„Kommst du einmal nach Lissabon, willst du nicht mehr fort“, so erzählen es die alten Sagen, und so sehnsuchtsvoll klingt der „Fado“, der traurige Gesang einstiger Seemanns-Frauen, die vergeblich auf ihre Männer warteten, als die im rauen Atlantik ertranken. In Lisboa, wie die Portugiesen sagen, am Ufer des Tejo-Flusses, treffen Altertümlichkeit und Moderne gekonnt aufeinander, trifft Tradition auf Neuzeit, es ist die Hauptstadt der jungen Menschen aus aller Welt. Bereits auf einem 3-Tagestrip kann man die wichtigsten und eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten der Stadt auf den Hügeln am Atlantischen Ozean wunderbar erforschen und kennenlernen. Dazu zählen beispielsweise der Platz des historischen Handelszentrums (Praca do Commercio), oder die Einkaufsstrasse Rua Augusta, oder der altehrwürdige Stadtteil „Alfama“.
Lissabon macht es einem leicht/vor allem jetzt im Frühling. Die Touristen schieben sich noch nicht in Horden durch die Gassen, und auch die großen Kreuzfahrtschiffe, die im Sommer täglich Tausende Besucher zum Stadtbummel absetzen, sind noch nicht da. Es fällt wieder auf, wie ruhig die Stadt eigentlich ist, fast besinnlich. Die Sonne steht morgens‘ noch tief, oft liegt zarter Nebel über dem Tejo, er verwischt die Konturen am anderen Ufer. Und dazu dieses Licht: Rosa, Pastell, im Schatten tiefes Blau.
Man könnte sich jetzt gut in eine der Café-Bars zurückziehen, wo einsame Männer im Schein der Neonlampen ihre Lottoscheine ausfüllen, obwohl keiner von ihnen so aussieht, als glaubte er an das Glück. Man könnte sich fragen, warum Hafenstädte so wehmütige Orte sind und Lissabon ganz besonders. Oder lesen und sich in den rätselhaften Gedanken Fernando Pessoas verlieren, des berühmtesten Literaten Portugals, der schrieb: „Ich bin der Zwischenraum zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich nicht bin …“ Doch dann kommt Inés vorbei, blickt auf das Buch und sagt: „Pessoa ist übrigens an Leberzirrhose gestorben.“
Das Gute an Lissabon im Frühjahr ist nämlich auch: Man kommt wieder leichter ins Gespräch. Die Menschen haben noch Zeit für Besucher. Wer sich die Stadt von einem Einheimischen zeigen lassen möchte, braucht einfach nur auf einen der größeren Plätze zu gehen, zum Rossio oder zum Prasa do Municipio, und sich jemandem anschließen, der bezahlte Spaziergänge anbietet. Inés, im Hauptberuf Sozialarbeiterin in einem Stadtteilcafé, erklärt das Prinzip so: „Lissabon ist immer noch eine arme Stadt. Viele Bewohner arbeiten als Stadtführer, um sich etwas dazuzuverdienen. Je zufriedener die Leute mit dem Rundgang sind, desto mehr bezahlen sie.“
Gentrifizierung, Overtourism — das sind die Schlagwörter, die in den Cafés und Kneipen beherzt diskutiert werden. Die Stadt versucht den Spagat hinzubekommen zwischen ausländischem Investment, das gebraucht wird, und den Bedürfnissen der Bewohner, die befürchten, sich das neue, moderne, vibrierende Lissabon bald nicht mehr leisten zu können. Die Stadt solle keine Kulisse werden. Das sagen viele hier, und an diesem silbrig glänzenden Nieselmorgen sagt es Antönio Trindade. Ein feiner Herr, stolzer Inhaber eines Antiquitätengeschäfts, eines Familienbetriebs seit drei Generationen. Voller Sorge, sagt er, habe er zugesehen, wie sich Chiado, sein Viertel, veränderte. Immer mehr Hostels, Restaurants und billiges Bier. Er habe nichts gegen den Tourismus, sagt Trindade, die Branche sei lebenswichtig für die Stadt. „Was mich stört, ist die Industrie dahinter. Überall gibt es Erlebnisgastronomie und Food-Events. Allein schon dieses Wort! Das hat mit Lissabon nichts zu tun, das könnte überall stattfinden.“
