Ingolstadt. Was deutsche Top-Manager wie Rupert Stadtler (Audi) in deutschen Gefängnissen erleben.
Schlimmer kann ein Karriere-Knick nicht sein: Vom Chefsessel im Glaspalast auf die harte Pritsche in der Gemeinschaftszelle. Zusammen mit Menschen, über die man früher selbst nur kopfschüttelnd in der Zeitung gelesen hat, und die jetzt zusammen mit einem selbst den Knast-Alltag durchleben. Räuber, Vergewaltiger, Mörder, Pädophile: Eine Mixtur aus düsteren Gestalten, die ihr Leben größtenteils verwirkt haben und dafür jetzt eine lange Zeit absitzen. Ein Horrorszenario, ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Und dennoch knallharte Realität für einige deutsche Manager, die mittlerweile ihren Arbeitsplatz mit der Zelle tauschen mussten. Und daran ganz schwer zu schlucken haben…
Erste Szenario dazu findet man in Bayern: Bayerns angeblich sicherstes, auf jeden Fall aber neuestes Gefängnis liegt inmitten von Feldern nicht weit von Augsburg. Es würde durchaus als Kulisse für eine Werbekampagne der deutschen Betonbauerzunft taugen: Die hohen Mauern rund um das Gefängnis sind genauso aus Beton wie die Bodenplatten, ja selbst die Bänke in den Innenhöfen. Kein Baum, kein Busch spendet Schatten, die kleinen Rasenstücke hat die Hitze ausgetrocknet. Mehr Grün oder gar Schatten sei unmöglich zu gewährleisten, sagt Anstaltsleiterin Zoraida Maldonado de Landauer, das könnte die Arbeit der Kameras beeinträchtigen. Die Frau mit den langen dunklen Locken spricht in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
Aus München-Stadelheim, wo Volkswagens Motorenexperte Wolfgang Hatz (59) einsaß, ist trotz weitläufiger Rasenflächen und hoher Bäume seit über zwei Jahrzehnten keiner mehr ausgebrochen. Maldonado de Landauer scheint zu jener Sorte Menschen zu gehören, die Vorschriften gern möglichst streng auslegen. Diese Strenge bekommt seit Mitte Juni auch der wohl prominenteste Häftling zu spüren: Rupert Stadler (55). Der Audi-Chef, gegenwärtig beurlaubt, in der Justizvollzugsanstalt Gab wegen des Verdachts auf Betrug sowie versuchter Zeugenbeeinflussung in der Dieselaffäre ein. Jeden Nachmittag um 15 Uhr darf er gemeinsam mit 150 anderen Gefangenen seines Trakts im Innenhof ein paar Runden drehen. Für eine Stunde raus aus der vergitterten Neun-Quadratmeter-Ze11e an die frische Luft, danach wird zu Abend gegessen: Es gibt Brot mit Wurst oder Käse. Von 17 bis 19 Uhr sperren die JVA-Bediensteten dann die eine Hälfte der Zellen für die sogenannte Freizeit auf; in der können die Häftlinge duschen und sich besuchen. Von 19 bis 21 Uhr ist die andere Hälfte dran.
Der Knast-Alltag ist hart
Ansonsten schließen die Wärter die Zellen nur um 6 Uhr morgens sowie für Vernehmungen und Besuche auf. Untersuchungshäftlinge wie Stadler dürfen im Monat nur zweimal eine oder viermal eine halbe Stunde Besuch bekommen. Sofern die Staatsanwaltschaft das genehmigt. In den ersten Wochen nach der Festnahme frühmorgens am 18. Juni in seiner Ingolstädter Villa konnte ihn nicht einmal seine Ehefrau besuchen. Grund: Verdunkelungsgefahr. So sah Stadler neben den Gefängnisbeamten und den Staatsanwälten nur gelegentlich seinen Anwalt, den Münchener Strafrechtler Thilo Pfordte (60).
