München. Wer hätte das gedacht: Im Land der Beamten und Bürokraten tummeln sich Kriminelle, die ungehindert Milliarden in Wohnungen und Büros investieren, ohne dass ihnen jemand auf die Füße tritt. Es liegt daran, dass kaum Kontrollen bestehen und die Behörden untereinander nicht kommunizieren oder mangelhaft vernetzt sind. Durch totale Anonymität und Datenschutz ist Deutschland zum Paradies für Geldwäscher geworden.
Lage, Lage, Lage. Wenn der Immobilienmarkt tatsächlich nur nach diesem Dreisatz funktionieren würde, könnte man hier, am Adenauerplatz im Westberliner Bezirk Charlottenburg, nicht besser wohnen. Zum Ku’damm mit seinen Kunsthändlern, Designern und Juwelieren sind es nur ein paar Meter. Makler würden das Grundstück am Adenauerplatz als Filetstück anpreisen. Ein neues Haus als Luxusobjekt, das eine hohe Rendite verspricht. Oliver Schruoffeneger steht vor dem Filetgrundstück und sagt: „Es ist ein Schandfleck, ein richtiges Drecksloch.“ Der 56-jährige Grünen-Politiker, ein hagerer Mann mit zerzaustem grauem Haar, ist Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Er zeigt auf einen beigen Betonklotz, ein Wohn- und Geschäftshaus, das einen veralteten Edeka-Markt beherbergt, eine Dönerbude — und das ansonsten leer steht. Von der Fassade bröckelt Putz. Unter der Treppe haben Obdachlose ihr Lager aufgebaut. Es stinkt nach Urin. Schruoffeneger ist ratlos. „Wer es ernsthaft auf ein Investment abgesehen hat, müsste langsam mal anfangen, was zu tun.“ Schruoffeneger schätzt den Wert der Immobilie auf70 Millionen Euro. Tendenz: stark steigend. Aber wem gehört sie? Schruoffeneger zuckt mit den Schultern. Das Grundbuch gebe keine Auskunft über die wahren Eigentümer — über die „wirtschaftlich Berechtigten“, wie es im Juristendeutsch heißt, die sich oft hinter Firmenkonstruktionen verstecken. Vor einem Jahr seien mal zwei russische Architekten mit Plänen für ein Wohnhochhaus in seinem Büro erschienen. „Die konnten nicht mal eine Bescheinigung oder Vollmacht vom Eigentümer vorzeigen.“
Wie kann es sein, dass ein Baustadtrat keine Ahnung über die Eigentumsverhältnisse in seinem Bezirk hat? „Weil bei Immobiliengeschäften totale Anonymität und Datenschutz herrschen“, sagt Schruoffeneger. Die Eigentümer könnten normale Investoren sein, lokale Immobilienhaie — oder russische Geldwäscher. Einen Verdacht äußern dürfe man nicht, sagt er, da gehe es gleich um den Straftatbestand der üblen Nachrede. Dabei gibt es entlang der Ku’damm-Route einige Objekte wie auch das große Karree mit dem Komödien-Theater, wo „die Sache gewaltig stinkt“, sagt Schruoffenegers Parteikollegin, die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus: „Gerade der Berliner Immobilienmarkt scheint zum Sehnsuchtsort für russische Oligarchen und italienische Mafiabosse geworden zu sein.“ Und mit ihren dreisten Deals, ärgert sich Paus, heizten sie auch den ohnehin überhitzten Immobilienmarkt noch einmal zusätzlich an.
