Bonn. Immer weiter wachsen „auf Teufel komm raus“, ohne Rücksicht auf das Klima und die Umwelt, das geht nicht. Das zeigt schon der Klimawandel, die erhöhten Emissionswerte und drohende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Dabei sind die Infrastrukturen im Land überlastet, Straßen und Autobahnen werden immer voller und der Flugverkehr wächst. Um das sinnvoll aufzufangen brauchen wir dringend integrierte, klimafreundliche Lösungen.
Jüngst bei einem größeren Mittelständler nahe Hannover, Branche: Lebensmittel: Der Junior wird soeben ins Unternehmen eingearbeitet, er soll die Nachfolge des Vaters antreten. Jetzt geht es um sein Dienstfahrzeug. Der Sohn ist unschlüssig. Er wird viel unterwegs sein, das bedeutet: Der Wagen soll Komfort bieten. Zugleich muss er das Unternehmen repräsentieren, es geht um Reputation. Und um Glaubwürdigkeit. Der Wagen muss zur Branche passen. Lebensmittel sind Vertrauenssache und werden mit Werten wie Sauberkeit und Gesundheit assoziiert. Da sind auch beim Wagen Umweltfreundlichkeit und niedrige Emissionen wichtig. Diesel geht also gar nicht. Der Senior hat sich einen Tesla gekauft, Model S, eine elektrisch betriebene Limousine. Der Sohn schwärme „Ein tolles Auto, komfortabel, umweltfreundlich und daher auch für einen Lebensmittelvertrieb eine gute Wahl.“ Doch er ist überzeugt davon, dass bei seinen Runden auch ein bodenständiges, regionalbewussten Auftreten zähle. „Eine deutsche Marke ist ein Muss.‘ Deutsche Marken können aber noch nicht bieten, was Tesla bereits in den Markt gehievt hat, im Gegenteil: Mit der Dieselaffäre und der Debatte um die Stickoxid- und Feinstaubbelastung in deutschen Großstädten geraten deutsche Autobauer zunehmend in die Defensive. Großen Ankündigungen deutscher Automarken von E-Modellen sind bislang nur wenige Taten gefolgt. Die rein elektrische Geschäftslimousine „Made in Germany“ gibt es immer noch nicht. Wer ein zeitgemäßes deutsches Auto fahren will, muss einen Benziner wählen oder einen Hybriden. Von einer Revolution ist hier nicht viel zu spüren. Nötig wäre sie aber, denn das globale Verkehrswachstum explodiert förmlich. Das „International Transport Forum„, dessen Verkehrsprognosen im vergangenen Jahr auf dem Weltverkehrsforum in Leipzig vorgestellt wurden, geht davon aus, dass trotz aller Bemühungen für klimaneutrale Antriebe der C02-Ausstoß für Mobilität bis 2050 wahrscheinlich um 60 Prozent steigen werde. Nimmt man allein die Zahl für den Frachtbereich, sind es sogar 160 Prozent.
ÜBERDURCHSCHNITTLICHES VERKEHRSWACHSTUM
Auch in Deutschland gehen alle Prognosen von überdurchschnittlichem Wachstum aus. Das hat vor allem mit dem Wirtschaftswachstum und dem wachsenden Exportgeschäft zu tun. Laut Verkehrsprognose der Bundesregierung sollen die Verkehrsströme bis 2030 gegenüber 2010 um durchschnittlich 38 Prozent zunehmen. Den größten Anteil wird mit mehr als 50 Prozent der Transitverkehr ausmachen. Aber auch der Binnenverkehr, also der Verkehr, dessen Anfangs und Zielpunkt innerhalb Deutschlands liegt, wird um ein Drittel wachsen. Beim Personentransport fällt das größte Wachstum mit 65 Prozent auf den Luftverkehr. Wenngleich das Bundesverkehrsministerium nicht müde wird zu betonen, dass Deutschland über eines der besten und leistungsfähigsten Verkehrsnetze der Welt verfügt, reicht schon eine Autofahrt über deutsche Autobahnen aus, um den Eindruck zu gewinnen, dass die Verkehrswege mancherorts kurz vorm Kollaps stehen. Vor allem auf der Rheinschiene, über die ein Gutteil vor allem der Transittransporte rollt, gewinnt man den Eindruck, sich in einen stetigen Konvoi von Lkws zu befinden. Verschärft wird die Situation durch die Sperrung der maroden Leverkusener Rheinbrücke für Lkw seit fünf Jahren. Während in China demnächst am Perlflussdelta nach zehnjähriger Bauzeit die 50 Kilometer lange Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke in Betrieb geht, streitet man in NRW noch, wie eine neue Rheinquerung aussehen könnte: Brücke, Tunnel, beides? Dass die Lösung aber nicht allein darin bestehen kann, mehr Straßen zu bauen, zeigt ein Blick auf das Pariser Klimaschutz-Abkommen. Mit diesem Abkommen soll die Erwärmung der Erde auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden. Dafür müsste Europa – und auch Deutschland — bis 2030 seine Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent senken. Zwar hat der neue Präsident der USA geschafft, das Thema Klimaschutz vorübergehend von der Agenda zu kicken. Aber es wird wiederkommen, und zwar drängender denn je. Es müssen nachhaltige Verkehrslösungen her, aber schnell.
ELEKTRISCHE MOBILITÄT ALS LÖSUNG?
