Ob es genügt, dass der Modekonzern Hugo Boss aus dem kleinen, unscheinbaren Metzingen in New York eine Dependance betreibt, um im Konzert der Großen mitzuspielen? Solche, wie Armani oder Tommy Hilfiger, die den Ton in der Herrenmode angeben und denen BOSS noch nie das Wasser reichen konnte. Dennoch tritt Mark Langer, Deutschland-Chef des Modeherstellers, immer wieder gegen die US-Giganten an, um dem deutschen Modekonzern die guten alten Zeiten zurückzugeben. Die, die in den neunziger Jahren Ruhm und Ehre gebracht haben, als Langer noch irgendwo als Controller sein Dasein gefristet hat und andere wie Dr. P. Littmann oder Design-Chef Baldessarini das Zepter beim Modehaus schwangen. Seit seinem Amtsantritt 2016 konnte Langer jedenfalls den wichtigen Aktienkurs der Hugo Boss-Aktie nicht nach oben korrigieren – im Gegenteil, die Anteilsscheine verloren gute 9,4% seit jener Zeit. Dabei wird ein Konzernlenker gerade daran gemessen, wie profitabel er das Unternehmen auch für die Aktionäre macht. Doch Langer, gelernter Maschinenbau-Ingenieur, lässt sich nicht unterkriegen und feiert sich und das, was vom einstigen Ruhm geblieben ist. Doch wie lange noch?
New York ist Ausgangspunkt und Gradmesser der Fashion-World, der Modewelt aus Glamour und Eitelkeiten. Es ist ein Kampf der Welten, und er wird um die Nasen geführt: Der Geruch von Fischfang, Rost und Schiffsdiesel weht von den Schuppen und Kühlhallen des Kais ; flussaufwärts; er attackiert die Parfümwölkchen am Eingangstor zur Modenschau. Wo sonst Schulklassen und Amateure einnetzen, in der „Basketball City“ am New Yorker East River, wird Deutschlands einziger Modekonzern von Weltrang in ein paar Minuten seine Kollektion präsentieren. Mark Alexander Langer steht am Ende einer langen Reihe von Schminktischen, die Arme vor der Brust verschränkt, und er sagt, so halb im Ernst und in Anlehnung an den ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering: „Das schönste Amt neben dem Papst? Chef bei Hugo Boss zu sein.“
Langer hat in den Vorwochen immer wieder mal Blicke auf die entstehende Kollektion werfen können. Eben hat er kurz beim Fitting im Backstage reingeschaut, und zwischen den vier aus Metzingen angereisten Werksnäherinnen, die über letzten Korrekturen sitzen, „eine unglaublich starke Kombination“ entdeckt. Trotzdem sieht er ein bisschen nervös aus, es ist nicht sein Habitat hier: Mit Businessanzug und weißem Hemd, Krawatte und Glanzlederschuhen fällt der 50-Jährige auf unter all den T-Shirt- und Sneakers-Trägern, zwischen den Models und Fotografen. Männerwie ihn gibt es auf jeder Modenschau. Sie ziehen ihre Kreise im Hintergrund, werden misstrauisch beäugt, zuvorkommend behandelt, denn jeder ahnt: Der sitzt nachher in der ersten Reihe, weil er der Besitzer ist und die Rechnungen abzeichnet. Der Zahlenmensch eben.
Im Mai 2016 rückte Langer als Vorstandsvorsitzender an die Spitze der Hugo Boss AG. Sein Vorgänger Claus Dietrich Lahrs hatte am 23. Februar 2016 die zweite Gewinnwarnung innerhalb weniger Monate aussprechen müssen; keine 48 Stunden später war er seinen Job los. Beim Konzern mit den 15 000 Mitarbeitern geht es in solchen Momenten um mehr als nur um eine Personalie. Wenn der Umsatztanker Hugo Boss zuckt, vibriert es in der Branche, so sieht es das Fachblatt „Textilwirtschaft“. Lahrs‘ Nachfolge wurde intern gelöst, es war Mark Langer, der den Vorzug vor externen Topmanagern erhielt. Der gebürtige Pforzheimer war seit 13 Jahren in Metzingen am Werke hatte als Controller über Ressourceneinsätze gewacht, die Warenversorgung optimiert, schließlich als Finanzvorstand gearbeitet. An diesem Tag in New York muss er als CEO den Grüßaugust machen; auch das kriegt er hin.
