Bonn. Er kam vor gut 6 Jahren, um den Metro-Konzern wieder auf Kurs zu bringen – speziell was die Aktien betrifft und die Integration von Kaufhof und Media-Saturn. Aber je mehr Jahre ins Land gingen, desto mehr Rückschläge musste Olaf Koch einstecken. Speziell beim Kurs der Wertpapiere gabs einen bösen Abwärtstrend und auch die Kooperationsgeschäfte liefen nicht optimal. Was bei Daimler dem Manager Koch noch gelang, ging bei der Metro-Sanierung bis jetzt gehörig in die Hose.
Wenn Olaf Koch (48) noch einmal auf die Welt käme, würde er wohl Gastronom werden. Oder Kioskbesitzer. Vielleicht auch Tankstellenpächter. Für alle drei Berufsgruppen hat der Vorstandsvorsitzende der Metro AG in jüngerer Zeit sein Herz entdeckt. Vor allem sie sind die Kunden der weltweit über 750 Abholgroßmärkte unter den Marken Metro. oder auch Makro, wie sich der Händler in einigen Ländern nennt. Die von Koch neuerdings so geschätzten Kleingewerbetreibenden waren früher zum Teil grob vernachlässigt worden. Was und zu welchen Preisen in den Märkten angeboten wurde, bestimmten lange Zeit die mächtigen Einkäufer der Metro AG. Alles war zentral gesteuert, Kundenbedürfnisse spielten eine untergeordnete Rolle.
Entsprechend mau lief das Geschäft, mal abgesehen von den Schwellenländern in Osteuropa und Asien, wo man sich gegen Umsatz kaum wehren konnte. In den westeuropäischen Stammländern wurde immer wieder experimentiert, Sortimente wurden umgestellt, Preise korrigiert. Allein bei Cash & Carry in Deutschland kamen und gingen in den vergangenen zwölf Jahren sechs Chefs, und jeder probierte etwas Neues aus — zumeist erfolglos.
Für die Misere ist Koch mitverantwortlich. Seit 2012 steht er dem Vorstand der Metro AG vor. Doch erst nachdem er 2015 die Warenhaussparte Kaufhof veräußert sowie 2017 den Elektronikfilialisten Media Saturn (heute Ceconomy AG) abgespalten hatte, konzentrierte er sich stärker auf das Cash-&-Carry-Geschäft und damit auf seine Lieblingskunden — so er nicht an den 282 deutschen SB-Warenhäusern unter dem Label Real herumsaniert. Koch würde die ungeliebte Tochter am liebsten loswerden, wenn er einen anständigen Preis für sie bekäme. Kriegt er aber nicht.
Die Aktionäre kehrten ihm den Rücken
Die Börse traut dem früheren Daimler- und Permira-Manager ganz offensichtlich nicht zu, dass er die Probleme lösen kann. Seit der Aufspaltung der Gruppe im Juli 2017 sank der Kurs um mehr als 40 Prozent. Sein Versprechen, die Reduktion des Geschäftszwecks auf den Lebensmittelhandel würde den sogenannten Konglomeratsabschlag auf den Aktienkurs verschwinden lassen, hat sich nicht erfüllt. Besonders unzufrieden mit der Geschäfts- und der Börsenkursentwicklung ist Großaktionär Haniel (22,5 Prozent), für den Metro das größte Einzelinvestment darstellt. Koch steht unter verstärkter Beobachtung der Ruhrdynastie. Immer mal wiedersucht sie nach einem Nachfolger für den Metro-Chef — bislang eher halbherzig, und stets ohne konkretes Ergebnis. Das von den Haniels vorgegebene Ziel lautet, Metro auf den Kern zurückzuführen: das 1964 gegründete Geschäft mit den Abholgroßmärkten. Und die sollen, bitte schön, hochprofitabel arbeiten. Bleibt die Frage: Bekommt Koch das hin?