Die Zellen in der JVA Augsburg-Gablingen haben, anders als in anderen Gefängnissen, nicht mal ein Radio. Das kann man kaufen, einen Fernseher kann man mieten. Doch bis die Geräte geliefert werden, dauert es oft Wochen. Was also tun den lieben langen Tag? „Die psychische Belastung ist riesengroß“, sagt ein ehemaliger Vorstand, der vor einigen Jahren ähnlich überraschend in Untersuchungshaft landete. „Vorher sind Sie 24 Stunden durchgetaktet, plötzlich haben Sie unendlich Zeit. Aber eigentlich haben Sie überhaupt keine Zeit. Denn Sie wissen: Mit jedem Tag, den Sie länger hier sind, steigt der Druck auf die Staatsanwaltschaft, Ihnen etwas anzuhängen — damit sie ihr Gesicht wahrt. Beruflich bedeutet die U-Haft den Tod, finanziell ist sie ein Desaster, zumal, wenn noch Schadensersatzforderungen drohen. Das alles geht einem ständig durch den Kopf.“
Vom Chefsessel eines der angesehensten deutschen Automobilbauer in die demütigenden, oft gar entwürdigenden Bedingungen monatelanger U-Haft, viel tiefer kann einer nicht stürzen. „Wem das passiert, der muss danach gebrochen sein“, glaubt ein ehemaliger Audi-Vorstand, der Stadler gut kennt. Für etliche Führungskräfte ist der Fall Stadler ein Fanal. Die Angst geht um. „Viele fragen sich: Kann mir das auch passieren?“, erzählt ein renommierter Strafrechtler, der ständig Topmanager vertritt — zurzeit einen von VW, daher will er nicht zitiert werden. Karriere bis zum Knast — das gehört nun auch in Deutschland zur Realität.
Die Gefahr, dass die verschärften Haftungsbedingungen in den Unternehmen in Haft für Manager münden, wird größer. Die Topetagen sind dabei nicht mehr tabu. „Wir erleben, dass sich die Strafverfolger zunehmend den oberen Schichten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zuwenden“, sagt Eberhard Kempf (75) , einer der erfahrensten Strafverteidiger dieser Klientel.
U-Haft als Druckmittel
Immer häufiger setzen die Staatsanwälte beim Verdacht auf Wirtschaftsstraftaten Untersuchungshaft als Druckmittel ein, um an Informationen zu kommen. Das ist aus Sicht der Ermittler durchaus nachvollziehbar. Der ITV-Konzern etwa verweigere nun schon seit fast drei Jahren eine ordentliche Kooperation, klagen Strafverfolger hinter vorgehaltener Hand.
Wer sich in einer Gemeinschaftszelle mit einem Mörder, einem Drogendealer und einem Betrüger wiederfindet, packt eher aus, als wenn er hinter seinem Chefschreibtisch sitzt, so das Kalkül. Derart erging es jedenfalls einem früheren Vorstand. Einen anderen forderten Staatsanwälte während der Untersuchungshaft auf: „Belasten Sie doch einfach Ihren Vorstandsvorsitzenden, dann sind Sie ganz schnell hier raus.“ Das mag Wirkung entfalten, die feine rechtsstaatliche Art ist es nicht. „Jemanden zu verhaften und in U-Haft festzuhalten, weil er nichts sagt, ist rechtswidrig“, sagt der Münchener Strafverteidiger Kurt Bröckers (54).
Im VW-Skandal traf es erst Entwicklungsingenieure, dann Entwicklungsleiter und später Audis langjährigen Chef der Motorenentwicklung Wolfgang Hatz, zuletzt Vorstand bei Porsche. Stadler ist der bis dato höchstrangige Manager. Über ihm stehen nur noch Volkswagens Boss Martin Winterkorn (71) und Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch (67). Gegen beide wird ebenfalls ermittelt.
Wird demnächst Winterkorn festgenommen? Auszuschließen ist das nicht, doch würde dies die Staatsanwälte und Haftrichter in Erklärungsnot bringen. Fluchtgefahr — der eine Haftgrund — kann kaum unterstellt werden. Winterkorn kann, da er in den USA angeklagt ist, Deutschland ohnehin nicht mehr verlassen. Und auch der zweite Haftgrund, Verdunkelungsgefahr, ist bei ihm schwer zu belegen. Wie soll einer drei Jahre nach seinem Abgang noch Papiere verschwinden lassen oder Zeugen beeinflussen?
Winterkorns langjährigen Vertrauten Hatz hielten die Ermittler neun Monate lang fest. Der einst stattliche Mann litt unter der U-Haft und wurde von der JVA München Stadelheim in eine Klinik am Tegernsee verlegt, wo er an der Bandscheibe operiert wurde. Die Wochen dort verbrachte Hatz wie bei U-Häftlingen üblich mit den Füßen an sein Bett gefesselt, bis er im Juni gegen drei Millionen Euro Kaution sowie ein weitreichendes Kontaktverbot freikam. Das Geld konnte er aufbringen, der Aufhe- bungsvertrag mit Porsche 2016 hatte ihm zwölf Millionen Euro (vor Steuern) eingebracht. In den Vernehmungen soll er bis zum Schluss zugeknöpft geblieben sein.
