Frankfurt/M. Dass sich Mitarbeiter in ihren Jobs nicht weiterentwickeln oder nichts Neues dazulernen, das gehört schon lange der Vergangenheit an. Allein die Digitalisierung macht es erforderlich, dass man dazulernen muss, sein Wissensspektrum erweitert und sich in neue Bereiche einarbeitet. Und die Vorstellung, dass in deutschen Büros nur Deutsch gesprochen wird, ist längst überholt. Fremdsprachenkenntnisse sind echte Wettbewerbsvorteile bei der Jobvergabe, und es ist längst Standard, dass Arbeitnehmer neben dem Job eine oder mehrere Fremdsprachen lernen müssen. Das bringt die globale Vernetzung einfach mit sich.
Judith Meyer hat ein größeres Vokabular als die meisten Menschen, dennoch fehlen ihr manchmal die Worte. Die Computerlinguistin entwickelt hauptberuflich Sprachlernprogramme. Ihre Muttersprache ist Deutsch, dazu beherrscht sie Englisch, Französisch, Chinesisch, Indonesisch und acht weitere Sprachen. Da kann man schon mal durcheinanderkommen.
In Meyers Kopf beginnt regelmäßig ein Wettstreit der Sprachen. Zwischen der, die sie gerade spricht, und der, auf der ihr das passende Wort am ehesten einfällt. Ein Nachteil? Findet sie nicht. „Durch die unterschiedlichen Sprachen sehe ich andere Zusammenhänge“, sagt Meyer, „dadurch denke ich viel flexibler.“ Ihre Fähigkeiten sind gefragt wie nie. Laut einer aktuellen Umfrage des Jobportals Indeed unter rund 2300 deutschen Arbeitnehmern verständigen sich 29 Prozent der Befragten täglich auf einer anderen Sprache als auf Deutsch. Kein Wunder. Mittelständler fertigen in China oder Polen, Dax-Konzerne beschäftigen Tausende an Standorten von Mexiko City bis Bangalore. Um in diesem nahezu babylonischen Sprachwirrwarr zu navigieren, braucht es eine oder gar mehrere Fremdsprachen. Aber wie lernt man sie effizient?
Keine Angst vorm Alter
Ein Mythos hält sich hartnäckig: Man kann Sprachen nur als Kind richtig lernen, im Erwachsenenalter ist das Gehirn angeblich nicht mehr dafür gemacht. „Dieses Vorurteil kann man heute getrost vergessen“, sagt Claudia Riemer, Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Bielefeld. Manche Menschen müssten sich zwar wieder daran gewöhnen, überhaupt zu lernen. Und Kinder könnten die Aussprache eher perfektionieren, da sie durch Imitation lernten. Dafür hat man im höheren Alter einen Vorteil: „Wenn sich Erwachsene zum Lernen entschließen, haben sie oft konkrete Ziele“, sagt Riemer. Der eine will besser mit Kollegen oder Kunden kommunizieren, der andere mit Freunden im Ausland in Kontakt bleiben. Zusammen mit der angeborenen Begabung ist die Motivation der wichtigste Faktor beim Sprachenlernen, so die Professorin. Während man die eigene Befähigung aber kaum beeinflussen kann, habe man über die Motivation eine viel größere Kontrolle.
Um den Ansporn zu erhöhen, sind vor allem realistische Ziele wichtig. Da wäre zum einen die Zeit: Das amerikanische Foreign Service Institute, das US-Diplomaten auf ihre Einsätze vorbereitet, schätzt, dass man mindestens 600 Stunden Lernzeit braucht, um Italienisch im Beruf verwenden zu können. Für Deutsch geht das Institut von 900 Stunden aus, für Japanisch gar von 2200.
Und selbst danach spricht man die jeweilige Sprache nicht zwingend perfekt. Michaela Kleinhaus versucht das ihren Schülern regelmäßig klarzumachen. „Wer eine neue Sprache lernen will, muss dazu bereit sein, sich als Stümper zu fühlen“, sagt die Leiterin des Arabicums am Landesspracheninstitut (LSI) der Ruhr-Universität Bochum. Fehler sind beim Lernen ein Motor für Verbesserung, ebenso wie ein realistischer Antrieb: „Das Ziel sollte sein, zu verstehen und verstanden zu werden“, sagt Kleinhaus, „und nicht, wie ein Muttersprachler zu klingen.“
Das bestätigt auch die Vielsprachlerin Judith Meyer: „Perfektionismus ist kontraproduktiv.“ Wer vor einem Auslandsaufenthalt nur wenig Zeit habe, solle zunächst an einem halben Tag einen groben Überblick über die Grammatik erlangen. Dann sollte man anfangen, das Vokabular zu sortieren: Braucht man es eher im Alltag, etwa beim Einkauf oder im Restaurant? Oder bei geschäftlichen Verhandlungen? Ist Small Talk übers Wetter beim Geschäftspartner wichtig? „Alles, was nicht unmittelbar nützlich scheint, sollte man ausmisten“, sagt Meyer. Wer zum Beispiel als Tiefbauingenieur nach China geht, dem hilft erst einmal wenig, einen maßgeschneiderten Anzug bestellen zu können. So trägt man den Sprachberg in kleinen Brocken ab. „Chunks“, nennt Judith Meyer das. Das können Redewendungen sein, die man persönlich oft braucht, etwa Sätze, die die eigene Vita beschreiben oder die beruflichen Schwerpunkte. Dabei sollen Automatismen entstehen, die man abspulen kann, ohne viel nachzudenken. Damit das Gehirn sich in jedem Kontext der neuen Sprache gewachsen sieht, sollte man möglichst häufig üben, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten — auch dann, wenn man sie vermeintlich beherrscht. „Man muss Sprache pflegen“, sagt Judith Meyer, „sonst rostet sie ein.“