Die Zeiten von Terror und Entführungen machen es offenbar notwendig: Immer öfter buchen deutsche Unternehmer und Außendienstmitarbeiter ein Anti-Terror-Training, um bei Geschäften im Ausland gegen terroristische Angriffe gewappnet zu sein. Denn wer in Krisengebieten überleben will, wenn der Ernstfall eintritt, wie beispielsweise eine Entführung, der hat einen großen psychologischen Vorteil, wenn er auf eine Gefahrensituation im Vorfeld eingestellt wurde. Dazu boomt das Geschäft für Unternehmen, die Schulungen und simulierte Ernstfälle üben und Geschäftsleute für eventuelle Ereignisse trainieren. Psychologie ist dabei ein wichtiger Faktor.
Schüsse hallen durch die Gänge, Schwarzpulver zieht Ekkehard Stein in die Nase, und draußen vor der Tür hören die Menschen nicht auf zu schreien. Der Rechtsanwalt stapelt mehrere Sessel und Tische vor die Tür. Stein und sein Kompagnon, der sich mit ihm in dem schmalen Zimmer verschanzt, fühlen sich vorerst sicher. Doch was, wenn sie es nicht sind? „Wenn einer hereinkommt, stürzen wir uns auf ihn“, sagt Stein. „Wer zuerst? Du oder ich?“, fragt der andere. Erneut krachen draußen Schüsse, gleich mehrere hintereinander, aus einem Sturmgewehr. Betreten blicken die Männer auf ihre Barrikade aus Sesseln und Tischen und schweigen. „Stop!“ schallt es von den Gittern über den Zimmern herab. Ausbilder David Hartmann unterbricht das Anti-Terror-Training. Stein und sein Partner bauen den Möbelturm ab und trotten in den Gemeinschaftsraum. „Ihr habt das gut gemacht“, sagt Hartmann zu Stein. Einem anderen Unternehmerduo, das den fingierten Terrorangriff über sich hat ergehen lassen, donnert er zu: „Warum seid ihr wie angewurzelt am Gang stehen geblieben? Nur zu hoffen, dass der Terrorist nicht kommt, ist zu wenig. In dem Fall arbeitet die Hoffnung gegen euch.“
Auf dem Übungsgelände Meadow Bridge Trainings Center nahe dem Frankfurter Flughafen stehen Container und Übungshäuser, daneben ein Schießstand, auf dem Platz ein Panzer und ein Hubschrauber. Regelmäßig trainieren hier Spezialeinheiten der Polizei und der Bundeswehr. Seit Kurzem kämpft hier ein ganz neues Publikum: Deutsche Mittelständler, Manager und Freiberufler trainieren mit Schusswaffen und üben das Verhalten in Terrorlagen. Ziel der Ausbildung: einen Ernstfall im Ausland zu überlegen. Was wirkt wie ein Kriegsspiel für Erwachsene, ist für immer mehr Unternehmer mit Exportgeschäft in Krisenregionen ernst hafte Weiterbildung. „Handlungsfähig bleiben, trotz Gewalt“, nennen die Veranstalter Jörg Dreger, David Hartmann und Alexander Krutzek ihr Angebot. Das Seminar richtet sich an Geschäftsreisende, die den Worst Case durchspielen und auf Straftaten vorbereitet sein wollen. „Unser Fokus liegt auf Mittelständlern, weil diese normalerweise keine eigene Sicherheitsabteilung haben“, sagt Dreger. Sie erhalten theoretische und praktische Handlungsanweisungen für Terrorgefahr — eine Art Survival-Kit für Reisen in Teile Afrikas, nach Pakistan oder Afghanistan. Was bedeutet es, wenn man in einen Staatsstreich gerät? Was tun, wenn Terroristen mit Sturmgewehren vor der Firmenzentrale auftauchen?