Vorbild Siemens-Skandal
Die harte Tour beim Dieselskandal hat ein Vorbild: Siemens. Wegen der Korruptionsaffäre und der illegalen Finanzierung der Betriebsräteorganisation AUB verhafteten die Ermittler damals zahlreiche Manager. Wie bei von unten nach oben. Erst Führungskräfte niederer Ebenen, später einen Bereichsvorstand, schließlich zwei Zentralvorstände: Thomas Ganswindt (57) und Johannes Feldmayer (61). So robust die Staatsanwälte bei Siemens zu Werke gingen, so überschaubar blieb ihre Erfolgsbilanz, insbesondere was die Herrschaften ganz oben betraf: Feldmayer war der einzige Vorstand, der wegen seiner Verwicklung in die AUB-Finanzierung verurteilt wurde, zu einer Bewährungsstrafe. Ganswindt erstritt in einer monatelangen Hauptverhandlung eine Einstellung seines Verfahrens gegen Geldauflage. Die anderen Ermittlungen endeten mit Freispruch oder — noch vor Erhebung einer Anklage — mit Einstellung, zum Teil ebenfalls gegen Geldauflagen. Beim langjährigen Konzernchef und damaligen Chefkontrolleur Heinrich von Pierer (77) reichten die Verdachtsmomente nicht einmal für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Ganz offensichtlich liegen die Schwellen für eine Verhaftung recht niedrig. Die Richter beschäftigen sich oft nur eine Viertelstunde mit einem Haftbefehl, bevor sie ihn unterschreiben. Dabei prüfen sie vor allem, ob Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr zutreffen. Bei der Frage, ob ein dringender Tatverdacht vorliegt, verlassen sich die Richter auf die Staatsanwälte, die sich ja eingehend mit der Sache beschäftigt haben. Die indes befolgen den Rechtsgrundsatz, nach Entlastendem ebenso emsig wie nach Belastendem zu forschen, nicht immer.
Für Vorstandsmitglieder ist das Risiko durch die aktienrechtliche Gesamtverantwortung des Gremiums größer als für normale Führungskräfte. „Da stellt es schon eine erhebliche Gefahr dar, wenn im Ressort eines Vorstandskollegen Strafbares passiert ist“, sagt Bröckers, der früher Ganswindt verteidigte. Dass ein Vorstand das Ressort eines gleichgestellten Kollegen mitüberwacht, ist allerdings völlig lebensfremd.
Nur die Hälfte der Untersuchungshäftlinge werde später zu einer Haftstrafe verurteilt, sagt der Münchener Strafrechtsprofessor Bernd Schünemann (73). Woraus zu schließen sei, dass sich die Hälfte der Haftbefehle später „als überflüssig herausstellt“. Trotzdem tragen alle das Kainsmal Knast. „Eine Haft bedeutet fast immer das Ende der beruflichen Karriere und oft auch der persönlichen Beziehungen“, sagt Kempf.
Bei den Festnahmen arbeiten die Strafverfolger mit allen Tricks. In der Siemens-Affäre etwa meldete sich ein Manager bei der Münchener Staatsanwaltschaft, um als Zeuge auszusagen. Erst nach mehreren Stunden Vernehmung wurde ihm eröffnet, dass er als Beschuldigter geführt und ein Haftbefehl ausgestellt war. Rechtlich ist das Vorgehen problematisch, da Zeugen zur Wahrheit verpflichtet sind, ein Beschuldigter jedoch die Aussage verweigern und lügen darf.
Ein Paparazzo wartete schon
Schon die äußeren Umstände jeder Festnahme sind ein Schock. Wer Pech hat, schafft es nicht sofort ins Untersuchungsgefängnis, sondern muss die erste Nacht auf einer Polizeiwache verbringen, in einer Zelle, in die sonst Betrunkene zum Ausnüchtern gesteckt werden. Zu essen gibt es meist nichts, zu trinken nur Wasser aus der Leitung. Die Hände auf dem Rücken oder vor dem Bauch gefesselt, geht es am nächsten Tag zum Haftrichter, Gelegenheit für die nächste Demütigung. Ein früherer Spitzenjurist der Deutschen Bank, der bei einer Razzia im Dezember 2012 festgenommen wurde, fand zwei Tage später ein Foto von sich in Handschellen, abgeführt von einem Beamten des Bundeskriminalamts (BKA), in der „Bild“-Zeitung wieder. Der BKA-Mann hatte den Banker zunächst in ein falsches Gebäude gebracht, vor dem ein Fotograf wartete. Schwer, da an Zufall zu glauben. Im Gefängnis wird der Häftling nach einer Dusche ausführlich von einem Arzt untersucht und erhält Anstaltskleidung, Toilettenartikel und eine (nicht selten nach Rauch stinkende) Wolldecke und Bettwäsche. Hat er einen Koffer mit eigener Kleidung dabei, händigen die Beamten ihm das aus, was sie für ungefährlich und nicht allzu wertvoll halten: Gürtel werden einbehalten, Manschettenknöpfe, teure Uhren, Mobiltelefone, Computer und mitgebrachtes Geld werden im Safe verschlossen.