Die Kritik der in Paris ansässigen Geldwäscheeinheit der OECD, Deutschland müsse dringend mehr tun, scheint nicht zu fruchten. Zwar hat die Bundesregierung die Zuständigkeit bei der Geldwäschebekämpfung vom Bundeskriminalamt auf den Zoll übertragen, doch außer peinlichen Pannen bei der Financial Intelligence Unit hat die Umstrukturierung bislang nichts gebracht. Und am Immobilienmarkt existieren weiterhin kaum Kontrollen, Strafen gibt es faktisch nicht. Dabei zählt der Immobilienmarkt zu den „Sektoren mit herausgehobenem Risiko“, wie das für die Geldwäschebekämpfung vorrangig zuständige Bundesfinanzministerium einräumt. Das Bundeskriminalamt schätzt, dass Jahr für Jahr 25 Milliarden Euro schmutziges Geld mit dem Erwerb von Immobilien und Grundstücken gewaschen werden. Geldwäsche, das ist in Deutschland ein milliardenschweres Monopoly-Spiel, bei dem allerdings die Gehe-ins-Gefängnis-Karten fehlen. Einen Einblick in das Geschäft der Geldwäsche bekommt man in einem Glasturm nahe des Frankfurter Flughafens. Ganz oben bittet Rechtsanwalt Thomas Voller auf die Terrasse, deutet auf die Skyline von Frankfurt und sagt: „Natürlich kann man das nur vermuten, aber es würde mich schon sehr wundern, wenn all diese Immobilien mit legalem Geld gekauft sind.“
Voller hilft seinen Kunden, Schwarzgeld aus ihren Unternehmen fernzuhalten, meist Mittelständlern, die stark im Auslandsgeschäft tätig sind. Doch das ist einfacher gesagt als getan: „Wie bei einem Hütchenspiel werden Beträge über möglichst viele Grenzen verschoben, miteinander vermischt, werden teure Waren wie Autos oder Häuser gekauft und wieder verkauft.“ Oft würden Strohmänner in die Transaktionen eingeschaltet — so lange, bis die Provenienz der verschobenen Millionen vollständig verschleiert sei, so häufig, bis das Geld scheinbar legal investiert werde, in „Firmenanteile oder Kunstwerke“, sagt Voller und deutet wieder auf die Skyline von Frankfurt: „Oder eben in Immobilien.“
Die Verschleierung ist hoch
Die Ermittler scheitern oft schon im Ansatz bei ihren Versuchen, den Ursprung des (Schwarz-)Geldes lückenlos aufzuklären. Diese Lückenlosigkeit aber ist Voraussetzung, um Geldwäschedelikte nachzuweisen. „Aufgrund der Vielzahl rechtlicher Gestaltungsoptionen für in- und ausländische juristische Personen“, räumt das Bundesfinanzministerium umständlich ein, „ist die Möglichkeit zur Verschleierung von Mittelherkunft und zugehöriger Eigentumsverhältnisse im Immobiliensektor grundsätzlich als hoch zu bewerten.“ Da nützt auch das Ende 2017 eingeführte Transparenzregister herzlich wenig, in dem Unternehmen ihre tatsächlichen wirtschaftlich Berechtigten, also Eigentümer, notieren müssen. Sobald die Spur ins Ausland führt, lässt sie sich leicht verwischen. Deshalb will sich das Bundesfinanzministerium nun für einen entsprechenden internationalen Austausch stark machen. Aber schon auf nationaler Ebene ist es schwer genug, verdächtige Spuren zu verfolgen. Es gibt hierzulande keine Möglichkeit, die dezentral gehüteten Grundbücher systematisch nach verdächtigen Verträgen zu durchforsten, die Transaktionspreise bleiben zwischen Käufer, Verkäufer und Notar geheim. Das Grundbuch habe vor allem die Funktion, Immobilientransaktionen „rechtssicher zu ermöglichen“, antwortet die Bundesregierung auf eine kritische Anfrage der Linken im Bundestag. Ob das Geld für diese Geschäfte aus kriminellen Quellen geflossen ist, interessiert die Grundbuchämter nicht. Wer nachfragt, wird mit dem Hinweis auf den Datenschutz abgespeist. Von „Schutzmauern für das Milliarden-Monopoly am Immobilienmarkt“ spricht der linke Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi.
Da hilft es auch nicht, wenn Grünen-Chef Robert Habeck fordert, ein zentrales Immobilienregister einzuführen. Abgesehen davon, dass es längst ein Gesetz gibt, dass ein solches elektronisches Datengrundbuch ab dem kommenden Jahr festschreibt, würde auch dies nichts nutzen, solange die Ämter kritische Einblicke verweigern. Die Behörden spielen derweil lieber Schwarzer Peter: Die Länder verweisen auf die Verantwortung des Bundes und umgekehrt. Es sei von wesentlicher Bedeutung, erklärt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage, „dass die Aufsichtsbehörden der Länder mittels der ihnen zur Verfügung stehenden Befugnisse — insbesondere über einen ausreichenden Personaleinsatz und mittels hinreichender Kontrollen — verstärkt die Beachtung geldwäscherechtlicher Pflichten sicherstellen“. Defizite gebe es vor allem bei Immobilienmaklern und Notaren. Dabei ist das Wort „Defizit“ eine Untertreibung. Von über 40000 Geldwäscheverdachtsmeldungen kamen im Jahr 2016 ganze zwei von Notaren und 28 von Maklern. Stolze 0,08 Prozent. Die allermeisten Verdachtsmeldungen betrafen den Finanzsektor, der Immobiliensektor blieb praktisch unkontrolliert — und zwar mit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Schließlich schreibt das Geldwäschegesetz vor, dass ein Notar mit Blick auf seine Schweigepflicht nur dann eine Geldwäscheverdachtsmeldung abschicken dürfe, wenn er sich 100-prozentig sicher ist. Kein Wunder, dass Notare selbst bei anrüchigen Deals lieber Mund und Nase zu- und dafür die Gebührenhand auffalten. Dass es wenig belastbare Ergebnisse gibt, könnte auch mit dem Zuständigkeitswirrwarr zusammenhängen. So gibt es die Landeskriminalämter, die den konkreten Verdachtsfällen nachspüren, darüber hinaus die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Und auch noch Rechtsanwaltskammern, Gewerbeaufsichtsämter und sogar in einigen Kommunen die Standesämter — frei nach der Devise: Zwischen Trauung und Sterbeanzeige ist sicherlich noch Zeit für das bisschen Geldwäschegedöns. Von einem „Nebenbei-Job“ spricht Grünen-Politikerin Paus.
