Riad. Nanu, was läuft da falsch, oder wer umgeht da klare Absprachen? Es gibt ein klares Nein zu Waffenexporten nach Saudi-Arabien, die auch mit der Ermordung des Journalisten Kashoggi zusammenhängen. Trotzdem baut eine deutsche Werft im Norden des Landes lustig weiter an 3 Schiffen, die in Kürze an die Saudis ausgeliefert werden sollen. Ist der „schnöde Mammon“ doch wichtiger als moralische Verpflichtungen und menschenrechtliche Absprachen?
Auf der Landkarte der Republik liegt Wolgast etwas abseits, ganz oben rechts, im dünn besiedelten Vorpommern. Was aber im Hafen des Städtchens vor sich geht, hat unmittelbar mit der großen Politik zu tun. Denn hier auf der Peene-Werft baut das Bremer Unternehmen Lürssen Kriegsschiffe — ausgerechnet für Saudi Arabien. Von der Stadt aus sieht man sie nicht, weil die Werftgebäude die Sicht verdecken. Aber im Hafenbecken sind zurzeit gleich drei Schiffe vertäut, die laut Aufschrift den Saudis gehören. Die zwei Patrouillenboote „At Tuwal“ und „Sharorah“ scheinen am Donnerstag vergangener Woche fast fertig zum Auslaufen, sie sind bereits mit Rettungsringen bestückt. Sechs Männer mit weißen und blauen Helmen machen sich auf einem deutlich größeren Schiff zu schaffen, das ebenfalls das Symbol des saudischen Grenzschutzes trägt — zwei gekreuzte Gewehre unter einer Königskrone. Arabische und lateinische Schriftzeichen weisen das Schiff als die „Alriyadh“ aus eine Schreibweise für die saudische Hauptstadt Riad.
Waffen für Saudi-Arabien? Das scheint im Moment undenkbar. Die Schiffe auf der Werft in Wolgast dürften darum zum Testfall werden, wie die Bundesregierung auf den grausamen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul reagiert. Bisher galt das Königreich der Bundesregierung als wichtiger Partner im Nahen Osten. Deutsche Unternehmen schätzten es als wichtigen Absatzmarkt. Noch in den ersten neun Monaten dieses Jahres genehmigte die Bundesregierung Rüstungsausfuhren für die Saudis im Wert von 416 Millionen Euro. Aber jetzt wandelt sich das Verhältnis zu der Führung des Landes.
Die Welt erfuhr dieser Tage grausige Details darüber, wie Khashoggi offenbar getötet und zerstückelt wurde. In immer wieder veränderten Versionen des Geschehens hat die Regierung in Riad versucht, die Verantwortung von sich zu schieben. Sogar von einem „Faustkampf“ war die Rede, der außer Kontrolle geraten sei. Türkische Behördenvertreter sprachen dagegen von einer gezielten Tötung durch ein Killerkommando. Der autoritäre Führungsstil des Kronprinzen Muhammad Bin Salman — kurz MBS — macht nun weltweit Schlagzeilen. Einige höhnen schon, MBS stehe für Mister Bone Saw“ also „Herr Knochensäge“. Bereits seit Monaten wächst die Kritik an den Militäreinsätzen, mit denen Saudi-Arabien im benachbarten Jemen in den blutigen Bürgerkrieg eingreift. Immer wieder fallen Bomben auch auf Wohngebiete und Krankenhäuser. MBS ist als Verteidigungsminister dafür verantwortlich. Khashoggi war einer der Kritiker dieses Krieges. Er war sich hier einig mit der aus dem Jemen stammenden Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman, die Khashoggi gut kannte und vor dem saudischen Konsulat in Istanbul mit einem Bild des Toten in der Hand demonstrierte. Für sie steht der Fall des ermordeten Journalisten stellvertretend für das brutale Vorgehen des Regimes in Riad.
Zwölf bis 13 Millionen Menschen sind nach Schätzungen von UN-Vertretern wegen der Kämpfe im Jemen vom Hungertod bedroht — auch verursacht durch die Seeblockade, die die Saudis und ihre Verbündeten über den Jemenverhängt haben. Bereits im September hatten verschiedene Journalisten zusammen mit „Report München“ Indizien dafür zusammengetragen, dass in Wolgast gefertigte Patrouillenboote in diese Seeblockade eingebunden sein könnten. Doch alle Nachrichten über die Gräuel des Krieges im Jemen bewirkten nicht das, was jetzt der Fall Khashoggi auszulösen scheint: einen einstweiligen Stopp der deutschen Waffenlieferungen an Saudi Arabien. Nachdem die Regierung in Riad am Wochenende Khashoggis Tod offiziell bestätigte, schwenkte selbst Kanzlerin Angela Merkel auf eine härtere Linie ein, zumindest für den Moment: „Was Rüstungsexporte anbelangt, kann das nicht stattfinden, in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind“, sagte sie. SPD-Vizechef Ralf Stegner warnt ebenfalls. „Saudi-Arabien ist eine blutrünstige Diktatur“, sagte er: „An sie sollten wir keine Rüstungsgüter liefern, das gilt heute mehr denn je.“ Noch deutlicher äußern sich bereits Oppositionsabgeordnete. „Es ist nicht vorstellbar, dass die Saudis die Endverbleibsbedingungen für die Schiffe einhalten“, glaubt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour: „Deshalb muss man auch die bestehenden Ausfuhrgenehmigungen widerrufen.“ Im Verhältnis zwischen Deutschland und Saudi-Arabien zeichnet sich eine Zeitenwende ab. Im Bundestagswahlkampf hatte Merkel die Werft in Wolgast besucht, den Export weiterer Schiffe nach Saudi-Arabien unterstützte sie. Vor einem Monat pries auch Außenminister Heiko Maas (SPD) die „starken strategischen Verbindungen“ zwischen Berlin und Riad. Jetzt mahnt der Außenminister, im Fall Khashoggi gebe es „deutlich mehr Fragen als Antworten“. Solange die Untersuchungen liefen, gibt es nun auch aus seiner Sicht „keine Grundlage“, Waffen für Saudi-Arabien zu genehmigen.