Schon unter seinen Vorgängern ist vieles versäumt worden. „In Deutschland fangen wir jetzt mit Nachdruck an, die Chancen zu ergreifen“, stellt Koch ebenso nüchtern wie ernüchtert fest. Doch ergibt nicht auf: „Die Zielgruppe, die wir ansprechen, begeistert mich. Und in einer fairen Partnerschaft mit diesen selbstständigen Unternehmern in Gastronomie und Handel können wir auch gutes Geldverdienen.“ Früher waren Systeme und Programme, Sortimente und Marketing zentral gesteuert — ganz gleich, welche Schwerpunkte die Klientel in den verschiedenen Lände hatte. Heute besitzen die Landeschefs weit mehr Kompetenzen. Seit 2015 werden sie von einem der acht im oder direkt unter dem Metro-Vorstand angesiedelten Operating Partners gecoacht. Jeder dieser Paten ist für maximal drei Länder zuständig. Zuvor hatte es Koch mit einer intensiven Betreuung von acht für Metro besonders wichtigen „Fokusländern“ probiert. Das führte allerdings zu Mißstimmungen, die Manager der übrigen Landesorganisationen fühlten sich diskriminiert. Koch musste, einmal mehr, umschwenken. Die Landeschefs müssen auf ganz unterschiedliche Kundengruppen eingehen und entscheiden selbst über die Ausrichtung der Märkte. In Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und der Türkei kaufen fast ausschließlich Gastronomen bei Metro ein. In Osteuropa, vor allem in Russland, sowie in Indien und China sind es hingegen kleine Händler.
Diffuser Kundenmix
Hierzulande besteht die Kundschaft aus Gastronomen, Kiosk- und Tankstellenbetreibern, Kantinenwirten sowie Freiberuflern, die für ihre Büros und Praxen Kaffee, Schreibwaren oder Computer beschaffen — sowie ihren privaten Bedarf decken. Ein problematischer Kundenmix. Gastronomen reagieren sauer, wenn sie Samstagvormittag in der Frischfischabteilung oder an der Kasse hinter ganzen Familien von Ärzten oder Rechtsanwälten warten müssen, die ihren Wochenendeinkauf erledigen.
Erst jetzt fängt Metro an, das diffuse Profil zu schärfen. Stolz führt Koch durch den umgebauten Düsseldorfer C&C-Markt, direkt neben dem Konzernquartier. Als gäbe es keine genialere Idee, rühmt der CEO den jüngst geschaffenen Extraeingang für Gastronomen. Das Layout des Marktes wurde so geändert, dass Restaurant- oder Imbissbesitzer direkt in die Frischeabteilungen für Fleisch, Fisch, Gemüse und Molkereiprodukte gelangen und ebenso schnell zum Check-out — mit eigenen Kassen. Die bei Metro lange Zeit vergessene Dienstleistung, Fleisch und Fisch nach Kundenwunsch zu portionieren, wurde wiederentdeckt.
Nach und nach sollen alle gut 100 deutschen Metro-Märkte derart umgestaltet werden. Eine Reihe kleinerer Filialen wird zu reinen Gastronomiemärkten umgewandelt. Um das Gastgewerbe enger an Metro zu binden, hilft der Großhändler ihm dabei, seine eigenen Internetseiten einschließlich elektronischer Reservierungstools zu gestalten; Metro trägt sogar die laufenden Gebühren. 90 000 Restaurantbetreiber in Europa nutzen den Service schon. Für die Digitalisierung wendet Metro einen zweistelligen Millionenbetrag jährlich auf— in der festen Erwartung, dass die Kunden ihrem Großhändler dies mit Umsätzen danken.
Laut Koch greifen die Neuerungen langsam. Seit einigen Quartalen ziehe der Umsatz in Deutschland an, mach vielen Jahren sinkender Erlöse. Der Durchschnittseinkauf der sogenannten Horeca-Kunden (Hotel, Restaurant, Catering) steige und zahle sich in Ertragszuwächsen aus.
Schwere Rückschläge gab es dagegen in Russland. Auf die Konsumkrise reagierte das dortige Management mit hektischer Preispolitik. Zeitweise wurde das halbe Sortiment mit Nachlässen beworben. „Gift für die Kundenbindung“, sagt Koch in der Rückschau. Die Rabattitis habe zu Rosinenpickerei geführt, die unabhängigen Händler brauchten jedoch verlässliche Einkaufspreise als Kalkulationsbasis. Umsatz und Rendite brachen ein, sodass Koch im Frühjahr für die Metro AG eine Gewinnwarnung abgeben musste.