Im Gegensatz zu Strafgefangenen dürfen Untersuchungshäftlinge eigene Kleidung tragen. Aber wer hat bei der Verhaftung schon einen gepackten Koffer dabei?
Auch der Anspruch auf eine Einzelzelle ist nur theoretisch. Bei Gemeinschaftszellen werde darauf geachtet, dass die Insassen zusammenpassen, sagt der Leiter der JVA Stadelheim, Michael Stumpf.
Die Zwangs-WG hat auch Vorteile: Man erhält sofort wertvolle Tipps. Den etwa, nicht mit mehr als einem anderen Häftling duschen zu gehen oder stets auf Verschluss der eigenen Zelle zu achten — auch in den „Aufschlusszeiten“. Sexuelle Übergriffe oder andere Gewalttaten sind im Knast keine Seltenheit. Ein Verteidiger berichtet, er habe schon mal der Ehefrau eines Mithäftlings Geld gebracht, damit dieser seinen Mandanten schütze.
Die Psyche spielt verrückt
Weit schwerer als die bedrückenden Haftbedingungen belasten der Kontrollverlust und die komplette Abschottung. Die ersten Wochen in der Untersuchungshaft sind die schlimmsten. „Die Manager stürzen in ein tiefes Loch, das Schlimmste ist die Hoffnungslosigkeit“, sagt der Münchener Psychologieprofessor Dieter Frey. Man quäle sich mit Fragen: Warum ich? Wie lange sitze ich hier, und wo wird das Ganze hinführen? „Viele brechen zusammen und geben, um schnell wieder rauszukommen, alles zu — egal ob es stimmt oder nicht“, sagt Anwalt Kempf. Die Justiz gibt das Tempo vor, und sie arbeitet langsam. Für Topshots, die gewohnt sind, dass auf ihre Anweisungen alle sofort springen, ist das kaum nachvollziehbar.
Die meisten ertragen einen geordneten Strafvollzugweit besser als die Untersuchungshaft. Das Urteil ist gesprochen, der mögliche Tag der Entlassung bekannt und der Alltag ausgefüllt: werktags wird täglich acht Stunden in der JVA und ihren Werkstätten gearbeitet.
U-Häftlinge dagegen können sich zwar um Arbeit bemühen, aber meist gibt es nicht genug Jobs. FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß (66) saß nie in U-Haft, der frühere Chef von Bertelsmann und Arcandor, Thomas Middelhoff (65) wurde erst nach der Verurteilung eingebuchtet. In seinem Buch beklagt er sich ausführlich über die Zustände im Knast.
Middelhoffs grober Fehler
Je abgehobener ein Manager ist, desto tiefer meist der Fall. Von Middelhoff erzählen sich Anwälte genüsslich die Anekdote, wie er zu früh zu einer Gerichtsverhandlung erschien und noch in die Gerichtskantine ging. Dort dudelte ein Radio Schlager, was Middelhoff nervte; unter den Augen zahlreicher Staatsanwälte und Richter, die in der Kantine saßen, drehte er das Radio leiser. Ausgeprägt war der Hang zum Größenwahn auch bei Volkswagen. Innerhalb des Konzerns genossen die Motorenentwickler das höchste Ansehen, sie standen in der internen Hackordnung weit oben. Hatz galt dabei als einer, der andere seine Großartigkeit gern spüren ließ.
Wer sich eine gewisse Umgänglichkeit und Bodenhaftung bewahrt hat, was dem Landwirtssohn Stadler von Kollegen attestiert wird, kommt im Gefängnis besser zurecht.
Der 2012 festgenommene frühere Deutsche-Bank-Jurist entschied für sich von Tag eins an: „Wenn du hier überleben willst, musst du soziale Kontakte knüpfen.“
Er war privilegiert, weil ihn seine Mitgefangenen für einen Kriminellen der höchsten Hierarchiestufe hielten. Sie hatten am Vorabend die Berichte über die Durchsuchung der Doppeltürme mit Hunderten teils bewaffneten Beamten im Fernsehen gesehen. Das verleiht Respekt. Als ihm der Wärter erstmals die Zelle aufschloss, standen 15 Häftlinge vor seiner Tür Schlange, um sich ihm vorzustellen. Mit dem Häftling, der das warme Essen aus Kübeln verteilte, stellte sich der Jurist gut und bekam von ihm die Äpfel und Orangen, die andere Gefangene verschmähten.
