Washington. Kein Land kann heutzutage sicher sein, dass keine feindlichen Spione die Regierungen, das Militär oder staatliche Institutionen unterwandern und ausspähen. Diese schmerzliche Erfahrung mussten jetzt die Republikanische Partei und die mächtige Waffenlobby NRA machen, nachdem sie jahrelang von einer einflussreichen jungen Russin (29) ausgehorcht, infiltriert und manipuliert wurden. Als Teil der russisch-amerikanischen Verbindungen, die angeblich nicht existieren, aber die Verflechtungen von Trump und Putin in deutlicher Weise zu dokumentieren scheinen.
Es ist Montag vergangener Woche, als Donald Trump in der Air Force One sitzt und als einer der wenigen glaubt, sein Treffen mit Wladimir Putin in Helsinki sei ein Erfolg gewesen. Er twittert: „Ein produktiver Dialog ist nicht nur gut für die Vereinigten Staaten und gut für Russland, sondern gut für die Welt.“ Etwa zu dieser Zeit verkündet das Justizministerium in Washington, es habe eine russische Agentin verhaftet, ihr Name: Maria Butina. Sie hatte ihrerseits einen produktiven Dialog gesucht. Der sollte allerdings nur gut für Russland sein.
Die 29-Jährige, so sehen es die Staatsanwälte, war ein weiteres Instrument des Kremls in seinen groß angelegten Angriffen auf die US-Politik. Während sich russische Geheimdienstoffiziere in die Computer von Hillary Clintons Wahlkampfteam hackten und über soziale Medien den Wahlkampf beeinflussten, soll Butina die mächtige Waffenlobby-Organisation NRA und die Republikanische Partei infiltriert haben. Und das mit Erfolg. Auch weil es ihr die Zielpersonen nur all zu leicht machten. Die Geschichte der Maria Butina offenbart, dass die Russlandaffäre tief in die Republikanische Partei hineinreicht. Sie zählt zu den vielen Spuren, die zeigen, dass es im Wahlkampf Verbindungen von Trumps Umfeld zu Russland gab. Sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass Trump lügt, wenn er davon spricht, dass Sonderermittler Robert Mueller eine „Hexenjagd“ gegen ihn betreibe. Und sie ist Höhepunkt dieser Tage voller Ungeheuerlichkeiten, in denen die Verbündeten der USA mit ansehen mussten, dass sich ein amerikanischer Präsident wie ein Schoßhund des russischen aufführte.
Einige Männer, mit denen Maria Butina auf Versammlungen der Waffenlobby oder Treffen von Republikanern sprach, erinnern sich heute an eine freundliche, neugierige junge Frau mit flammenroten Haaren, die immer auch ein wenig flirtete. Und an Butinas so beeindruckende Lebensgeschichte, die sie im Jahr 2015 in einem Interview mit ihrem starken russischen Akzent so erzählte: „Meine Geschichte ist einfach, mein Vater ist Jäger, ich bin in Sibirien geboren.“ Sie wisse, dass Waffen notwendig zum Überleben seien. Nachdem sie nach Moskau gezogen sei, habe sie 2011 den Verband „Das Recht, Waffen zu tragen“ gegründet, der für die Lockerung der russischen Waffengesetze eintritt, sie wolle nun in Amerika von ihren Gesinnungsgenossen in der NRA lernen. Butinas Verband wurde finanziert vom Oligarchen Konstantin Nikolajew — dessen Sohn später für Trump Wahlkampf machte. Und hatte einen mächtigen Schirmherrn, ein Mitglied aus dem Föderationsrat und Parteifreund Putins, der später stellvertretender Direktor der russischen Zentralbank wurde und von der spanischen Polizei wegen Geldwäsche gesucht wurde: Alexander Torschin. Der ist als erster Russe lebenslanges Mitglied der NRA geworden, außerdem ein sehr frommer Mensch, der gute Kontakte zu christlichen Konservativen in den USA pflegt. Butina arbeitete bald als Torschins Übersetzerin und Assistentin. Sie war äußerst geschickt darin, wichtige Amerikaner kennenzulernen.
2013 laden Butina und Torschin den NRA-Präsidenten und hochrangige Funktionäre zum Jahrestreffen ihres Waffenverbands nach Moskau ein, es wird ein rauschendes Gelage. Langbeinige Models in Miniröcken lassen Strumpfbänder aufblitzen, die aussehen wie Pistolenholster. Einer der Gäste schwärmt: „Ich wünschte, wir hätten in den USA auch so viele hübsche junge Frauen in unseren Waffenverbänden!“ Aus dem Treffen erwachsen weitere Kontakte. Ende 2013 hält John Bolton eine Video-Ansprache für eine Veranstaltung der russischen Waffenbrüder. Der frühere UN-Botschafter und heutige nationale Sicherheitsberater von Präsident Trump preist die russische Verfassung als eine „Triebkraft für Demokratie auf der Welt“. Butinas Mentor Alexander Torschin wiederum lobt seine Assistentin als „sehr jung und talentiert“. Sie sei „noch schöner“ geworden und „auf ideale Weise schlank“.