Grundgenug aufzuräumen. Koch sorgte dafür, dass im Mai der für Russland zuständige Operating Partner Pieter Boone (51) gehen musste, bis dahin auch Chief Operating Officer im Vorstandsrang. Koch fühlte sich von Boone falsch informiert. Er ersetzte ihn durch Philippe Palazzi (47), zuletzt zuständig für Frankreich, Portugal und Spanien. Koch und Palazzi tauschten das Managementteam in Russlandweitgehend aus und stellten die Preis um. Für die Hälfte des Sortiments gelten seither Mengenstaffeln.
Kunden können fest einkalkulieren, dass sie bei größeren Stückzahlen bessere Preise bekommen.
Zudem hilft Metro kleinen Händlern eine Existenz aufzubauen. Unter der Marke Fasol, was „Bohne“ bedeutet und Frische symbolisieren soll, können sie Franchiseläden eröffnen. Im Gegenzug müssen sie bei Metro einkaufen. 540 Filialen gibt es bereits, für die doppelte Anzahl sind Verträge abgeschlossen. Bis wieder Gewinn erzielt wird, könne es aber noch dauern, dämpft Koch die Erwartungen. Einen Termin will er nicht Der noch vor wenigen Jahren gehegte Plan, die russische Tochter an die Börse zu bringen, ist in weite Ferne gerückt.
Endlich wurden Lieferdienste installiert
Russland mag ein Sonderfall sein, andere Versäumnisse hatten bei der Metro jedoch System. Jahrzehntelang war es ein Dogma, die Kunden zum Abholen der Waren zu zwingen. Während die Konkurrenz Gastronomen, Kioske und Tankstellen längst belieferte, erstickten Generationen von Metro-Chefs jede Serviceidee: Wir machen Cash & Carry. Basta.
Die Ersten, die Schluss mit dieser Arroganz machten, waren die österreichischen Metro-Manager. Ohne die Konzernleitung in Düsseldorf zu fragen, führten sie in Wien einen Lieferdienst ein und betrieben ihn jahrelang erfolgreich. Bei der Mutter bemerkte das keiner. Seit 2009 liefert die Metro ganz offiziell. Das Volumen beträgt gut fünf Milliarden Euro, immerhin ein Sechstel des gesamten Großhandelsumsatzes. Es soll auch Geld damit verdient werden, was in Deutschland wundert. Mühselig müssen die bis zu 6000 Lieferartikel von Hand in den Metro-Märkten eingesammelt und zur Laderampe gebracht werden. Belieferungsdepots sollen die Kosten nun deutlich senken. Außerhalb Deutschlands ist die Lieferquote traditionell höher. In China etwa wird rund ein Drittel der Waren bestellt und gebracht. Trotzdem hat es gedauert, bis sich die Metro an die ultimative Form des Lieferdienstes gewagt hat: den Onlinehandel. Der Ex-Digitalchef von Real, Philipp Blome (36), soll das Großhandelsgeschäft übers Internet nun aufbauen. Der bis Juli von ihm verantwortete E-Shop Real.de hatte 2016 das Portal Hitmeister.de akquiriert und wuchs dadurch in einen Bruttoumsatz von bald 300 Millionen Euro hinein. Real.de ist so ziemlich das Einzige, was an der SB-Warenhauskette Modellcharakter hat. Sie entstand wildwüchsig durch Fusionen und Übernahmen aus 15 verschiedenen Labels wie Realkauf, Massa, Divi, Allkauf und Wal-Mart und gilt unter Handelsexperten als unsanierbar. In den zumeist angemieteten Filialen bröckelt der Putz, der Investitionsstau ist riesig. Die Personalkosten sind unter anderem durch örtliche Betriebsvereinbarungen zum Teil absurd hoch. Real schreibt so eben noch schwarze Zahlen.
Die Auslandstöchter wurden schon vor Jahren verkauft. Mehrfach machte Koch den Versuch, auch das Rumpfgeschäft im Inland abzustoßen — die erzielbaren Kaufpreise waren ihm jedoch zu niedrig. Zwar hatte Metro bereits 2015 rund eine halbe Milliarde Euro auf Reals Firmenwert abgeschrieben, aber bei einem Verkauf wären weitere Wertberichtigungen notwendig gewesen.
