München. In Bayern ist die CSU unangefochten, da wird gemacht was die Gesetze und Gesetzgeber sagen. Das Bundesland hat die niedrigste Kriminalitätsrate, die wenigsten Probleme mit Flüchtlingen. Aber Bayern ist nicht der Rest der Republik. Dort stößt die bayuwarische Handhabung problematischer Situationen oft auf Ablehnung – nicht eben auch wegen dem Dauerkrach zwischen Merkel und Seehofer. Die diktatorische Umsetzung von Recht und Gesetz wie sie von München aus ins christliche Bayern transportiert wird, hat offensichtlich bereits „Trump‘sche Züge“ angenommen. Gut für eine kreative Streit-Kultur oder einfach nur nervig?
Falls die CSU tatsächlich in der Zukunft die Koalition platzen lässt, dann ist der Grund mangelnde Wahrhaftigkeit. Nirgendwo wird dieses Merkmal der CSU-Führung so deutlich wie in der Frage, ob Deutschland Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen soll. Beginnen wir mit der Position des Vorsitzenden Horst Seehofer: „Die Zurückweisung an der Grenze ist eine hoch komplizierte juristische Angelegenheit, würde auch voraussetzen auf jeden Fall eine Reform des Dublin-Verfahrens. Und deshalb ist die saubere, klare Lösung, bevor man an der Grenze juristische Streitfragen ausficht, dieses Zentrum, wo man diese Flüchtlinge (…) zusammenführt und dann dort die Richter hat, die Dolmetscher, die Leute, die die Verfahren durchführen. „Jetzt noch mal auf Deutsch: keine Zurückweisungen an der Grenze, stattdessen ein ordentliches Verfahren diesseits davon. Moment: Das ist doch exakt die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Zurückweisungen ablehnt, zumindest im Alleingang ohne Absprache mit den Nachbarn. Wo liegt eigentlich das Problem? Im Zeitpunkt. Als Seehofer seinen Standpunkt erläuterte, war die CSU noch nicht im Bayern Wahlkampf. 9. Oktober2017: Ganz Deutschland wartete darauf, dass sich CDU und CSU endlich auf eine Linie in der Asylfrage einigen würden, um mit dieser in die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition zu ziehen. Schließlich stand Seehofer bei der Pressekonferenz mit Triumphator-Lächeln neben Merkel und verkündete, er habe „die Anliegen, die wir für besonders wichtig halten, erreicht“. Seitdem hat sich die Zahl der ankommenden Flüchtlinge deutlich reduziert. Und die Mehrheit der Bevölkerung, das zeigen Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen, bleibt weiter gelassen. In den letzten zwei Jahren sind konstant 60 Prozent der Überzeugung, dass Deutschland die vielen Flüchtlinge verkraften kann. Einen sachlichen Anlass für eine veränderte Position gibt es also nicht. Die CSU tut einfach so, als ob es die Vereinbarung mit ihrer Schwesterpartei nie gegeben habe. Die Dreistigkeit hat Trump’sche Dimension. Wie beim weltweiten Vorbild aller Populisten zeigt sie sich auf offener Bühne. Die Parallelen zwischen dem amerikanischen Münchhausen und der Führung der Christsozialen wären weniger beunruhigend, wenn sie nicht so zahlreich wären.
Im Stile Trumps, der die Republikanische Partei kaperte, zetteln Horst Seehofer, Alexander Dobrindt und der neue Boss, Markus Söder, eine „konservative Revolution“ in ihrer altehrwürdigen Partei an, die Iange eine Stütze der bundesdeutschen Demokratie war. Ihr Washington ist Berlin. Die Regierungserklärung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist eine einzige Abgrenzungsrede gegenüber dem Establishment der Hauptstadt. Was für Trump die Mexikaner, sind für die CSU-Wortführer muslimische Flüchtlinge, über die ihr Ziehvater Edmund Stoiber im Fernsehen schwadroniert: „Da kommt dann so ein Ali …“ Die CSU-Granden haben zwar nicht die Absicht, eine Mauer zu errichten, aber dichtmachen wollen sie die Grenzen schon.
Sie erhöhen die Taktzahl der Unwahrheiten und Zumutungen, sodass die Öffentlichkeit mit der Empörung gar nicht mehr nachkommt. Wenn sie in den Medien kritisiert werden, brüllen sie „Fake News“. „Die meisten Fake News werden in Deutschland produziert, von Medien und Politikern“, ereifert sich Horst Seehofer. Dem widerspricht sogleich der Medienwissenschaftler Klaus Meier, der sich mit diesem Thema beschäftigt hat. Aber was sind schon Experten?
Ohne Unterbrechung läuten die drei Mini-Trumps die Alarmglocke, weil angeblich die Sicherheit im Land bedroht sei. Wie aus Trumps Lehrbuch. Zuletzt hat der Twitterkönig selbst Deutschland unterstellt, die Kriminalität sei drastisch gestiegen. Das Gegenteil ist richtig. Die Zahl der Straftaten ist in Deutschland zwischen 2014 und 2017 gesunken. Der Revolutionsführer im Weißen Haus hasst jede multilaterale Zusammenarbeit in Organisationen wie der UN oder der Nato, jede Abstimmung unter den G7-Staaten. In Bayern verkündet Landesvater Söder das Ende des „geordneten Multilateralismus“. Und damit das nicht so theoretisch bleibt, stellt die CSU die Kanzlerin in der Zurückweisungsfrage vor die Entscheidung: Europa oder Koalition.
