Köln. Sie stehen tagtäglich enorm unter Druck, weil sie zur Führungselite der weltweit besten Manager gehören. Jeder will etwas von ihnen, jeder beobachtet sie, alle sprechen über sie -die Topmanager der führenden Unternehmen dieser Welt. Dabei hilft ihnen zur Bewältigung von Leistungs- und Erfolgsdruck oftmals nur Yoga und Meditation, um sich mental fit zu halten und um gesund zu bleiben. Denn nur wer herunterfahren kann, wer seinen Alltag entschleunigen kann, der findet in der Ruhe seine Kraft. Yoga z.B. hilft, einen Ausgleich zum stressigen Alltag zu schaffen.
Für den Krieger in Dir“ — das klingt so martialisch, dass man sich auch als Finanzinvestor nicht schämen muss, wenn man in seinem Münchener Büro regelmäßig seinen Übungen nachgeht: die Arme weit über den Kopf, tiefeinatmen, in einer eleganten Bewegung den Oberkörper nach unten beugen und die Hände flach auf den Boden legen, die Beine gestreckt. Hans Albrecht, Gründer des Private Equity-Hauses Nordwind Capital, macht Yoga. Und bekennt sich dazu. Albrechts Kriegeryoga wurde entwickelt von Geo Takoma, Vietnam-Veteran und heute Lehrer von Prominenten wie Pimco Gründer Bill Gross oder Talk-Milliardärin Oprah Winfrey. Takomas Yogarefugium „The Pearl“ im kalifornischen Laguna Beach hat Albrecht finanziert. Dafür kommt der Ex-Marine jedes Jahr im Spätherbst nach Mallorca und unterrichtet auf der Finca seines Geldgebers eine Woche lang einen erlesenen Kreis: 14 Topmanager, Unternehmer und Spitzenpolitiker, die im Morgengrauen Sonnengrüße absolvieren mit reichlich Liegestützen dazwischen. Sie essen vegan und wandern auf steilen Pfaden durchs Tramuntana-Gebirge. „Ein sensationeller Energiekick!“, sagt Albrecht.
Manager und Yoga oder, wie viele Coachs heute werben, Businessyoga — das klingt nach einer verlockenden Kombination. Denn viele Yogavarianten gehen einher mit Meditation, sie machen gesünder, entspannter, konzentrierter. Wer den yogischen Werkzeugkasten richtig einsetzt, kann seine persönliche Leistungsfähigkeit ohne großen Aufwand steigern. Wenige Minuten pro Tag genügen. So mancher in den Topetagen schwört mittlerweile drauf. Apple-Guru Steve Jobs begann mit Zen-Meditation bereits im Alter von 19, um seine Gedanken zu sammeln und sein Gehirn zu trainieren. Silicon-Valley-Star Marc Benioff, Gründer von Salesforce, nutzt Yoga als „ideales Leadership-Tool“. Von Twitter-Gründer Jack Dorsey weiß man, dass er nur sechs Stunden schläft, morgens um fünf aufsteht und dann eine halbe Stunde meditiert und Körperübungen macht. Renzo Rosso, Gründer der Jeansmarke Diesel, verharrt gern minutenlang in den Asanas genannten Haltungen. Arianna Huffington („Huffpo“) ist mit einer Mutter aufgewachsen, die „ewig“ auf dem Kopf stehen konnte, irgendwann machte sie einfach mit. Basketballstar LeBron James greift für seine Regenerationsfähigkeit auf Yoga zurück. Und selbst Hedgefondskrieger Daniel Loeb (Third Point), der gerade Nestlé angreift, stählt sich mit der Lehre aus Indien.