Real als Klotz am Bein
Heute wäre Koch wahrscheinlich froh, wenn er für Real überhaupt noch Geld bekäme. Und so hat er sich für die Flucht nach vorn entschieden — vorerst. In Krefeld wurde ein neuer Typ von Verbrauchermarkt entwickelt, eine Art Markthalle mit vielen Bedienungstheken und gastronomischen Angeboten. Dieses sogenannte Food-Lover-Konzept hat in Krefeld für eine um 30 Prozent höhere Kundenfrequenz gesorgt. Nun würden die Real-Chefs Henning Gieseke (47) und Patrick Müller-Sarmiento (45) das neue Format gern bundesweit ausrollen. Das scheitert aber am Geld. 20 Millionen Euro müssten pro Markt investiert werden – bei knapp 300 Standorten unfinanzierbar. Außerdem werden in einem serviceintensiven Markt nach Krefelder Muster mehr als 100 Beschäftigte zusätzlich benötigt.
Kriegserklärung an Verdi In großem Stil lässt sich das kaum machen, zumal Real nach wie vor Flächentarifvertrag zahlt — im Handel inzwischen eine Ausnahme. Die Verhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi über die Einführung eines Haustarifs sind nach zwei Jahren gescheitert. Den Personalkostennachteil gegenüber der Konkurrenz beziffert Koch auf 30 Prozent.
Real muss nun sogar die während der Verhandlungen ausgelassenen Tariferhöhungen nachzahlen, was im laufenden Geschäftsjahr einen Zusatzaufwand von 35 Millionen Euro auslöst; neben den Verlusten in Russland der zweite Grund für Metros jüngste Gewinnwarnung.
Die Geschäftsführung der SB-Kette hat der Gewerkschaft mittlerweile den Krieg erklärt. Das operative Geschäft wurde in eine andere Gesellschaft ausgegliedert, die nicht an die mit Verdi ausgehandelten Flächentarife gebunden ist. Neu eingestellte Mitarbeiter bekommen 20 Prozent weniger als die bisherige Belegschaft, der Real den Besitzstand garantiert. Doch die Fluktuation ist gering: Altersbedingt scheidenjedes Jahr nur 6 bis 7 Prozent der Beschäftigten aus. Der Einspareffekt wird also eher langfristig spürbar sein.
Immerhin soll die Kostenentlastung Raum für Neueinstellungen schaffen — auch für das Food-Lover-Format. Noch 2018 wird ein umgestalteter Markt in Braunschweig eröffnet, 2019 soll die Neugestaltung in Bielefeld beginnen. Ansonsten reicht das Geld nur, um einzelne Module des Markthallenkonzepts in einigen Filialen zu integrieren. Bei allen Versuchen, die Kette zu sanieren, hat Koch einen Verkauf von Real nie aus den Augen verloren. „Ein Großhandelsunternehmen muss nicht zwingend Einzelhandel betreiben“, sagt er. Priorität habe aber die langfristige Wertsteigerung von Real. Kochs Tun wird bei Haniel in Duisburg aufmerksam beobachtet. Clan-Chef Franz Markus Haniel (63) und der familienfremde CEO Stephan Gemkow (58) sind höchst unzufrieden mit der Entwicklung des Unternehmens. Die Abspaltung der Ceconomy AG hat für hohe Transaktionskosten gesorgt — aber bislang nicht die versprochenen positiven Effekte gezeigt. Eine Ebitda-Marge von 3,9 Prozent, wie Metro sie zuletzt vorwies, ist ihnen viel zu gering.
Unverständlich also, dass Franz Markus Haniel 2015 den Aufsichtsratsvorsitz an den ehemaligen Chef des Schokoladenherstellers Barry Callebaut, Jürgen Steinemann (59), abgab. Der hat erkennbar wenig Ahnung vom Handel — war aber offenbar Wunschkandidat von CEO Koch.
Haniel-Chef Gemkow, eigentlich die logische Besetzung für die Position, durfte nicht einmal als einfaches Mitglied in den Metro-Aufsichtsrat einziehen. Franz Markus Haniel wollte Koch damals vor Gemkow schützen; der hält nicht viel von dem Metro-Chef. Bei Haniel macht man — trotz offizieller Dementis — keinen Hehl daraus, Ersatz für Koch zu suchen, obwohl der noch bis März 2022 bestellt ist. Steinemann soll Egon Zehnder beauftragt haben, und auch Franz Markus Haniel fragt Gesprächspartner immer wieder, ob sie nicht jemanden für den Posten wüssten. So bleibt Olaf Koch trotz seiner Bemühungen, was er seit Jahren ist: ein CEO auf Abruf.