Wolfsburg. Er hat viel vor, ist ein Tausendsassa und bleibt seiner harten, unpersönlichen Linie treu. Herbert Diess, der kein leichtes Amt bei VW nach Martin Winterkorn übernommen hat. Der Abgasskandal und Leistungsdruck machen ihm das Leben schwer. Dabei befürchten viele Kritiker, die sich aber im Hintergrund verstecken, dass Diess bereits zu viel Macht hat und damit zu einem unbequemen „Gegner“ in den Führungsgremien der Autokonzerne VW, Audi, Porsche werden könnte. Zur Zeit fährt Herbert Diess einen neuen Kurs beim Autobauer, indem er die Daumenschrauben anzieht und seinen Vorstandskollegen das Fürchten lehrt.
Volkswagen-Chef Herbert Diess (59) denkt gern groß. Jüngst etwa, als die Bosse der deutschen Autoindustrie mit ihrem Verbandspräsidenten Bernhard Mattes (62) über eine gemeinsame Strategie im Zollstreit mit den USA diskutierten. Botschafter Richard Grenell (51) hatte zuvor gesagt, sie müssten Präsident Donald Trump (72) schon etwas bieten, wenn sie von Zöllen verschont werden wollten. Die Volkswagen-Tochter Audi könne doch ein Werk in den USA bauen. Das geht nicht. Audi produziert seit zwei Jahren in Mexiko, ein weiteres Werk in Nordamerika ist überflüssig. Diess schlug also eine Charmeoffensive vor: Die Chefs von Volkswagen, Daimler und BMW sollten dem Präsidenten die Aufwartung im Weißen Haus machen. Die Idee wurde schließlich beerdigt. Kanzlerin Angela Merkel (64), warnten die Kollegen, wäre sicherlich nicht begeistert, wenn sie an der deutschen Politik vorbei Trump hofierten. Und Merkel sei wichtiger. Trump und Diess, das passt, bei allen Unterschieden. Beide leben ihren Traum. Der eine als Präsident, der andere als Vorstandschef. Volkswagen soll nicht länger nur der größte Autohersteller der Welt sein. Volkswagen soll auch zum führenden Mobilitätskonzern aufsteigen und so wertvoll werden wie iPhone-Gigant Apple. Eine Verzehnfachung des Börsenwerts wäre das. Der Konzern ist in Habachtstellung, so sehr erhöht der neue Chef den Druck. Mehr Rendite, mehr Digitalisierung, mehr Effzienz; das ist der Diess-Dreiklang. Als Erstes bekam Audi die verschärfte Gangart zu spüren. Kaum im Amt, fragte Diess Audi-Chef Rupert Stadler (55) sinngemäß, wie er den Vorsprung von BMW und Mercedes aufholen wolle. Und was bei Audi noch den Slogan „Vorsprung durch Technik“ verkörpere? Stadler antwortete nicht zufriedenstellend. Inzwischen sitzt er wegen Betrugs und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft; er weist die Vorwürfe zurück. Diess zitierte Audi-Entwicklungschef Peter Mertens (57) in die Zentrale, obwohl der krank war. Noch immer liegen viele neue Modelle über den Budgets; Mertens hat Schwierigkeiten, sich bei den Entwicklern durchzusetzen.
Wiederholt tauchte Diess unangemeldet in Ingolstadt auf. Er bestellte Manager ein, ließ sich Bericht erstatten, Designs und Prototypen präsentieren, entzog Audi die konzerninterne Führung beim autonomen Fahren (zu langsam!) und regierte in die kriselnde Elektrokooperation mit Porsche hinein. 12 Prozent operative Umsatzrendite verlange Diess langfristig, heißt es in Ingolstadt. 8,4 Prozent waren es 2017, die Folgen des Dieselskandals exklusive. „Die Kosten sind zu hoch“; „da müssen wir uns stärker differenzieren“; „da geht noch was“ — der Mann ist selten charmant in Sitzungen und noch seltener zufrieden. Bei VW kennen sie das. Jetzt lernen es auch die anderen Marken. Porsche? Markenchef Oliver Blume (50) warnt angesichts der hohen Kosten für die neuen Elektromodelle, die Zielrendite von 15 Prozent sei 2021 oder 2022 womöglich nicht zu halten. Diess akzeptiert das nicht.