Krisen befeuern das Geschäft
Die weltweiten Krisen sind gut für das Geschäft von Dreger, Hartmann und Krutzek — die Nachfrage der Unternehmen nach solchen Anti-Terror-Trainings wächst. Dabei kommt den Ausbildern noch ein weiterer Trend entgegen: Spezialisten für Cyberabwehr lassen sich zunehmend durch echte Kampfeinheiten schulen. Sie kämpfen zwar am Schreibtisch, wollen aber reale Kämpfer verstehen. So berichtete die „New York Times“, dass die Cyberabwehrabteilung von Mastercard bewusst Afghanistan-Veteranen einsetzt, um von deren Taktikkenntnissen zu profitieren. Jörg Dreger, Kurzhaarschnitt und Armyhose, steht im Besprechungssaal des Meadow Bridge Trainings Center. Der niedrige Raum wirkt wie ein Bunker. An der Wand hängt ein Schränkchen mit Patronen, daneben baumeln zwei Sturmgewehre. Inmitten dieses martialischen Ambiente sitzen Unternehmer und Angestellte im Sesselkreis und hören zu, was Dreger erzählt. Was denn der Unterschied zwischen den englischen Wörtern „anxiety“ und „fear“ sei, will der Ausbilder wissen. Dreger blickt in fragende Gesichter. „ ,Anxiety‘ ist die lähmende Angst, ,fear‘ die Angst, die eure Kampf- und Fluchtreflexe aktiviert. Terroristen wollen euch lähmen. Terror zielt auf die Psyche. Genau das müsst ihr überwinden.“ Die Teilnehmer hängen an Dregers Lippen. Matias Krempel, dessen Schlips über dem weißen Hemd mit einer Krawattennadel gehalten wird, notiert alles in seinen Block. Krempel ist bei einem Luftfahrtunternehmen für Cybersicherheit verantwortlich. Das Anti-Terror-Training hat für ihn ganz praktischen Nutzen: „Leute, die heute mit Messern angreifen, machen das morgen mit Computern“, sagt er. „Es gibt schon jetzt gleichzeitige Angriffe auf all diesen Ebenen“, sagt er. Sein Lernziel: „Ich möchte wissen, wie der Gegner tickt.“
Anwalt Stein fühlt sich in dem Theorieblock nun sichtlich wohler als in der Terrorübung. Stein stellt viele Fragen. Wie lange man in einer bedrohten Unternehmenszentrale auf Hilfe warten, wann man die Flucht ergreifen soll: „Ich berate unter anderem Mandanten mit Afrika-Aktivitäten. Wenn man über die Risiken in diesen Ländern Bescheid weiß, beginnt man, solche Geschäfte ganz anders zu planen.“ Seminarleiter Hartmann wuchtet nun eine Kalaschnikow auf den Tisch. „Es wurden sieben Millionen Sturmgewehre G3 verkauft, zehn Millionen Uzi-Maschinenpistolen, aber von diesem Ding hier“, Hartmann streichelt über den Lauf des russischen Sturmgewehrs, „sind 100 Millionen vom Stapel gelaufen.“ Wer in einen bewaffneten Konflikt komme, werde es „mit diesem Ding zu tun haben. Und deshalb bauen wir das jetzt auseinander.“
Hartmanns Autorität ist unbestritten. Er hat viele Jahre in der israelischen Armee gedient, arbeitete im Staatsdienst und in der Sicherheitsindustrie. Neben den Seminaren für Unternehmer ist er auch als Antiterror und Sicherheitsberater in Afrika unterwegs. Sein Kompagnon Dreger arbeitete viele Jahre für IBM, wo er in den Neunzigerjahren den Geschäftsbereich Mittelstand in Russland verantwortete. Russland war unsicher damals, also spezialisierte er sich auf das Thema. Hartmann drückt einem der Teilnehmer nun die wuchtige Kalaschnikow in die Hand. Er zeigt ihm, wie man die Abdeckung von der zivilen, halbautomatischen Variante abmontiert, wie der Federzug herausgeht, wie man den Verschlusskopf entfernt. „Erst wenn der ausgebaut ist, ist die Kalaschnikow unschädlich gemacht“, sagt Hartmann. Dem Teilnehmer laufen Schweißperlen über die Stirn. Mit Waffen habe er eigentlich nichts zu tun. Er steuert für ein privates Unternehmen Drohnen. Die kontrollieren zum Beispiel Erdölpipelines in Libyen. Für den Fall, dass bewaffnete Truppen oder Banditen vor seinem Monitor auftauchen, möchte er vorbereitet sein und wissen, was er den Kollegen vor Ort raten soll.