Prominente trudeln ein und werden sanft vor die Blitzlichter der Fotografen geschoben. Die Hamburgerin Toni Garrn ist mit dabei, Schauspieler Daniel Brühl, schick im weinroten Anzug, plaudert mit Moderator Kai Pflaume. Beide sind langjährige Begleiter der schwäbischen Marke. Die Deutschen stehen beisammen und bestaunen den Trubel um die asiatischen VIPs, um die Schauspielerin Emma Roberts und ihren Kollegen Jamie Dornan, den schauen sich natürlich alle zweimal an seit seiner Peitschen-Rolle in „Fifty Shades of Grey“. Seinen wichtigsten Gast holt Langer persönlich am Eingang ab: Ehefrau Andrea. Die beiden kennen New York, sie haben Anfang des Jahrtausends im Universitätsstädtchen Princeton in New Jersey gelebt und viel gearbeitet, sie im Marketing des Pharmaunternehmens Johnson & Johnson, er als Unternehmensberater bei McKinsey. „Das war eine tolle Zeit, spannende Projekte“, erzählt Langer. Allerdings: „Das Taxi zum Flughafen Newark war damals mein bester Freund.“
2003 holte Bruno Sälzer ihn nach Metzingen. Der damalige Boss-Chef suchte jemanden, der ihn bei Investitionsentscheidungen begleiten sollte, und zwar jemanden, „der ausdrücklich nicht aus der Mode kam“. War das sinnvoll? Einen Mann zu holen, der BVVL und Maschinenbau in München und Hagen studiert hat? Er habe als Berater viele Industrien kennengelernt, antwortet Langer. „Und ein Gefühl für Mode und Ästhetik hat mich vorher schon begleitet.“ Damit ist nicht der erste Anzug gemeint, den er sich mit Mitte 20 beim Eckerle in München gekauft hat. „Ich hatte gerade den Vertrag bei McKinsey unterschrieben.“ Nein, der erste Kontakt zur Mode, „das waren Looks, die ich als Teenager aus Zeitschriften ausgeschnitten und zu Collagen gebastelt habe. Es war eine frühe Liebe zu den schönen Dingen, würde ich heute sagen.“ Seit 15 Jahren pendelt Langer nun von Stuttgart ins 35 Kilometer entfernte Metzingen und führt dort einen Kampf der Unternehmenskulturen an — gut möglich, dass es auch einer der Generationen ist. Ein Boss-CEO, der Privates preisgibt. Der auch sich selbst meint, wenn er davon spricht, dass „man nach vielen Jahren im selben Unternehmen betriebsblind wird“. Der es trotz des Verschleißes an Designern verschiedenster Kollektionslinien schafft, sämtliche Namen aufzuzählen. Der zugibt, dass junge Kollegen ihm erklärt haben, wie Snapchat funktioniert. Das ist mal was Neues. Seinen Vorgänger Lahrs umwehte ein Pariser Duft, er war als Directeur Général von Christian Dior Couture gekommen und plante, aus dem schwäbischen Premiumschneider einen Luxuskonzern ä la Gucci oder Zegna zu formen. Schöne Idee, aber in Metzingen trinken sie nur selten Champagner aus dem Kristallglas, sondern gern „Kloster Landbier“ aus der Flasche. Man kann sich vorstellen, was alles mitschwang, als Betriebsratschef Antonio Simina kritisierte, „das Wir-Gefühl im Konzern“ habe gelitten. Nach seinem Antritt stoppte Langer den expansiven Luxuskurs des Vorgängers und schloss unprofitable Filialen, baute Schulden ab, beruhigte die Kapitalmärkte. Langer stellte sich den Vorwürfen zu den Produktionsbedingungen und den Löhnen bei den Zulieferern. Böses über seinen Vorgänger lässt sich aus Langer nicht hervorlocken. Kritik wird zwischen den Zeilen gereicht: Für das Unternehmen sei immer „der süße Geschmack des Erfolgs die größte Gefahr“ gewesen, „und dann hat man die Warnsignale nicht erkannt“. Ihm gehe es vor allem darum, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die es allen Mitarbeitern erlaubt, auch Dinge anzusprechen, die er vielleicht gerade nicht hören will. „Wie möchte ich behandelt werden, damit ich meine Arbeit gern mache? — Ein guter Manager sollte diese Frage auch auf sein Team anwenden.“
