Wien. Er hatte sich in einer spektakulären Wahl gegen das politische Establishment in Österreich durchgesetzt und wurde zum Kanzler gewählt, obwohl sein Lebenslauf nicht unbedingt dafür sprach – zu wenig Erfahrung, zu wenig Rückendeckung im Land und Parlament. Aber die Wähler haben entschieden, und die wollten einen Wechsel. Die ersten 12 Monate konnte Sebastian Kurz, der politische Jungstar noch Punkte im Volk sammeln, aber mittlerweile wendet sich das Blatt der Sympathie und des Zuspruchs. Er erlebt eine ähnliche Krise wie sein Amtskollege Macron in Frankreich, dabei sind gerade diese beiden dafür prädestiniert, die eingestaubten Politikparagraphen ein wenig in Bewegung zu bringen. Kurz hat auch nur wenig Verbündete in Europa, so wie seinen Kollegen, den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Dafür allerdings traut man ihm die Vermittlerrolle zwischen den Visegrad-Ländern Ungarn, Polen, Slowakei, Tschechien und dem Rest der EU zu. Selbst Wladimir Putin traut ihm eine entscheidende Funktion innerhalb der EU zu. Denn dort spielt Österreich derzeit kaum eine Rolle. Doch das soll sich bald ändern.
Er ist ein echter Senkrechtstarter: Mit nur 31 Jahren wurde Sebastian Kurz in Österreich zum jüngsten Regierungschef des Kontinents gewählt. Und weil er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält, findet er international viel Beachtung. In den Medien ebenso wie bei politischen Gegnern und Freunden. Belächelt wird Kanzler Kurz längst nicht mehr. Man muss ihn ernst nehmen, gerade weil Österreich ab Juli die Ratspräsidentschaft in der EU übernimmt. Spätestens dann dürfte es für viele unbequem werden. Man werde den Schwerpunkt auf die Themen „Sicherheit und Migration“ legen, ließ Kurz bereits wissen. Das wäre nur konsequent, das Thema hat ihn und seine Partei ÖVP bereits durch den Wahlkampf in Österreich getragen. Außerdem betont Kurz gern, dass die Schließung der Balkanroute im März 2016 sein Verdienst gewesen sei.
Kritiker kreiden ihm an, dass er beim Thema Sicherheit beim Koalitionspartner FPÖ gewildert habe und er seine rechtspopulistischen Ansichten hinter einem smarten Schwiegersohn-Image und Kommunikationstalent verberge. Letzteres ist sicherlich unbestritten. Der 1986 als Sohn einer Lehrerin und eines Mechanikers in Wien geborene Kurz startete mit 17 Jahren seine politische Karriere und war zehn Jahre später bereits jüngster Außenminister der österreichischen Geschichte. So etwas geht nur mit einer gewissen Eloquenz.
Auch wenn man ihn den „Ambitionierten“ nennt, wurde ihm jetzt zum Ende seines ersten Amtsjahres im Land von der Presse der Titel „Schweigekanzler 2.0“ zuerkannt, mit dem Vorwurf, er reagiere nie auf unangenehme Themen die ihn und seine Person betreffen. Außerdem verteidigt er alles, was die rechtspopulistische FPÖ in Österreich sagt oder tut, was nicht allen gefällt. Wie hatte er noch kurz nach seiner Vereidigung 2017 seinerzeit gesagt: „Wir wollen einen neuen Stil und mit einer Stimme nach außen sprechen“. Er halte nichts davon, andere „anzupatzen“. Und so verhält er sich auch bei politischen Querelen. Neutral, oder passiv, wie seine Gegner sagen. Auf der anderen Seite legt er sich beispielsweise öffentlich mit dem Innenministerium an, wenn es um die Pressefreiheit im Land geht. Kritische Journalisten wolle man von Informationen abschneiden, was aber Kurz nicht billigen will. Auch das Verhältnis zu Deutschland ist wegen der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel angeknackst, es geht um Grenzkontrollen und Schließungen, was beispielsweise deutsche Urlauber zu spüren bekämen. Probleme hin oder her, im eigenen Land scheint Kurz bei den Wählern weiterhin hoch im Kurs zu stehen. Aktuellen Umfragen zu Folge genießt er höchstes Ansehen für das was er tut und wie er es tut. Die nächsten 12 Monate werden zeigen, wie sich Sebastian Kurz international verkaufen kann.