Die verhinderten Ermittler
Die größten Defizite weist allerdings jene Behörde auf, die eigentlich eine Art Sondereinsatzkommando gegen Geldwäsche sein soll: die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen — auf Englisch: Financial Intelligence Unit (FIU) —, die vor einem Jahr vom Bundesinnenministerium zum Finanzressort wechselte. Die FIU, in einer ehemaligen britischen Backsteinkaserne in Köln untergebracht, machte in den ersten Monaten mit Patzern auf sich aufmerksam: Verdachtsmeldungen mussten statt per Mail via Fax nach Köln geschickt werden. Zehntausende Verdachtsfälle blieben über Monate liegen. Frank Buckenhofer ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, Bezirksgruppe Zoll. Eigentlich müsste er es gut finden, dass die Geldwäschebekämpfung jetzt beim Zoll angesiedelt ist. Ja, sagt Buckenhofer, der Zoll habe in der Tat die Expertise für die wirksame Bekämpfung von Geldwäsche. Aber: „Damit meine ich die Kollegen, die ermitteln: die Praktiker vor Ort.“ Dumm nur, dass die Theoretiker in den Reihen der FIU entscheiden würden, ob man Verdachtsmeldungen nachgehen soll — Bankexperten und Volkswirte.
Die FIU könne zudem nicht auf die nötigen Onlinedatenbanken der Landeskriminalämter über organisierte Kriminalität zugreifen. „Die FIU muss aber mehr wissen als das Ergebnis von Google-Recherchen“, sagt Buckenhofer und spricht von „einem Blindflug bei der polizeilichen Erkenntnislage“. Er verweist auf Italien: Die erfolgreichste Anti-Mafia-Behörde sei die Guardia di Finanza. „Auch Deutschland braucht eine solche Finanzpolizei.“ Die Zollbeamten der Zollfahndung, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und der Kontrolleinheiten sollten unter dem Dach des Zollkriminalamts gebündelt werden. Die rechtlichen Möglichkeiten zur Verfolgung von Geldwäschern seien vorhanden — so können die Fahnder seit dem vergangenen Jahr Vermögen einziehen, wenn der Verdacht auf Straftaten besteht. Allerdings weigerten sich die Staatsanwaltschaften bisher, beobachtet ein Kriminalbeamter aus Süddeutschland, das neue Instrument einzusetzen; zu unvertraut scheint der Justiz die damit verbundene Beweislastumkehr zu sein. Schade, findet der Abgeordnete De Masi, dessen Vater aus Italien stammt. Für ihn ist eine Umkehr der Beweislast bei dubiosen Deals schon deshalb notwendig, da „sonst Heerscharen von Staatsanwälten jahrelang hinterherhecheln“.