Auch hierzulande wird die Reihe der Yogis allmählich länger: BMW-Grande Norbert Reithofer meditiert, Porsche-Vorstand Albrecht Reimold vitalisiert sich jeden Morgen mit Bhujangasana, Zalandos Ex-Deutschland-Chef Moritz Hau schwört auf Jivamukti, das sei „am anstrengendsten“. Jede sechste Führungskraft in Deutschland praktiziert laut einer Umfrage von TNS Infratest eine moderne Yogaform. Gut 800 000 Manager haben Yoga in Seminaren und Workshops schon zur Stressbewältigung eingesetzt. Jeder vierte Befragte trainiert regelmäßig. Das ist auch den Arbeitgebern nicht entgangen. Konzerne wie Google und SAP haben Yogakurse in den Arbeitsalltag integriert. Umso erstaunlicher ist, dass hierzulande immer noch eine gewisse Verklemmtheit herrscht, wenn es auf das Thema kommt. Da wird Yoga schwärmerisch als „Überlebenshilfe“ im hektischen Alltag zwischen Meeting und Flieger bezeichnet, als „neues Mindset“ zur Bewältigung der allgegenwärtigen Transformation, manche demonstrieren gar ihre Lieblingsübung und übernachten nur noch in Hotels mit Yogamatte auf dem Zimmer. Aber bloß keine Namen nennen, bitte. Was könnten da die anderen denken? Der Frankfurter Coach und Buchautor Michael Schwalbach („Gute Führung durch Yoga und Meditation“) spricht von einer „hohen Dunkelziffer“. Mentaloptimierung per Meditation, Mindfulness oder Achtsamkeit—ja- Kobra, Krähe oder Kamel— nein. Passt nicht zum Bild von Männern, die Milliarden bewegen. „Zu viel Schickimicki und Räucherstäbchen“, sagt Curt Diehm, ärztlicher Direktor der auf Manager spezialisierten Max Grundig Klinik.
Wer Verantwortung trägt, will nicht für ein Weichei gehalten werden. Viele Yogis auf der Beletage erinnern sich noch gut, wie ihr Kollege Peter Terium Ende 2017 verspottet wurde. In den Kommentaren zu seinem abrupten Abgang als Innogy CEO klang es beinahe so, als sei der bekennende Yogi wegen seines „esoterischen Führungsstils“ gefeuert worden. Und nicht weil er Umsatz und Gewinnziele verfehlte. Um ja nicht in die New-Age-Ecke geschoben zu werden, betonen bekennende Yogis deshalb die gesundheitlichen Vorteile, die die Übungen mit sich bringen. Matthias Quadflieg etwa behauptet, seinen Arbeitsstil (ständig unter Druck und unterwegs) „nur mit Yoga überleben“ zu können. Der Mann restrukturiert seit 20 Jahren für Private-Equity-Fonds notleidende Firmen. Alle vier bis fünf Jahre legt er einen Turnaround hin. Derzeit arbeitet er an der Digitalisierung des Maßkonfektionärs Dolzer. „Die Zeit auf der Matte ist mein Jungbrunnen.“ Die positive Wirkung von Yoga wurde mittlerweile anhand zahlreicher Studien wissenschaftlich untermauert. Einmal in der Woche Asanas lindern Nackenschmerzen besser als jede Rückenschule (Charité Berlin).‘ 80 Prozent der Yogapraktizierenden können bei Rückenproblemen auf Schmerzmittel verzichten (University of Washington in Seattle), sie schlafen besser (Harvard University) und bauen Aggressionen sowie Verkrampfungen einfacher ab (University of California). Bluthochdruckpatienten brauchen weniger Betablocker (Yale University).
Wie die Asanas zur Entspannung beitragen, untersucht derzeit das SKN Medical College im indischen Pune gemeinsam mit dem Yoga Forum in München. Mit der Forschungsreihe will Erziehungswissenschaftler Reinhard Bögle die Regeneration durch Yoga erkunden. Bögle beobachtet seit Jahrzehnten, wie die Führungskräfte von den wachsenden Anforderungen immer stärker zu einem „permanenten Overdrive“ genötigt werden: „Ihr autonomes Nervensystem gerät völlig aus dem Gleichgewicht.“ Durch EKG-Messungen hat er herausgefunden, dass die Stellungen nicht nur den für Aktivität zuständigen Sympathikus beruhigen, sondern zugleich den entspannenden Parasympathikus aktivieren. Von ganz oben wird Yoga bei Google promotet. Es mache „kreativer, resilienter, effizienter und zugleich begeisterter“, postuliert Marketingevangelist Gopi Kallayil. Wirtschaftslenkern legt er Yoga ans Herz, weil „sich selbst führen“ eine der Kernkompetenzen für Erfolg im 21. Jahrhundert sei.