Seat? Markenchef Luca de Meo (51) hat die spanische Tochter aus den Verlusten geholt. Seinem neuen Boss indes reichen die knapp 2 Prozent Marge von 2017 nicht. Um rund 1000 Euro sollen die Kosten pro Auto runter. Geht nicht, haben de Meos Leute nach Wolfsburg gekabelt. Zumindest nicht, wenn sie die teure VW-Architektur MQB nutzen müssten. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.
Auch der Marke VW und damit sich selbst hat Diess ein neues Ziel gesetzt. 2020, spätestens 2021 wolle er 6 Prozent Rendite erreichen, heißt es in Wolfsburg. Bislang stand die Zielmarke sehr zur Enttäuschung der internationalen Finanzanalysten auf 4 Prozent. Nur ein Sparprojekt hat der neue Chef erst einmal auf Eis gelegt; ein Überbleibsel aus der Ära seines Vorgängers Matthias Müller (65). Der hatte die Konzernorganisation von der ungleich größeren Marke getrennt und wollte die Stäbe deutlich ausdünnen. 30 Prozent der Kosten sollte das bringen, rund 600 Stellen sollten wegfallen. Diess setzt die Sache neu auf. Erst schiebt er Konzernführung und Marke wieder zusammen; dann wird auch er sparen. Nur mit anderem Fokus und eventuell auch neuem Unternehmensberater. McKinseys Pläne für die Organisation hätten den Chef nicht überzeugt, heißt es.
Herbert Diess zieht deutlich mehr an sich als Vorgänger Müller. Kein Thema von Bedeutung, dem er nicht nachginge. Schwächen bei den Elektroplänen? Diess lässt nachbessern und den für VWs Architektur verantwortlichen Christian Senger (44) um seinen Job zittern. Batteriezellennot schon vor dem Start von Audis erstem Elektroauto e-tron? Diess versucht sich gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh (61) an einer europäischen Allianz zur Produktion von Batteriezellen. Differenzen mit Bayern München, weil der Verein Anteilseigner und Großsponsor Audi durch BMW ersetzen will? Diess schreitet ein, trifft sich mit Bayerns Vorstandschef KarI-Heinz Rummenigge (62) und handelt einen neuen langfristigen, aber auch teureren Vertrag aus. Bayern-Präsident Uli Hoeneß (66) wehre sich noch gegen die neue Vereinbarung, heißt es in München. Hoeneß protegiert BMW, war zuletzt offenbar allzu unzufrieden mit Audis Engagement und hat dem Münchener Konkurrenten schon recht feste Zusagen gemacht. Diess will überall sein und führt deshalb manches nicht zu Ende. Die Vorstandssitzungen der Marke VVV verlasse er in der Regel nach ein oder zwei Stunden, berichten Führungskräfte. Keine Zeit, zu voll der Terminplan. Wenn er draußen sei, „fehlt der Zug“. VW-Entwicklungsvorstand Frank Welsch (54), der dann übernimmt, mangelt es an Power. Autoritär wie Vorvorgänger Martin Winterkorn (71), analytisch kostenfixiert wie VWs früherer Markenchef Wolfgang Bernhard (57) — so regiert Herbert Diess in seinen ersten drei Monaten an der Spitze der Volkswagen AG. Doch manchmal kommt er auch zu spät. In Ingolstadt hatte er in vertraulichen Gesprächen wiederholt durchblicken lassen, dass er Rupert Stadler nicht mehr Iange an der Audi-Spitze sehe. Die Staatsanwaltschaft kam ihm mit der Verhaftung zuvor. Der Dieselskandal lässt auch Herbert Diess nicht in Ruhe.