 380 000 Euro. Triebels Anwalt versichert, dass ein „buchungstechnischer Verlust“ der Firma 2015 nur „für einen kurzen Zeitraum“ bestand, weil „eine Zahlung nicht wie geplant Ende 2015, sondern Anfang 2016 überwiesen wurde“. Anschließend sei die Firma „sehr gut finanziert“ gewesen und habe neue Beratungsaufträge eigentlich nicht benötigt.
Für das Ministerium schob Abteilungsleiter Conradi im November die Verantwortung für den Moderationsauftrag im Verteidigungsausschuss auf das Beschaffungsamt. Von dem habe Triebel den Auftrag bekommen, sagte er laut internem Protokoll. Die Akten sagen dagegen: Der Mann wurde angeheuert, weil er ein guter Bekannter der Staatssekretärin war und ihre Beamten das Beschaffungsamt dazu aufforderten. Die Projektorganisation Rüstungsmanagement, die Suder unterstellt war, begründete das Engagement mit dem „Vertrauensverhältnis“, das die beiden Ex-Kollegen verbinde: „Die Chemie muss stimmen“, heißt es in einem Vermerk vom 30. September 2015.
Die Merkwürdigkeiten hören hier nicht auf. Teile einer „Leistungsbeschreibung“ des Ministeriums vom 30. September 2015 zu den Vorgängen finden sich fast textgleich in einem Angebot, das Triebel selbst am 8. Oktober2015 übermittelte — etwa der Rat, „dass insbesondere Führungskräfte nicht das Gefühl bekommen, sie seien für bestimmte Schwierigkeiten direktverantwortlich“. Im selben Papier gab Triebel den Preis von 14000 Euro vor. Und er betonte seine gute Bekanntschaft mit Suder. Zuvor hatte er sich bereits zweimal mit einem Mitarbeiter der Projektorganisation getroffen.
Die Staatssekretärin habe in der Vergangenheit „mit Herrn Triebel bei mindestens einem Beratungsprojekt im öffentlichen Sektor äußerst positiv zusammengearbeitet“, hielten die Ministerialen intern fest. Aber ist vorstellbar, dass sie Suder nicht einmal fragten, sondern sich allein aufdas verließen, was ihnen Triebel über seine guten Drähte zur Chefin so erzählte?
Man könne „keine persönliche Beauftragung“ durch Suder „nachvollziehen“, beteuert das Ministerium. Triebel wiederum lässt versichern, nicht Suder habe ihn geholt, sondern ein gewisser Gundbert Scherf. Der ist ein weiterer ehemaliger McKinsey-Mann, den Suder 2014 ins Ministerium mitbrachte — also ebenfalls ein Vertrauter. Triebel, so sein Anwalt, erhielt „einen Anruf“ von Scherf, „der nach weiteren telefonischen Kontakten zur Beauftragung“ führte. Der Anwalt versichert überdies, die Folgeaufträge an den Berater seien „stets ausgeschrieben“ worden. Der Rechnungshof fasst den weiteren Verlauf der Geschäftsbeziehung anders zusammen: „In den Jahren 2016 und 2017 folgten weitere Beauftragungen ohne Wettbewerb“, heißt es in einem Prüfbericht. Die Bundeswehr habe Folgeaufträge — etwa für die Organisation. Von Workshops – erneut mit dem „Vertrauensverhältnis“ begründet. Zudem sei Triebel ja bereits eingearbeitet gewesen. Inzwischen räumt selbst das Ministerium ein, dass gegen Vergaberecht verstoßen wurde. Aber — wie gesagt — Suder sei nicht schuld.
Triebel ist nicht der einzige Weggefährte von Katrin Suder, der Arbeit fand. Aufträge in gleich zweistelliger Millionenhöhe gingen an die Agentur Accenture, bei der Timo Noetzel der „Managing Director“ für das Geschäft mit der Bundeswehr war. Früher war auch er bei McKinsey. Seit2005 oder 2006 kennt er den Drei-Sterne-General Erhard Bühler. Noetzel hat immer wieder für ihn gearbeitet. Der General wurde gar Taufpate für die fünf Kinder des Beraters. Kurz nachdem Suder im Jahr 2014 angetreten war, avancierte der General zum Abteilungsleiter Planung im Ministerium, zuständig für große Digitalisierungsprojekte. Im Jahr darauf tauchte Noetzel als Berater im Ministerium auf. So wie er wirkten hier jetzt Dutzende seiner Accenture-Kollegen. Im Intranet von Accenture brüstete sich Noetzel 2017: Bühler habe Accenture angeheuert. Und jetzt seien sie „der bevorzugte Partner“ für den General.