Das wäre zum einen die E-Mobilität. Sie gilt als eine Möglichkeit, Wachstum mit Nachhaltigkeit zu verbinden — allerdings nur in Verbindung mit einer sektorgekoppelten Nutzung von erneuerbaren Energien. Anreize für Mittelständler, mitzumachen, will das „Gesetz zu steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr“ geben. Es soll lohnsteuerliche Vorteile für Elektroautos als Firmenwagen bieten. Doch leider rechnet sich die Erleichterung nicht, moniert der Mobilitätsanbieter Ubeeqo in seinem „Firmenwagen-Effizienz—Test“. Der Anbieter von Business Carsharing-Lösungen, der in Frankreich eine große Flotte von Elektroautos betreibt, hat die Gesamtkosten ausgewählter E-Autos und Verbrenner über zehn Jahre betrachtet. Danach standen die E-Mobile meistens schlechter da. Wer keine Elektroautos in seine gewerbliche Flotte integrieren möchte, greift auf Carsharing zurück. Hier sehen Experten aufgrund der Nutzungseffizienz und der Infrastruktur den idealen Anwendungsfall für elektrische Fahrzeuge. Den Carsharing-Markt bestimmen bislang allerdings Anbieter, die sich auf private Anwendungsfälle spezialisiert haben. Für Geschäftsreisende sind sie bedingt geeignet. Wer schnell und bequem durch die Stadt reisen möchte, kann „Freefloating“ betreiben, wie es im Neudeutschen heißt. Er schließt ein Fahrzeug per App auf, fährt los und stellt es an beliebiger Stelle im Geschäftsbereich wieder ab.
Zwar weisen Freefloating-Anbieter gerne darauf hin, dass die Zahl der Firmenkunden steigt und dass sie mit den Unternehmen gerne spezielle Konditionen für die Nutzung aushandeln – etwa eine Abrechnung von Mitarbeitern direkt über die Firmenkreditkarte. Doch in der Praxis werden Autos nicht in Großstädten gebraucht, sondern dann, wenn die Geschäftspartner in den ländlichen Regionen ihren Sitz haben. Das ist bei deutschen Mittelständlern oft der Fall, die wichtigen Firmen befinden sich in Bayern, Westfalen oder im Schwäbischen. Und wer über Land fährt, benötigt ein modernes, gut gewartetes Automobil, mit dem er längere Strecken bewältigen und das er für längere Zeit nutzen kann. Die Zukunft der Geschäftsreise sehen Mobilitätsmanager in integrierten Lösungen: Über die lange Strecke wählt man den Flieger oder die Bahn, vor Ort nutzt man das Auto. Wie man eine solche intermodale Vernetzung organisiert, das ist die Gretchenfrage: Viele Unternehmen arbeiten daran, scheitern aber noch an der Größe und Vielfalt des Datenpools. Die Daten sollen dann auch noch eigentlich konkurrierende Unternehmen bereit stellen. Aber die Chancen sind riesig: Visionäre träumen von digitalen Mobilitätsmanagement-Systemen, die das Mobilitätsverhalten ihrer Nutzer analysieren, Reisewünsche mit persönlichen Vorlieben abgleichen und individuell abgestimmte Vorschläge machen.
LÖSUNGEN FÜR INNOVATIVE LOGISTIK
Wer heute schon Innovation erleben will, scheint anderswo nachsehen zu müssen. Bei der Deutschen Post zum Beispiel, wo man gemeinsam mit der Technischen Hochschule Aachen einen eigenen Elektro-Transporter entwickelte — nachdem man mit seinen Wünschen bei den etablierten Herstellern zuvor auf wenig Interesse gestoßen war, wie Verantwortliche die Motivation heute beschreiben. Dabei ist die Auslieferung von Paketen und Briefen schon heute der perfekte Anwendungsfall für die Elektromobilität. Die Länge der Touren ist bekannt, da mit lassen sich benötigte Reichweiten genau kalkulieren. Und jeden Abend können die „StreetScooter“ genannten Gefährte bei der Post an die Ladestationen gehängt werden. Bis zum Morgen sind die Akkus wieder voll.
Was in Städten bereits funktioniert, ist im Überlandverkehr noch längst nicht praktikabel. Ideen, etwa Oberleitungssysteme für E-Lkw zu montieren, werden über den Testbetrieb kaum hinauskommen. Die globale Logistik wird die nächste Großbaustelle auf dem Weg zur neuen Mobilität sein. Das Wachstum der Warenströme ist immens. Laut ITF-Outlook wird sich das globale Frachtaufkommen bis 2050 mindestens verdreifachen, wobei der Straßentransport der größte Wachstumstreiber bleiben wird. Am stärksten entwickeln sich Asien und Afrika, das Frachtaufkommen der OECD-Staaten werde um 160 Prozent zulegen. Die Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf die Schiene gilt als einer der zentralen Faktoren, um die Nachhaltigkeit von Warenströmen zu verbessern. Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI schlägt in seiner aktuellen Studie „Klimapfade für Deutschland“ vor, die Schieneninfrastruktur auszubauen, um die Warenströme besser zu vernetzen. Gefordert seien multimodale Verkehrslösungen und mehr Zugangspunkte zum System Schiene, um Containertransporte noch effizienter zu machen. Um eine nachhaltige und effiziente Mobilität der Zukunft zu entwickeln, muss allerdings ein Umdenken stattfinden. Vorreiter sind gefragt, Pioniere, die bereit sind, neue Wege zu gehen. Wer vorangeht, hat zwar schwerer als die Nachzügler, aber er hat das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Und damit auch die Chancen.