Frankfurt/Main. Es sind dramatische Entwicklungen: Im Fußballgeschäft würde man jetzt von Abstiegskampf sprechen, in den Deutsche- und Commerz Bank involviert sind, in der Humanmedizin spräche man von Agonie, dem Todeskampf, und in der freien Marktwirtschaft spricht man vom Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Schlimme Formulierungen, die der einstigen Weltbank Deutsche Bank und dem ehemaligen Dax-Vertreter Commerzbank hinterher gerufen werden. Aber so ist die Realität: Beide Finanzinstitute kämpfen um die Existenz, die Aktien sind ins Bodenlose gefallen und von dem einstigen Ruhm und der Souveränität ist nichts geblieben. Außer der Erinnerung und einer bösen Vorahnung, dass die Aktionäre beiden Instituten in naher Zukunft den „Saft abdrehen könnten“. Und was das bedeutet, weiß jeder, der schon einmal im Wirtschaftsteil einer Zeitung gelesen hat.
Für die Profis war die Meldung bestenfalls Vollzug. Sie hatten sich schon lang zuvor aus dem Staub gemacht. Als am Abend des 5. September 2018 die Nachricht vom Rauswurf der Commerzbank aus dem Leitindex der deutschen Börse Dax die Runde machte, rangierte Deutschlands zweitgrößte Bank bei gerade mal noch zwei Investmentfonds unter den zehn wichtigsten Positionen. Alle anderen hatten sich schon zurückgezogen. Kein Wunder, dass die Märkte die Nachricht ziemlich gelassen aufnahmen — der Kurs der Commerzbank stieg am Morgen danach sogar zunächst um ein paar Cent. Um am Nachmittag wieder abzufallen.
Knapp drei Wochen später, am 24. September, endet ein großes Kapitel deutscher Börsengeschichte — und ein neues wird aufgeschlagen: Wegen ihres dramatischen Wertverlusts (minus 92 Prozent seit dem Jahr 2008) steigt die Commerzbank aus dem Dax ab und der Bezahldienstleister Wirecard aus München auf — in die Riege der 30 wichtigsten und wertvollsten Aktienunternehmen Deutschlands. Auch bei der Deutschen Bank hinterlässt der Wertverfall tiefe Spuren (minus 77 Prozent seit 2008), sie fliegt aus dem Euro Stoxx 50. Eine unglaubliche Umkehrung der Machtverhältnisse.
Deutlich negative Vorzeichen
Nicht mal Gerüchte über einen Zusammenschluss von Deutscher und Commerzbank konnten in diesem Sommer den Verfall aufhalten — früher ein Garant für hektische Kursausschläge. „Europa braucht nicht möglichst viele Banken, es braucht besonders starke Banken“, deklamierte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing noch wenige Tage vor den Entscheidungen der Indexanbieter. Damit setzte er einen neuen Ton in der Fusionsdiskussion. Seit Wochen macht das Wort vom „nationalen“ oder gar „europäischen Champion“ wieder die Runde — obwohl alle Arbeiten an solchen Champions bisher für die Commerzbank (mit der Übernahme der Dresdner Bank 2008) und für die Deutsche Bank (mit dem Einstieg 2008 bei der Postbank) katastrophale Missverständnisse waren. Unter ihnen leiden die Banken bis heute.
So steht in diesem Herbst eine bange Frage im Raum: Haben es die Chefs der beiden größten deutschen Banken überhaupt noch in der Hand, das Geschäft ihrer Unternehmen zu drehen und wieder nennenswerte Gewinne zu erwirtschaften? Selbst durch noch so radikale Entscheidungen und brutale Einschnitte? Der Kursverlauf der Aktien legt eine klare Antwort nahe: Nein, das haben sie nicht. Denn hinter dem Kursverfall steht ein für Finanzleute typisches nüchternes Kalkül: All die Hoffnungen, der Markt werde bald drehen, die Zinsen endlich steigen und die Erträge zurückbringen, genießen bei Investoren kein Zutrauen mehr. Tatsächlich verfügen beide Institute über ein großes Kundengeschäft mit hohen Einlagen, allein die Deutsche Bank schiebt rund 280 Mrd. Euro Liquidität vor sich her, auf die sie im Zweifelsfall sogar Strafzinsen zahlen muss. Ein Zinsanstieg um nur wenige Zehntelprozentpunkte macht bei solchen Summen gleich einen gewaltigen Unterschied.
Was sich nun jedoch in die Kurse schleicht, ist die Sorge, dass es mit der großen Zinswende in diesem Konjunkturzyklus nichts mehr wird. Vielmehr könnte die deutsche Konjunktur — nicht unbedingt sofort, aber in den nächsten ein bis zwei Jahren — in schwierigeres Fahrwasser geraten, noch ehe die Zinsen endlich wieder steigen. Selbst wenn die Wirtschaft noch die nächsten 24 Monaten im „Boommodus“ bleibt, würden die Leitzinsen frühestens Mitte 2020 wieder aus der roten Zone herauskommen. Das ist sehr viel Zeit, in der noch einiges schiefgehen kann: durch einen ungeregelten Brexit etwa oder einen echten Handelskrieg mit den USA.
Die Wende, die nicht kommt
Dieses Szenario — ein Ende des Konjunkturzyklus, ehe die Zinsen überhaupt wieder steigen — wäre für Europas Banken insgesamt schlecht, aber für die Deutsche Bank und die Commerzbank eine Katastrophe. Nicht nur, dass die erhofften Erlöse im Zinsgeschäft ausblieben. Auch auf der Risikoseite könnte es schnell brenzlig werden: Denn im Abschwung fallen natürlicherweise mehr Kredite aus als im Aufschwung.