Im russischen Geheimdienst sitzen keine Anfänger. Und in den Führungszirkeln der NRA und der Politik fast ausschließlich ältere Männer. Die manipuliert man am besten durch eine junge Frau wie Butina. Sie geht weit, für einen Job in einem amerikanischen Verband soll sie gar Sex angeboten haben. Es ist ein altbekanntes Spiel wie aus dem KGB-Handbuch, aber es wirkt auch im Zeitalter der Cyberspionage.
2014 posiert Butina in einer Fotostrecke für das russische „GQ“-Magazin mit Stilettos, Lederjacke und Unterwäsche von Dolce& Gabbana, eine Pistole in jeder Hand. Etwa in dieser Zeit kommt sie mit Paul Erickson zusammen. Der 56-jährige republikanische Funktionär aus South Dakota gilt als Strippenzieher mit großem Adressbuch und noch größeren Ambitionen. Sein Adressbuch öffnet er nun bereitwillig für seine junge Liebe. Später findet das FBI in Maria Butinas Unterlagen Nachrichten, in denen sie schreibt, wie sehr sie die Aussichtverachte, mit ihm zusammenleben zu müssen. „Sie scheint die Beziehung nur als Mittel zum Zweck gesehen zu haben“, folgern die Ermittler. Ab 2014 ist Maria Butina dank Ericksons Kontakten zusammen mit Alexander Torschin Ehrengast bei den Jahresversammlungen der NRA, sie sitzen regelmäßig an den Tischen der Gala-Dinners, zu denen nur waffenverrückte Wohltäter geladen werden, die eine Million Dollar spenden. Die NRA behauptet, den beiden Russen aus Dankbarkeit für die Einladung nach Moskau so viel Ehre erwiesen zu haben, man habe kein Geld bekommen. Offiziell flossen30 Millionen Dollar von der NRA in den Wahlkampf Trumps, noch nie hat sie einem Kandidaten so viel Schützenhilfe zukommen lassen. Experten gehen davon aus, dass es sogar70 Millionen waren. Woher das Geld kommt, ist nicht nachzuvollziehen, die NRA ist als Wohltätigkeitsorganisation registriert und muss ihre Spender nicht offenlegen. Ob es auch aus Russland kam, untersucht das FBI.
Von den Tischen der NRA ist es für Maria Butina nicht weit in die Führungskreise der Republikanischen Partei. Sie posiert 2015 fürs Foto neben Gouverneur Scott Walker, damals aussichtsreicher Bewerber im Feld der Republikaner. Späterhört sie in Las Vegas die Reden der Kandidaten Marco Rubio und Donald Trump. Auf Facebook wächst ihr Archiv von Selfies mitrepublikanischer Prominenz. Ebenfalls 2015 trifft sie bedeutende Vertreter der Federal Reserve, der US-Zentralbank, auf Vermittlung eines Russland-freundlichen Thinktanks, der später Trumps ersten Auftritt zu seinem außenpolitischen Programm organisiert. Und 2016 steht Butina am Mikrofon, als der nun frisch gebackene Präsidentschaftskandidat in Las Vegas nach seiner Rede eine Fragerunde gibt. „Ich komme aus Russland“, sagt sie. „Wenn Sie zum Präsidenten gewählt werden, werden Sie die Sanktionspolitik fortsetzen?“ Trump erwidert: „Ich glaube, ich werde mich sehr gut mit Putin verstehen. Okay? Ich glaube nicht, dass wir die Sanktionen brauchen.“
Zu dieser Zeit schreibt sich Butina in das Masterprogramm der American University in Washington ein und erhält ein Studentenvisum. Ihr Mentor Alexander Torschin twittert: „Maria Butina ist nun in den USA. Sie schreibt mir, dass D. Trump (ein Mitglied der NRA) wirklich für die Kooperation mit Russland ist.“ Kurz darauf äußert Butina in einer E-Mail, Torschin habe von Putins Regierung die Zustimmung dafür erhalten, einen „Kommunikationskanal“ nach Amerika aufzubauen. Sie bringt Alexander Erickson dazu, seine Kontakte spielen zu lassen. Er mailt an ein hochrangiges Mitglied in Trumps Wahlkampfteam, Betreff: „Kremlin Connection“. Es sei ihm über die NRA gelungen, einen Geheimkanal zu Präsident Putins Kreml zu schaffen. „Putin will ernsthaft ein gutes Verhältnis mit Mr Trump“, erwünsche sich, Trump würde ihn besuchen. Butina selbst organisiert derweil Abendessen, um Russen mit Republikanern zusammenzubringen. Sie mailt, Torschin habe sie informiert, dass „Putins Seite“ ihren Plan gebilligt habe. Später, auf der NRA-Versammlung in