Im Dax-30bieten Commerzbank, Daimler, Lufthansa und Telekom ihrem Personal Yogastunden. Aber keiner nimmt es mit der alten indischen Lehre so ernst wie SAP. Der Softwarekonzern hat 2013 das auf neurowissenschaftlicher Forschung basierende Programm „Search Inside Yourself“ (SIY) eingeführt, das Achtsamkeit und emotionale Intelligenz trainiert. Seither haben schon mehr als 6000 Informatiker, Vertriebler und Manager den zweitägigen Kurs während ihrer Arbeitszeit absolviert. 5000 stehen auf der Warteliste für die nächste Runde, das Programm sei die „populärste Weiterbildung bei SAP“, berichtet Initiator Peter Bostelmann. Er trägt die Jobbezeichnung „Director Global Mindfulness Practice“ und hat SIY konzernweit ausgerollt. Dieses Jahr werden rund 20 weitere Mitarbeiter, darunter auch Führungskräfte, zu internen SIY-Lehrern ausgebildet. Data Scientists in Walldorf haben errechnet, dass die Teilnehmer des Programms ihr Engagement für das Unternehmen signifikant steigerten und weniger fehlten. Laut Bostelmann ein Return on Investment von 200 Prozent. Größer noch fällt der Benefit offenbar für die teilnehmenden T Topmanager aus. Mitten im Trubel der Hauptversammlung in der Mannheimer SAP-Arena steht Wolfgang Fassnacht vor einem der Stehtische im Vestibül: Die Beine hüftbreit aufgestellt, die Augen geschlossen, atmet der langjährige Personalleiter tief ein und aus. Ein paar Minuten lang ist er so „ganz bei sich selbst“. Danach setzt sich der Manager, der für die Neugestaltung der Vorstandsentgelte verantwortlich zeichnet, ins Soufflkeurskabuff. Von dort aus soll er Aufsichtsratschef Hasso Plattner bei Nachfragen zu dem umstrittenen Thema die nötigen Fakten liefern. Diese Konzentrationsübung funktioniere auch in Meetings mit 60 Leuten, sagt Fassnacht. Wenn alle Teilnehmer erst einmal zwei Minuten „zu sich kämen“, liefe die Besprechung danach deutlich effizienter und schneller ab.
Frei von Schmerzen
„Herr im eigenen Haus sein“ nennt Alexander Lichtenberg die Fähigkeit, sich nicht ablenken zu lassen. Der Fitnessfan steht dem Kreditgeschäft von Schwäbisch Hall vor und hat mit Yoga vor gut zehn Jahren seine Midlife-Crisis überwunden. Bis zu 90 Minuten am Tag habe er sich damals in die Form seines Lebens trainiert und die Philosophie studiert.
Heute beherrscht er Übungen, bei denen sein 21-jähriger Sohn nur noch staunend zuguckt. Vor allem aber nutze er den „Muskel zwischen den Ohren“ optimal, sagt der studierte Musiker und Kaufmann. Das habe ihn offener für Neues gemacht, ohne an Beharrlichkeit zu verlieren.
Wie intensiv Yoga da hilft, erlebt Wolfgang Bscheid jeden Tag. Der Geschäftsführer der Serviceplan-Tochter Mediascale kam vor vier Jahren durch einen Bandscheibenvorfall zur indischen Bewegungslehre. „Seine Mädels“ aus der Agentur hätten ihn zu der Stunde mitgenommen, die eine Kollegin jeden Dienstag und Donnerstag in der Mittagszeit anbietet. „Es war absolut fantastisch.“ Seither übt er regelmäßig, besucht Seminare. Yoga hat ihn nicht nur von seinen Schmerzen befreit, sondern auch von der „ganzen synthetischen Wichtigkeit“, mit der sich Führungskräfte so häufig selbst lähmten. Statt „stolz auf den Burn-out“ zu sein, düse er lieber mal nachmittags mit dem Rennrad durch die Berge. „Mein Hirn arbeitet dann weiter, und die Ideen sprudeln nur so.“ Das bringe auch seiner Kreativagentur mehr. Statt dem harten ist heute eher der herabschauende Hund gefragt. Gut, dass der zu den einfacheren Yogaübungen zählt.