Wie ausgeklügelt die Verschachtelung und Verschleierung der Eigentümerverhältnisse funktioniert, zeigt sich am Frankfurter Fünf-Sterne-Hote1 Sofitel in der Innenstadt, gleich neben der Alten Oper. Welche wahren Eigentümer sich hinter dem Luxus verbergen, kann auch ein Blick ins Grundbuch nicht beantworten. Dort ist eine gewisse Opernplatz S.ä rel. eingetragen, ein Unternehmen, das offenbar ohne Telefon, Fax und E-Mail-Adresse auskommt. Wer weiter sucht, stößt auf ein Netz aus Unternehmen, das von Luxemburg bis zu den Jungferninseln reicht und dessen Ursprung in Russland vermutet wird. Eine wichtige Rolle soll das Unternehmen Lenhart Global Investments beziehungsweise die daraus hervorgegangene Firma Prime Property Management spielen. Beide Unternehmen haben ihren Sitz in Moskau. Eine Wendeltreppe führt aus der großzügigen Lobby des Sofitel in eine mindestens genauso großzügige zweite Lobby. Im Seminarraum Saint Germain sitzt Yaroslav Kotsyuba, CEO von Prime Property Management. Der gebürtige Ukrainer mit schwarzem Anzug und schwarzen Haaren will Stellung zu den Geldwäschevorwürfen nehmen: „Sowohl Prime Property Management als auch Lenhart Global, mein vorheriger Arbeitgeber, sind niemals Eigentümer des Sofitel oder des Ku’damm-Karrees in Berlin gewesen, auch wenn das in einigen Medien fälschlicherweise behauptet wird.“ Dann nimmt Kotsyuba Papier zur Hand und zeichnet darauf drei Blöcke. Links stehen die Investoren, rechts die Eigentümer der Immobilien. Dazwischen schreibt Kotsyuba das Kürzel PPM — wie Prime Property Management. „Wir legen das Geld unserer Investoren in Immobilien an — zum Beispiel in Deutschland“, sagt Rotsyuba. Deshalb tauche er auch als Eigentümer hinter dem dahinterliegenden Unternehmen Chorley Trading auf den British Virgin Islands auf. Wie viele Investoren sein Unternehmen in Russland betreut, will Kotsyuba nicht verraten. „Wir arbeiten mit niemandem zusammen, der auf der Sanktionsliste der EU und/ oder der USA steht. Dies würde ich auch jederzeit eidesstattlich versichern“, sagt er. Doch warum ist das Firmengeflecht hinter diesen Luxusimmobilien so verzweigt, dass es mindestens zwei DIN-A3-Seiten braucht, um es darzustellen? Kotsyuba sagt: „Diese Konstruktion ist absolut üblich. Auch börsennotierte Immobilienkonzerne und Immobilienfonds wenden diese Konstruktionen an.“ Dass die internationalen Verzweigungen der Steueroptimierung oder gar Steuerhinterziehung dienen, weist Kotsyuba entschieden zurück. „In manchen Ländern finden wir eben bessere rechtliche Bedingungen, um schneller und effizienter die Gesellschaften zu verwalten, zum Beispiel bei Fragen der Strukturierung vertraglicher Vereinbarungen nach den Normen des englischen Rechts.“
In Berlin, auf dem Adenauerplatz, fragt sich der Berliner Baustadtrat Schruoffeneger angesichts solcher Konstruktionen, ob hier, vor seiner Amtsstube, Geld gewaschen wird. Die Recherche nach den Eigentümern zeigt einmal mehr, wie mühsam der Aufklärungsprozess bei Immobiliendeals ist. Das Grundbuch weist eine Berliner GmbH als Eigentümer des Areals aus. Zwei Russen aus Moskau führen heute die Geschäfte. Ihr Vorgänger, ein Deutscher aus Leipzig, ist am Telefon erreichbar. Der Mann spricht über sein Geschäft: den Erwerb, die Bebauung und den Verkauf von Grundstücken und Immobilien. „Wir machen nur gute Deals“, sagt er. Er gibt an, dass er, neben anderen Objekten, auch den Komplex am Adenauerplatz an russische Investoren verkauft habe. Einer der beiden Männer, die das Handelsregister als Geschäftsführer der Berliner Gesellschaft ausweist, sei der Eigentümer: ein Bauunternehmer aus Moskau. „Das ist ein sehr professioneller Bauträger und ein cleverer Geschäftsmann“, lobt der Deutsche. Und er weiß: Der Russe wolle auf dem Grundstück zwei Hochhäuser errichten. Warum das Areal dann leer steht? Der Russe habe die Wohnungen erst entmieten wollen.
Geldwäsche? Überbewertet
Als der Charlottenburger Baustadtrat Schruoffeneger von der Entmietungsgeschichte hört, verzieht er angewidert das Gesicht. Die Immobilie stehe schon so lange leer, dass selbst das 2014 eingeführte Zweckentfremdungsverbot nicht greife, das seither Wohnungen vor Leerstand, Abriss oder Umwandlung schützen soll. Noch eine Nachfrage an den smarten Immobilienmann am Telefon, der so gern mit Russen Geschäfte macht: Wurde am Adenauerplatz Geld gewaschen? „Nein“, sagt er im allertreuesten Tonfall: „Ich habe noch nie einen Kunden erlebt, der Häuser oder Wohnungen mit Bargeld zahlen wollte.“ Alles sei korrekt abgelaufen, ein Notar habe alles „haarklein“ überprüft. Seine Meinung: „Das Thema Geldwäsche ist extrem überbewertet.“