Kentucky, versuchen Maria Butina und Torschin noch einmal vergebens, Trump zu treffen. Immerhin sitzen sie zusammen mit Donald Trump jr. bei einem Abendessen. Der sagt später vor dem Geheimdienstausschuss des Kongresses aus, er habe nur kurz mit Torschin gesprochen und nicht darüber, mit der russischen Regierung zusammenzuarbeiten. Auffällig ist aber, dass Butinas und Torschins Kontaktversuche in einen Zeitraum fallen, in dem die russische Regierung Trumps Wahlkampfteam schmutzige Informationen über Hillary Clinton anbietet und es zu einem Treffen im Trump Tower zwischen einer russischen Anwältin und Donald Trumps ältesten Sohn kommt. Die Wahlnacht im November 2016 muss sich wie ein Triumph für Butina angefühlt haben, ihr Kandidat sitzt bald im Weißen Haus, sie kennt viele seiner Leute. Sie schreibt Torschin via Twitter: „Ich gehe schlafen. Es ist drei Uhr morgens hier. Ich bin bereit für weitere Anweisungen.“
Am 12. November 2016 lädt sie zu ihrer Geburtstagsfeier im Cafe Deluxe in Washington, es ist ein Kostümfest, sie erscheint als die russische Zarin Alexandra, Erickson als Rasputin. Unter den Gästen sind Mitglieder von Trumps Wahlkampfteam, Erickson prahlt, nun selbst für das Übergangsteam von Trump zu arbeiten. Das stimmt nicht, in den folgenden Wochen wird er trotzdem versuchen, Russlandfreundliche Leute in Trumps Truppe unterzubringen. Und je mehr gekühlter Wodka die Eisskulptur hinunterrinnt, eine Flasche mit kommunistischem Hammer- und-Sichel-Symbol, desto geltungssüchtiger wird auch Butina. Sie habe die Kommunikation zwischen Trumps Wahlkampfteam und Russland mitorganisiert, brüstet sie sich. Im Januar schickt sie Torschin ein Selfie, sie lacht bei der Amtseinführung von Präsident Trump in die Kamera. Torschin schreibt: „Du Teufelsweib!“ Sie antwortet: „Gute Lehrer!“
In den folgenden Wochen hat Butina viel zu tun, sie will eine große russische Delegation beim National Prayer Breakfast unterbringen. Beim traditionellen Gebetsfrühstück versammelt sich das Who’s Who der US-Politik mit Geistlichen und Delegiertenaus dem Ausland in einem Hotel in Washington. ln einer E-Mail hatte sie geschrieben: „Torschin hat Präsident Putin vorgeschlagen, dass er erwägen könne, 2017 zum Gebetsfrühstück zu kommen, und Putin hat nicht Nein gesagt!“ Auch wenn Putin nicht eingeladen ist, wird das Frühstück für die Russen zu einem Erfolg. Per Mail an einen Amerikaner bedankt sie sich für dessen Hilfe: „Mein liebster Präsident hat die ,Nachricht‘ erhalten über die Initiativen und Ihre konstruktive und freundliche Zuwendung zu den Russen.“
Doch Anfang 2017 erscheinen die ersten Berichte in den Medien über ihre seltsame Nähe zur NRA und Torschins mögliche Verbindung zum russischen Geheimdienst. Alarmiert tauscht sie mit Torschin Kurznachrichten aus. Er schreibt, dass die Medien in Russland nicht über sie berichten würden. Sie antwortet: „Das ist wichtig: Anscheinend gibt es den Befehl, uns nicht anzutasten. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.“ Dafür steht sie nun im Visier der Amerikaner. Im April 2018 wird sie acht Stunden lang vom Geheimdienstkomitee des Senates befragt. Torschin ist da längst wieder in Russland. Er wurde als feindlicher Agent ausgewiesen. Freunde erleben Butina in diesen Wochen niedergeschlagen, sie geht kaum noch aus. Auch zur Abschlussfeier ihres Studiengangs erscheint sie nicht. Als sie Sonntag vergangener Woche verhaftet wird, stehen in ihrer Wohnung Umzugskartons. Sie wollte zu Erickson nach South Dakota ziehen. In orangefarbener Häftlingskleidung sitzt sie am Mittwoch in Washington vor Gericht, regungslos. Das russische Außenministerium erklärt, Butina sei Opfer eines Komplotts jener Leute geworden, die antirussische Hysterie geschürt und die Geschichte von der russischen Einmischung in die US-Wahl erfunden hätten. Einen Tag nach Maria Butinas Gerichtsanhörung lädt Präsident Trump Wladimir Putin zu einem Treffen im Herbst ins Weiße Haus ein.