Kalifornische Brise
In der umgebauten Basketballhalle am East River haben 600 Besucher zu ihren Plätzen gefunden, in der Front Row, der ersten Reihe, werden letzte Fotos gemacht, das asiatische Glitzertraumpaar Henry Golding und Liv Lo fächelt sich Frischluft zu. Langer, mit Gattin Andrea an der Seite, scheint jetzt die Ruhe selbst. Ein paar Griffe noch zum Haifischkragen Seines Hemdes, alles sitzt tadellos. Dann geht es schnell. 60 Models marschieren auf, Frauen und Männer sind mit sorgenfreier Attitüde und luftigen Schnitten unterwegs, unter dem Motto „California Breeze“ führen sie Kleider in Orange und Anzüge in Weiß vor, in Rosé und Bordeaux, viel Strick und Sport spiegeln wieder, dass der klassische Herrenanzug nicht mehr den Großteil des Boss-Geschäfts ausmacht. Die Models drehen ihre Schlussrunde, Chefdesigner Ingo Wilts hüpft auf den Laufsteg und fischt den Applaus ein. Backstage werden Bussis verteilt, Selfies geschossen, schon eilen Publikum und Models zur nächsten Schau, Handwerker lockern erste Stellwandschrauben, so schnell kann man gar nicht gucken. „Irgendwie schade, oder?“, meint Langer, „aber so ist New York: Business.“ Weiter geht’s.
Eine Boss-Feier wird es am Abend nicht geben; die Zeiten der Aftershow-Events mit Vladimir Klitschko oder Woody Allen an der Klarinette sind vorbei. Morgen früh wartet ein Vorstandsmeeting. Und Langers Frau muss am Abend wieder zurück in die Heimat, zu den drei Töchtern. „Den13. Geburtstagmeiner Ältesten habe ich wieder verpasst. So ist das seit Jahren. Da bin ich immer zur Fashion Week in New York.“ Am nächsten Morgen taucht Finanzvorstand Yves Müller als Problemfall auf: Dem Kollegen muss erstmal sein hellblaues Show-Eintrittsbändchen vom Vortag mit dem Messer vom Armgelenk geschnitten werden. Bevor die Budgetmeetings starten, gibt es ein reiches Frühstück für das Herrenquartett. Der Hunger wird mit Joghurt und Fruchtsalat besänftigt. Figurbewusst sind sie in fast allen Vorstandsetagen, Investitionsentscheidungen werden heute von schlanken Männern mit teuren Anzügen gefällt, asketisch im Auftritt wie beim ‚ Essen. Und in der Modebranche geht ein Bäuchlein schon lange nicht mehr. Langers Nacht war kurz. Kurz nach vier war er schon auf dem Laufband unterwegs. „Nach so einer Schau werden Endorphine ausgeschüttet. Die Welt, die wir da inszenieren, sie hallt nach.“
Die Amerika-Zentrale der Hugo Boss AG liegt im Finanzdistrikt von Manhattan und nimmt das komplette 48. Stockwerk ein. Unten im Haus haben die gefürchteten Analysten der Ratingagentur Standard & Poor’s ihren Firmensitz. Der Wolkenkratzer ist deshalb bewacht wie eine Botschaft. Die Aussicht aber macht alle Unbill wett. Wenn nicht Regenwolken die Glasfassade umhüllten wie. Wattebäuschchen, könnte man bis tief nach Brooklyn blicken oder auf die Freiheitsstatue. Hier oben begreift man, dass Hugo Boss (2,79 Milliarden Euro) in einer Umsatz-Liga mit Giorgio Armani (2,9 Milliarden) spielt. Das Unternehmen scheint wieder in sich zu ruhen, nach turbulenten Jahren, im Jahr 2018 stieg der Umsatz mit der Marke Boss um ansehnliche vier Prozent. Den schnell überreizten Glamour, den Häuser wie Gucci oder Saint Laurent versprühen, hat Boss nie liefern können. Auch Langer versprüht ihn nicht. Wer es vorher nicht gelernt hat, der lernt es in Metzingen: die Balance zwischen Kreativität und Kommerz zu halten. Wer sich umhört auf dem Werksgelände in Süddeutschland, hört aber von besserer Stimmung in der Belegschaft und davon, dass Langer den Jüngeren mehr Freiheiten lässt. Vielleicht ist er genau der Richtige mit seiner Rückbesinnung auf alte Stärken und auf die Jahre um 2007, als die Marke bei deutschen Männern als der Inbegriff von Luxus galt.
