Bonn. Bereits kleinste formelle Fehler bei der Beantragung oder der Fortzahlung von Krankengeld kann zum sofortigen Zahlungs-Stopp führen und den Versicherten in arge finanzielle Nöte bringen. So traurig es ist, erst eine neue Eingabe im Bundestag von Gesundheitsminister Jens Spahn soll die Folgen von Formfehlern begrenzen. Alle, die bereits vorher in die Krankengeld-Falle getappt sind, mussten das oft teuer bezahlen, bis hin zur Privatinsolvenz. Dabei hat Deutschland so viel Geld für „humanitäre Hilfen und Projekte“ und die Überschüsse der Kassen liegen im zweistelligen Milliardenbereich – trotzdem versucht man bei den „Schwächsten“ wieder einmal den Geldhahn zuzudrehen. Die Menschen, die sich im Paragraphenwald und in unverständlichen juristischen Formulierungen verirrt haben. Wieder mal ein Paradebeispiel dafür, wie Gewinnmaximierung auf dem Rücken der „Kleinen“ ausgetragen wird.
Das folgende Beispiel gibt Einblick in den Irrsinn bei der Genehmigung von Krankengeld: Dass seine Krankheit ihn arm machen könnte, glaubte Frank Homberg nicht. Jedenfalls nicht bis zu diesem Tag im April 2016. Seine Hausärztin hatte ihn schon länger zuvor krankgeschrieben, Diagnose: Burnout. Er habe kaum Zeit für seine Frau und seine drei Kinder gefunden, erzählt der leitende Angestellte, er habe nur Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit gekannt.
An jenem Apriltag wollte Homberg eine weitere Krankmeldung für die Techniker Krankenkasse holen, die letzte war einen Tag zuvor abgelaufen. Doch in dem Wartezimmer drängten sich die Patienten, sodass die Ärztin sagte: „Morgen mache ich die Bescheinigung fertig. Ich weiß ja, dass Sie krank sind.“ Ein verhängnisvoller Vorschlag. Denn die Techniker strich daraufhin das Krankengeld, weil zwischen den Attesten eine Lücke klaffte — und das darf nicht sein. Homberg fehlten plötzlich einige Tausend Euro im Monat. „Wir waren auf einer Rutschbahn nach unten“, sagt er. Auf dieser Fahrt ist er nicht allein. Mehrere Tausend Menschen im Jahr geraten in finanzielle Nöte, weil sie ihr Krankengeld verlieren, schätzen Organisationen wie die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD). Nichtweil sie schummeln, sondern wegen eines Formfehlers. „Viele Patienten fallen da aus allen Wolken“, sagt Heike Morris, Rechtsexpertin bei der UPD.
Gut zwölf Milliarden Euro Krankengeld zahlen die Kassen im Jahr, Tendenz steigend. Die Hilfe gibt es, wenn die Lohnfortzahlung der Firmen nach sechs Wochen endet. Für bis zu 78 Wochen fließen70 Prozent des Bruttolohns. Wer nahtlos Krankmeldungen einreicht, hat kein Problem; wer nur eine Lücke von einem Tag hat, geht manchmal leer aus. „Da setzt eine Kettenreaktion ein“, sagt Kai Kirchner von der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Wie bei Frank Homberg. Er hatte während seiner Krankheit den Job bei einer Logistikfirma verloren, und als das Krankengeld wegfiel, wollte er Arbeitslosengeld I beantragen. Doch bei der Arbeitsagentur hörte er: „Sie haben keinen Anspruch. Sie sind ja krank.“ Homberg löste seine Ersparnisse auf, pumpte Freunde an, verkaufte das Auto, wechselte die Wohnung und klagte gegen die Techniker Krankenkasse. Die lässt einen Sprecher beteuern, sie müsse sich an die „geltende Rechtslage halten“ und habe „keinen Spielraum“. Tatsächlich engen Urteile die Krankenkassen beim Umgang mit dem Krankengeld stark ein, bestätigen Verbraucherschützer. Doch das soll sich ändern. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, den das Kabinett noch im Septemberverabschieden Bei einer Lücke zwischen den Attesten werde „sichergestellt, dass das Krankengeld nicht mehr vollständig und dauerhaft entfällt, heißt es. Das heutige Verfahren sei „unangemessen“ und „eine besondere Härte“.
Verbraucherschützer begrüßen den Fortschritt. Ob damit die Falle endgültig geschlossen werde, hänge aber davon ab, wie die Richter die Neuerung auslegten, sagen sie. Für Frank Homberg kommt sie zu spät, denn sie gilt nicht für alte Verfahren. Ihm half am Ende Beharrlichkeit. In seiner Not schrieb er an den Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele. Dessen Fachleute fanden eine selten genutzte Sonderregel. Die Folge: Homberg erhielt nachträglich Arbeitslosengeld I.