Zum Beispiel für das Projekt PLM% die Abkürzung steht für Product Lifecycle Management. Das Ziel: Daten zu Waffensystemen zu sammeln und auszuwerten, um am Ende „Ersatzteilplanungsalgorithmen“ zu erschaffen. Losgehen sollte es mit dem Transportflugzeug Airbus A400M, gefolgt von dem Panzer Boxer und der Korvette K 130. Über elf Millionen Euro sollten Berater von Accenture dafür allein bis Ende 2019 kassieren — so der Plan.
An dem schrieben die Berater selbst gleich mit. Accenture-Leute um Noetzel saßen bereits bei einem Treffen im September 2017 mit am Tisch, zu dem Noetzels Duzfreund Bühler geladen hatte. Die „Rahmendaten zum Personalbedarf und zum Budget wurden gemeinsam mit Accenture erarbeitet“, bestätigte ein Oberst in einer internen Befragung Ende 2018. So als müssten die Berater schon selbst sagen, wie viele von ihnen das Ministerium braucht.
Ein leitender Prüfer vom Rechnungshof wunderte sich im Untersuchungsausschuss. Jeder Beamte oder Soldat mit Lebenserfahrung müsse bei solch einem Vorgang „mindestens ein Störgefühl haben“. Doch dank eines Umwegs kamen Noetzel und Co. ohne jede Ausschreibung an den lukrativen Auftrag. Von der Leyens Ministerium ließ die Beraterüber einen Rahmenvertrag mit einer dritten Firma bezahlen, über den die Regierung eigentlich IBM-Software beschafft und pflegen lässt.
Der studierte Verwaltungswissenschaftler Noetzel rechnete für seine Dienstleistungen über den Rahmenvertrag 1600 Euro pro Tag als „Software-Architekt“ ab — normalerweise wäre das etwa ein Informatiker. Accenture weist die „Unterstellung von Falschangaben“ dennoch „aufs Schärfste“ zurück: Man habe die „vorgegebenen Kategorien“ im vom Ministerium „geforderten Rahmenvertrag“ benutzt. Sicher ist: Noch am 25. September 2018 leitete die Abteilung von Bühler eine Rechnung für „Software-Architekten« wie Noetzel an das Beschaffungsamt weiter und bat, sie „zu begleichen“. Das zeigen vorliegende Unterlagen. „Spätestens als man Politologen als Software-Architekten abrechnete, hätte jedem Beteiligten offenkundig sein müssen, dass der Rahmenvertrag missbräuchlich verwendet wird“, folgert der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner.
Bereits am 7.August2018 war der Rechnungshof dazwischengegrätscht. Mit dem Missbrauch des IBM-Vertrags für Zahlungen an Accenture sei „gegen Vergaberecht verstoßen“ worden, hielten die Prüfer fest. Doch auch hier wollen es weder Bühler noch Suder gewesen sein. Dabei nannte Noetzel die Staatssekretärin in seinem Firmen-Blog im Juni 2017 als Unterstützerin, gar als eine der zwei weltweitwichtigsten hochrangigen Behördenkunden für die Firma. „Suder signalisierte grünes Licht für alle laufenden Projekte“, schrieb er nach einem Treffen mit ihr. Ein Foto im Agentur-Intranet zeigt sie im Oktober 2017 strahlend neben Noetzel und Frauen aus seinem Team.
Bei einer internen Befragung Ende Novemberversicherte Suder: „Grundsätzlich“ sei sie „in die Auswahlentscheidungen nicht eingebunden“ gewesen. Doch in den Akten finden sich Hinweise, die Zweifel daran begründen. Zum Beispiel eine Mail eines Accenture-Mitarbeiters an das Beschaffungsamt der Bundeswehr vom Januar2018. Er wollte das PLM-Projekt vorantreiben. Die Staatssekretärin Suder habe die Untersuchung am Beispiel des A400M „beauftragt“, begründete der Berater seine Bitte um ein Treffen.
Laut Aussage Accenture „soll die Weisung hierzu direkt von Frau Dr. Suder gekommen sein“, folgerte ein für Flugzeugtechnik zuständiger Regierungsdirektor im Beschaffungsamt bei einer Befragung im November. Er habe sich darüber gewundert. Denn eigentlich sei der Airbus „als Pilotprojekt für die Einführung von PLM aus Projektsicht nicht geeignet“. Suder verließ das Ministerium mit dem „Goldenen Ehrenkreuz der Bundeswehr“, verliehen zur Würdigung ihres Engagements. Im August berief Kanzlerin Angela Merkel sie zur Chefin des neu gegründeten Digitalrats der Bundesregierung — ein Amt, das sie bis heute innehat.