Den Feind lesen können
Im Bunker startet nun eine neue Unterrichtseinheit. Das Thema: taktische FeindanaIyse. Ausbilder Hartmann fragt in die Runde: „Gibt es in einem Bürgerkriegsgebiet einen Staat, mit dem ihr Verträge machen könnt?“ Stein ist ganz in seinem Thema und antwortet: „Natürlich. Man bekommt für alles Verträge.“ Hartmann: „So ist es. In all diesen Ländern gibt es staatliche Einrichtungen. Aber es gibt sie nur virtuell. Vor Ort habt ihr es dann aber mit Warlords zu tun, bei denen diese Papiere nichts mehr gelten.“ Wer in einem Krisenstaat das Sagen hat, merkt man meist, wenn die Sonne untergeht, sagt Hartmann. Denn: „Wer die Nacht kontrolliert, der kontrolliert die Menschen.“
Es ist später Nachmittag, auf das Trainingscenter brennt erbarmungslos die Sonne. Die Teilnehmer stehen im Hof vor dem Bunker und schlagen sich gegenseitig Waffen aus der Hand. Hartmann zeigt ihnen, wie man Messerattacken abwehrt und was man tun muss, wenn der Gegner plötzlich eine Pistole zieht. Die Schweißflecken auf den Hemden und T-Shirts der Männer wachsen minütlich. Nach einer Stunde haben fast alle kleinere Schrammen und Blutergüsse an Armen und Händen. Nun sollen die Teilnehmer lernen, wie sich Krieg anhört. Hartmann nimmt die Kalaschnikow und leitet die Gruppe zum Schießstand.
In einem schmalen, langen Raum stehen zwei Ziele vor der Wand. Auf der anderen Seite die Geschäftsleute, die meisten sichtlich nervös. Jeder von ihnen soll nun mit der Kalaschnikow schießen. Scharf. Hartmann drückt jedem von ihnen ein sichelförmiges Magazin in die Hand. Dazu gibt er je fff Patronen aus, Kaliber 7,62 mal 39. Keiner spricht. Mit Schweißfingern drückt Anwalt Stein die Patronen ins Magazin. Hartmann holt Stein nach vorne, beobachtet, wie der das Magazin einsetzt. „Entsichern und durchladen“, sagt Hartmann. Der Verschluss der Sicherung klickt, Stein hält die Waffe auf das Ziel. Er schiebt den Verschluss zu sich. Mit Krach fährt er zurück. „Und Schuss!“ Fünf Mal donnert die Waffe. Fünf Mal zucken die Teilnehmer zusammen. Drei Einschusslöcher bleiben auf der Zielscheibe sichtbar. Die restlichen Kugeln treffen in den Kugelfang. „Gut gemacht“, lobt Hartmann.
Im Bunker sammeln sich alle zur Abschlussbesprechung. Eine Mischung aus Euphorie und Erschöpfung macht sich breit. Dreger sagt: „Ihr habt jetzt gehört, wie laut so eine Waffe ist. Wenn ihr das noch einmal hört, dann rennt oder kämpft. Aber bleibt nicht wie angewurzelt stehen.“ Über dem Trainingsgelände wird es langsam Abend. Krempel hat seinen Block eingepackt, die Vortragenden kommen zum Ende. Weil Hartmann niemanden mit falschen Hoffnungen gehen lassen will, hat er noch einen ganz speziellen Rat für sie parat: „Unter Beschuss oder in einem Nahkampfwerdet ihr als Ungeübte ziemlich sicher verletzt werden“, sagt er. „Wenn ihr heute aufgepasst habt und die Übungen öfter wiederholt, schafft ihr es aber zumindest in die Notaufnahme — und endet nicht im Leichenschauhaus.“