Noch gibt sich der Hersteller der Kriegsschiffe gelassen. Glaubt man dem Lürssen-Sprecher, dann werden die Schiffe lediglich für unverdächtige Aufgaben wie den Kampf gegen Schmuggel oder Piraterie eingesetzt. Auch SPD-Chefin Andrea Nahles verwies noch am Sonntag auf die „Zusicherung“ der Saudis, dass die Schiffe „im Land bleiben“. Aber was sind solche Beteuerungen wert? Immerhin hatte das Königreich noch vor Kurzem verbreitet, Kashoggi habe das Konsulat in Istanbul quicklebendig verlassen. 13 der umstrittenen Boote aus Wolgast sind bereits in Saudi-Arabien angelangt, zwei offenbar gerade auf dem Weg dahin. Zuletzt im März hatte die Bundesregierung die Ausfuhr von acht der 40 Meter langen bewaffneten Boote aus Wolgast genehmigt. Die „At Tuwal“ und die „Sharorah“, die jetzt auf der Werft in Wolgast liegen, dürften die letzte Tranche dieser acht Schiffe darstellen. Insgesamt hatten die Saudis 33 Schiffe bestellt. Für 16 muss die Bundesregierung noch grünes Licht für die Ausfuhr geben. Das gilt auch für die „Alriyadh“. Nach Unterlagen, die „Report München“ vorliegen, hat der Bundessicherheitsrat bisher keine Genehmigung für die Lieferung eines Schiffes dieser Größe an die Saudis erteilt. An der „Alriyadh“ kann sich so entscheiden, wie ernst es der Politik mit einer härteren Linie gegenüber Saudi-Arabien ist.
Angeblich handelt es sich um ein Schulschiff für die Besatzungen der Patrouillenboote. Das Fachmedium hatte bereits im Augustüber die Lieferung von Booten dieses 60 Meter langen Typs CPV 60 an Saudi-Arabien spekuliert. Sie seien als „Kommandoschiffe“ gedacht, schrieb der in der Regel gut informierte Branchendienst. Laut Lürssen können sie auch mit einer 30-Millimeter-Bordkanone rüstet werden — anders Patrouillenboote, die mit20-MillimeterGeschützen und je zwei schweren Maschinengewehren bestückt sind. Kriegswaffen brauchen immer zwei Genehmigungen: erst für ihre Herstellung dann für ihre Ausfuhr. In ihrer Koalitionsvereinbarung hatten Union und SPD eigentlich bereits einen Stopp der Waffenexporte an „unmittelbar“ Kiegsbeteiligte im Jemen angekündigt. Andererseits hatten sie ein Schlupfloch gelassen und „Vertrauensschutz“ für Unternehmen wie die Lürssen-Werft versprochen, denen man bereits die Produktion freigegeben habe.
Das muss die Regierung freilich nicht daran hindern, den Export dennoch zu blockieren. Der Vertrauensschutz begründe „keinen Automatismus für die Erteilung einer Genehmigung“, räumte das Wirtschaftsministerium dieser Tage ein. Und selbst schon erteilte Ausfuhrgenehmigungen kann die Bundesregierung—wie von Oppositionsabgeordneten gefordert — widerrufen. Sie muss dann aber unter Umständen Entschädigungen zahlen. Das könnte bei den Schiffen „At Tuwal“ und „Sharorah“ zutreffen. Viele Berliner Abgeordnete hatten bereits Recherchen von Journalisten aufgeschreckt, wonach einige der Boote aus deutscher Produktion erst Richtung jemenitischer Küste unterwegs waren — und dann ihre Transponder abschalteten. Ihre weiteren Routen ließen sich so nicht mehr verfolgen. Einige der Schiffe waren nach den Aufzeichnungen von Trackingseiten auch jenseits der saudischen Hoheitsgewässer unterwegs — entgegen der Zusicherung, die SPD-Chefin Nahles zitierte. Bereits vor zwei Wochen verlangten mehrere Abgeordnete in der SPD-Fraktion einen Exportstopp. Es sei „nichtvertretbar, weitere Boote nach Saudi-Arabien zu liefern“, hielt der für zuständige Abgeordnete Florian Post in einem Brief fest, der auch an Außenminister Maas ging. Viele stimmten ihm zu, bis hin zu Ex-Parteichef Martin Schulz.
Angela Merkel, deren Bundestagswahlkreis ganz in der Nähe von Wolgast liegt, dachte bisher sicher auch an die Arbeitsplätze die an dem Bau der Schiffe hängen. Auch wenn das den deutschen Regeln „keine ausschlaggebende Rolle spielen“ darf. Und auch wenn sie es nicht so offen sagte wie US-Präsident Donald Trump, der ganz unverhohlen erhoffte Rüstungsaufträge der Saudis von über100 Milliarden Dollar gegen den Fall Khashoggi in die Waagschale wirft. Die Kanzlerin könnte jetzt stattdessen auf die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman hören: „Ich hoffe, der Westen wacht nach dem Fall Khashoggi endlich auf“, sagte die 39-Jährige. „Was mit Jamal passiert ist, sollte ihnen die Augen öffnen. Sie müssen aufhören, den Krieg im Jemen zu befeuern.“