Heute, fast sechs Jahre später, kann er über manche seiner Knastgeschichten sogar selbst lachen. Doch die acht Tage in Untersuchungshaft haben nachhaltig Eindruck hinterlassen. „Ich habe schätzen gelernt, wie gut es mir geht.“
Rechtlich ist der Manager komplett rehabilitiert. Der Verdacht der Staatsanwaltschaft, er habe bei einer früheren Razzia E-Mails vorenthalten, löste sich in Luft auf. Der Betreiber der Rechenzentren, IBM, gestand ein, dass die E-Mails wegen eines technischen Fehlers beim Ziehen der Sicherungskopien fehlten. Es dauerte fünf Jahre, bis der Frankfurter Generalstaatsanwalt die Ermittlungen gegen den Juristen und weitere in U-Haft gesetzte Bankmitarbeiter ohne jede Auflage „mangels hinreichen dem Tatverdacht“ einstellte. Seine Karriere bei der Bank hat der Knastausflug trotzdem zerstört; vor zwei Jahren wechselte er als Partner zu einer Anwaltskanzlei.
Meist dauert es Jahre, bis die Manager sich wieder gefangen haben. Ein früherer Vorstand las sich nach seiner U-Haft intensiv in Themen wie „Folter und Hinrichtung im Mittelalter“ ein, um das Erlebte zu begreifen. Die Staatsanwälte vergleicht er seither mit mittelalterlichen Henkern, das „Weichkochen“ in der U-Haft mit deren Aufgabe, durch Folter oder das Zeigen der Folterwerkzeuge Geständnisse zu erpressen. Die Prinzipien seien damals wie heute dieselben, findet der Mann: Man schottet die Beschuldigten ab und führt eine für sie unvorstellbare Lebenssituation herbei.
So mag es auch Rupert Stadler empfinden. In den ersten vier Wochen stritt er die Vorwürfe Betrug und mittelbare Falschbeurkundung noch energisch ab; ebenso den Vorhalt, er habe versucht, Zeugen zu beeinflussen. Seit Mitte Juli schweigt er. Den Strafverfolgern reichen seine Angaben offenbar nicht. Mitte August schmetterte das Münchener Landgericht eine von Stadlers Anwalt beantragte Freilassung ab. Einstweilen muss der Iangjährige Audi-Chef weiter in Gablingen schmoren. Auf seinen Posten wird er kaum je zurückkehren können. Die Staatsanwälte bereiten eine Anklage vor. Ein deprimierender Gefühlscocktail. Je länger die U-Haft dauert, desto mehr schwindet der Rückhalt draußen. „Das Umfeld attribuiert: Wenn einer so lange in U-Haft sitzt, muss etwas Wahres dran sein“, erklärt Psychologieprofessor Frey. „Die meisten unterliegen der Illusion der gerechten Welt: Menschen verdienen, was sie haben, und haben, was sie verdienen.“
Immerhin kann Stadler auf seine Familie zählen. Sie stehe, wie Vertraute berichten, fest hinter ihm. Auch in der Region Ingolstadt, aus der Stadler und seine Ehefrau stammen, ist die Unterstützung enorm. Die Familie schottete sich nie ab, lebt, soweit das überhaupt möglich ist, ein normales bürgerliches Leben. Gattin Angelika engagiert sich für den Verein „Familie in Not“. Die Kinder sporteln in Ingolstädter Vereinen, eine Tochter kickt trotz ihres Studiums in München nach wie vor beim FC Ingolstadt. Stadlers Bruder vermarktet Holz für die Waldbauern der Gegend. Auch sah man den Audi-Boss sonntags häufig in der Kirche. Manche in Ingolstadt glauben bis heute, er sei da „in etwas hineingeschlittert“. Als Stadler vor elf Jahren an die Audi-Spitze aufstieg, beglückwünschte ein Bekannter Stadlers Mutter zu ihren erfolgreichen Sohn: Der sei ja wirklich weit gekommen. Die Frau, die ihr Leben lang auf dem kleinen Bauernhof der Familie im 300-Seelen-Dorf Wachenzell gearbeitet hat, empfand alles, nur keinen Stolz: „Jetzt muss ich noch mehr für ihn beten.“