Langers Werdegang ist bieder
Mark Langer wurde 1968 in Pforzheim geboren, die Mutter war Hausfrau, der Vater Offizier, „wir sind x-mal umgezogen“. Das Abitur hat er zwischen Koblenz und Bonn gemacht, in Andernach. Er habe zwar viel zu sehen bekommen, „aber alle zwei, drei Jahre umziehen und wieder einen neuen Freundeskreis suchen, das war schwer. Dafür schlage ich jetzt späte Wurzeln.“ Am Abend wird Langer von New York nach Hause zurückfliegen. Der leidenschaftliche Läufer freut sich schon auf den Halbmarathon in Karlsruhe. „Danach werde ich mal die Füße hochlegen.“ Vier Wochen später sitzt Langer in seinem gläsernen Vorstandsbüro am Stammsitz in Metzingen. „Der Halbmarathon musste ausfallen. Probleme mit der Wade. Ich hab mich fürchterlich geärgert.“ Schon am „Hugo Boss-Run“ in Metzingen konnte er erstmals nicht teilnehmen — „am Vortag habe ich meinen Fünfzigsten gefeiert“. Das Büro hat er von seinem Vorgänger übernommen und der spartanischen Einrichtung noch eine puristische Note hinzugefügt — ein Inneneinrichter wird aus ihm nicht mehr. Immerhin soll demnächst ein Bild von Georg Baselitz aufgehängt werden. Das Kunstwerk ist im Besitz der AG. Langer ist gerade aus Asien zurückgekehrt. Eine Woche lang hat er in China und Bangladesch Gespräche mit Zulieferern und Herstellern geführt, Fabriken besucht. Er war erneut in New York, um im Guggenheim-Museum den Hugo-Boss-Preis 2018 an die US-Künstlerin Simone Leigh zu überreichen. Auf dem Investorentag in London hat er vor Analysten seine Pläne bis 2022 vorgestellt. Genug Zeit für Frau und Kinder bleibt ihm seit Jahren nicht. Immerhin hat er im vergangenen Sommer zwei Ferienwochen mit ihnen in Cornwall verbringen können. „Tolle Landschaften“, erzählt Langer kurz, und seine Tochter wollte mal die Sprachschule testen. „Es ist komisch zu sehen, wie die Kinder nach und nach flügge werden.“ Hätte er gern mehr Zeit für die Familie? „Ich kann supergut abschalten.“ Das heißt also: Ja?
„Es wird besser. Ich reise jetzt weniger. Vieles ist an den Finanzvorstand übergegangen.“ Auf keinen Fall wolle er sich beklagen: „Mein Leben ist ja sehr facettenreich. Ich habe tolle Sachen erlebt bei Boss.“ Was macht den meisten Spaß? „Die Betriebsfeier der Firma: Seit 22 Jahren kommt Kai Pflaume angereist, sagt Langer, hält eine Rede für die rund 2000 Mitarbeiter und führt die komplette Belegschaft durch den Abend in der Stuttgarter Messehalle. „Ich glaube, das ist mein Lieblingstermin.