Vor einem Jahr, nachdem auch er die Kündigung für seinen Laden bekommen hatte, schrieb Antonio Trindade einen wütenden Text über die Gleichmachung der Innenstädte und hing ihn in sein Schaufenster, auf Portugiesisch und auf Englisch. Von dem Effekt war er selbst beeindruckt. „Die ausländischen Besucher sind regelrecht in meinen Laden geströmt. Es gab viele gute Gespräche.“ Die Kündigung wurde rückgängig gemacht: Sein Geschäft fällt unter den Bestandsschutz, mit dem die Stadt alteingesessene Läden absichern will. Wenn man — Treppen rauf, Treppen runter — durch die Viertel der Altstadt spaziert, sieht man an den frisch renovierten Häusern die Schilder der Makler, die Luxuswohnungen anpreisen. Aber immer häufiger sieht man auch die Schilder der Anwohner: „Lieber Gast, schön, dass du da bist. Wir wohnen hier und würden gern bleiben. Bitte klingeln, wenn du mehr wissen willst.“ Und am Aussichtspunkt von Santa Catarina wird seit Monaten gegen die befürchtete Umgestaltung des beliebten Platzes gekämpft — mit Veranstaltungen und Diskussionen, nicht mit wütendem Protest. Der Spagat zwischen Modernisieren und Bewahren: Viele Bewohner sind zuversichtlich, dass ihre Stadt das hinbekommt.
Hilfe unter Nachbarn
Die Illustratorin und Fotografin Adriana Freire hat 2011 ihren Job verloren. Sie wusste, dass sie ihn niemals wiederbekommen würde. Und sie wusste, dass sie nicht im Tourismus arbeiten wollte wie so viele ihrer Bekannten. Vor fünf Jahren hat sie darum die „Cozinha Popular“ eröffnet, eine Gemeinschaftsküche für die Nachbarn von Mouraria. In dem Viertel, das sich jenseits des Castelo de Säo Jorge den Hügel hinabzieht, kann man sehen, wie sich die Strassen allmählich verändern. „Früher waren die Häuser brüchig, den Leuten schimmelte der Boden unter den Füßen weg. Dann begann das große Putzen“, sagt Freire. „Nun kostet ein Zimmer 500 Euro. Eine Wohnung das Dreifache.“
Zu teuer für die Menschen aus dem Viertel, vor allem für die vielen alten Frauen, die hier wohnen. „Sie sollen zu Familienmitgliedern an den Stadtrand ziehen, obwohl sie ihr gesamtes Leben hier verbracht haben. Und ich dachte mir. Halleluja, bald geht es dir genauso!“ Adriana Freires „Cozinha“ ist ein Ort zum Essen, zum Feiern — und zum Pläneschmieden. „Einzeln kriegen sie uns leicht raus. Bilden wir eine Gemeinschaft, wird es schwieriger.“ Inzwischen habe die Stadt reagiert und zumindest für ein paar Jahre günstigen Wohnraum gesichert. Niemand wolle die ursprüngliche Armut des Viertels verklären, sagt Freire. „Aber trotzdem haben auch ärmere Menschen das Recht, hier zu leben.“ Darum möchte sie bald weitere „Cozinhas“ eröffnen. „Das Projekt kommt gut an, weil es Solidarität in den Alltag bringt.“ Lissabon wolle kein zweites Barcelona werden — aber das gehe nur, wenn man sich gegenseitig zuhöre, sagt Freire. Auch jenen, die sonst nicht viel zu sagen haben.