Die auffälligste Gemeinsamkeit zwischen dem Meister und seinen weiß-blauen Lehrlingen sind die Feindbilder: Angela Merkel und Hillary Clinton. Zwei Frauen, zwei Symbole des Establishments, die Regieren als Handwerk verstehen, gesteuert von Vernunft, scheinbar ohne Emotionen. Das Gegenmodell zur Herrschaft des Testosterons. Die Ablehnung der weiblichen Kontrahentin wird fast körperlich ausgelebt. Unvergessen ist, wie Donald Trump sich in der TV-Debatte drohend hinter Hil- lary Clinton aufbaute. Und genau so bleibt das Bild von Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag im Gedächtnis: Der riesenhafte Horst liest der kleinen Angela mal so richtig die Leviten. Der Hass auf „crooked Hillary“, die „betrügerische Hillary“, entspricht der „Merkel muss weg“-Haltung in der CSU. Es geht um die Vernichtung der Gegnerin, nicht um die Durchsetzung politischer Positionen. Denn eines ist klar: Würde die Frau mit der Richtlinienkompetenz nachgeben und den Zurückweisungen an der Grenze zustimmen, es würde kein Monat vergehen bis zum nächsten Ultimatum.
Angela Merkel ist gestraft mit der CSU. Sie hat ihr die endlosen Debatten um die Ausländermaut und die Herdprämie aufgezwungen. Wann immer sie regiert, werden ihr Offiziere im bajuwarischen Einsatz ins Kabinett gesetzt. Und die CSU schickt nicht immer ihre Besten.2005 musste Merkel Michael Glos zum Wirtschaftsminister machen, der hinterher bekannte, dass er sich mit dem Wirtschaftsministerium bis dahin nie beschäftigt hatte und erst nach Amtsantritt feststellte, dass er ganz in der Nähe wohnte. Die CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt sind maßgeblich für den maroden Zustand der Autobahnbrücken außerhalb Bayerns verantwortlich und natürlich für die systematisch unterlassene Abgaskontrolle der Dieselfahrzeuge. In der Liste der schlechtesten Bundesminister gebührt Christian Schmidt ein Ehrenplatz. Als Landwirtschaftsminister setzte sich der CSU-Mann im November 2017 über die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin hinweg und stimmte der EU-weiten Zulassung von Glyphosat zu. Zur Begründung für den Verfassungsbruch sagte er: „So isser, der Schmidt.“
Die CSU pflegt eine enge Freundschaft zu Merkels besten Feinden, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Neu im Klub der Merkel-Gegner ist der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Partei „Lega“. Gemeinsam versuchen sie alles, um eine europäische Lösungen der Flüchtlingsfrage zu verhindern. Für Merkel wäre das die einzige Möglichkeit, die Bedingungen der CSU für eine Fortsetzung der Koalition zu erfüllen. Doch ausgerechnet die Freunde der CSU machen ihre letzte Fluchtroute dicht.
Jetzt muss getrennt werden, was schon lange nicht mehr zusammengehört. Die Existenz einer Ein-Bundesland-Partei war von Beginn an ein Konstruktionsfehler. Solange CDU und CSU wie eine Partei auftraten, war der Fehler unerheblich. Doch mindestens seit zwei Legislaturperioden lähmt der Geschwisterstreit die deutsche Politik. Er macht den Systemfehler offensichtlich: Bayern ist gleicher als die anderen 15 Bundesländer. Seine Vertreter sitzen nicht nur im Bundesrat, sondern zusätzlich als Kämpfer für „Bayern first“ auch in der Bundesregierung. So haben die Verfassungsväter sich das nicht gedacht.
Bei aller Kritik an der CSU: Eine bundesweite Christlich Soziale Union könnte eine wichtige Funktion im parlamentarischen System Deutschlands erfüllen. Viele Wäh1er lehnen die Flüchtlingspolitik Angela Merkels ab. Auch die europäische Einigung geht vielen zu weit. Diese Ansichten werden im Bundestag derzeit nur von der rechtsradikalen AfD repräsentiert. Für eine parlamentarische Demokratie ist das kein erstrebenswerter Zustand. Würde die CSU jedoch bundesweit antreten, hätten sehr konservative Wähler eine Alternative zur „Alternative für Deutschland“. Eine mit demokratischen Wurzeln und trotz ihrer Führung einem demokratischen Fundament. Die Ausdehnung der CSU wäre keine gute Nachricht für die AFD. Umfragen zeigen, dass sie der AfD fünf Prozentpunkte abjagen könnte. Eines ist unstrittig: Die CSU versteht Bayern. Das Bundesland ist fast in allen Disziplinen Spitze. Nach der notwendigen Trennung muss Söders Truppe zeigen, ob sie auch Deutschland versteht.