Mit einer Ausfallrate von derzeit gerade mal 0,2 Prozent, wie sie die Schweizer Großbank UBS für ihre deutschen Wettbewerber hoch gerechnet hat, bewegen sich die Ausfälle weit unter dem historisch üblichen Niveau — der guten Konjunktur und Beschäftigung sei Dank. Seit dem Jahr 2000 waren es hingegen 0,5 Prozent. Schon eine Normalisierung würde für die Banken teuer werden — von den Schwierigkeiten in -einer Rezession ganz zu schweigen. Für dieses Szenario sind die Deutsche Bank und die Commerzbank schlechter gerüstet als europäische Wettbewerber. Das Verhältnis des Börsenwerts zu den Vermögenswerten wie auch ihre Rentabilität sind im Vergleich zu Wettbewerbern deutlich niedriger. Das heißt auch: Sie gingen mit deutlich geringeren Reserven in einen möglichen Abschwung — ein Punkt, den auch der Analyst Stuart Graham von „Autonomous Research“ immer wieder betont. Die Filialen seien kein Vorzug, sondern „Altlasten“, sagt Graham, ferner „sind die deutschen Banken mit ihrer niedrigen Rentabilität kaum gerüstet für den nächsten Abschwung“. Unter institutionellen Anlegern sei daher Konsens, dass deutsche Banken keine gute Anlage seien.
Der Druck, sich endlich zusammenzuschließen, kommt daher nicht aus der Position der Stärke. Die Idee folgt auch nicht dem Gedanken, einen „Champion“ zu formen. Vielmehr ist es die schiere Not, die die Überlegungen antreibt. Anders als in früheren Fusionsgerüchte-Runden gelten inzwischen auch Aufseher und Berliner Politik nicht mehr als Bremser, die Chancen, dass in den nächsten Monaten tatsächlich noch ein großer Knall passiert, sind also diesmal tatsächlich ungleich höher — und trotzdem will niemand an eine große Wendestory glauben. Denn für eine Fortsetzung der Misere muss die Konjunktur nicht mal abstürzen (was wahrscheinlich Hand in Hand mit sinkenden Zinsen ginge). Es genügt alleine schon, dass die Zinsen schlicht da bleiben, wo sie sind.
Hilfreich ist dazu ein Blick in die sogenannte „Niedrigzinsumfrage“ der Bundesbank aus dem vergangenen Jahr. Dabei erkundigte sich die Zentralbank bei 1500 deutschen Geldinstituten, wie sie denn mit dem Problem anhaltend niedriger Zinsen umgehen würden. Die Ergebnisse lassen sich grob so zusammenfassen: Ja, weiter niedrige Zinsen wären ein Problem. Von den ohnehin schon niedrigen 0,51 Prozent Vorsteuermarge dürften demnach allein im Zinsgeschäft mehr als die Hälfte noch einmal wegbrechen. Aber das, so erklärten die Institute in der Selbstauskunft, werde man durch steigende Provisionseinnahmen fast vollständig kompensieren. Die Analysten der UBS vermerkten dazu, Letzteres sei lediglich „angenommen“ und „nicht erklärt“.
Selbst im Boom keine Marge
Tatsächlich sind Zweifel angebracht, wie ein Blick auf die jüngsten Zahlen der Deutschen und der Commerzbank zeigen: Im ersten Halbjahr 2018 sank im Privat- und Firmenkundengeschäft der Provisionsüberschuss der Commerzbank im Vergleich zum ersten Halbjahr 2017 um sechs Prozent, die Erträge der Deutschen Bank um sieben Prozent. Tatsächlich spielt sich gerade bei den Krediten in Deutschland eine Margenschlacht ab, die sich sowohl in der regelmäßigen Kreditumfrage der Europäischen Zentralbank wie auch in den Ergebnissen der Banken spiegeln: Seit sechs Quartalen in Folge melden Banken sinkende Margen bei Wohnbaukrediten aufgrund des Wettbewerbs, bei Unternehmensfinanzierungen berichten sie vom „höchsten Wettbewerbsdruck“ seit vier Jahren. Unterm Strich gelingt es beiden Großbanken selbst in einem Wirtschaftsumfeld unter Volldampf mit Vollbeschäftigung, wenigen Kreditausfällen und solidem Wachstum nur noch gerade so, ihre schmalen Gewinne zu halten.
Hinzu kommt ein letztes Risiko, das Investoren umtreibt: Je niedriger der Börsenwert, desto schwieriger ist es auch, in der nächsten Krise noch einmal frisches Kapital aufzunehmen. Eine simple Hochrechnung ergibt: Müssten Deutsche Bank und Commerzbank nur zwei Prozent ihrer Bilanz abschreiben, müssten sie ihr Eigenkapital glatt verdoppeln. Für jeden Euro Börsenwert müssten sie bei Aktionären einen frischen einsammeln, um auch nur den Kapitalanforderungen zu genügen. Das erklärt die Bilanz von Commerzbank-Chef Martin Zielke und Deutsche-Bank-Boss Christian Sewing. Zielke trat seinen Job im Mai 2016 bei einem Aktienkurs von 8,15 Euro an, erklärte die Bank zum Sanierungsfall, kürzte 9 600 Stellen und verkauft sich heute als digitaler Vorreiter. Der Kurs Mitte September: 8,21 Euro. Sewing ist bei der Deutschen Bank erst seit 9. April am Ruder. Seine bisherigen Auftritte brachten ihm viel Lob ein. Dennoch: Am Tag seines Antritts kostete die Aktie 11,48 Euro. Heute 9,89 Euro.