Stockholm. Das für eine Bühne! Der Comer See schimmert grünblau, im Garten der Villa Pliniana, einem Palazzo aus dem 16. Jahrhundert, schreitet die Braut der Abendsonne entgegen, der Bräutigam wartet vor einem blühenden Hochzeitsbogen. Was für eine Party! Es singt Bruno Mars, live. Zu den Gästen gehören Facebook-Chef Mark Zuckerberg samt Ehefrau Priscilla. Normalerweise feiern an diesem Ufer Clooney und Pitt. Aber das hier ist eine Nummer größer als Hollywood. Das hier ist die Hochzeit von Daniel Ek, Gründer und Chef von Spotify, dem erfolgreichsten Musikstreamingdienst der Gegenwart. Dieser unscheinbare junge Schwede schickt sich an, zum Taktgeber der Welt zu werden. Wie singen Abba in Eks Lieblingslied „Dancing Queen“?
Heute stehen mehr als 35 Millionen Songs bei Spotify online. 159 Millionen Menschen nutzen das Angebot, davon 71 Millionen zahlende Abonnenten – fast doppelt so viele wie bei Apple Music. Mit dem Streaming erzielt die lange leidende Musikindustrie rund die Hälfte der Umsätze, sie wächst wieder. Und seit dem Börsengang vergangene Woche in New York ist auch klar, welch große Hoffnungen An leger in Spotify setzen: Über 21 Milliarden Euro war der Dienst am Ende des ersten Handelstags wert. Spotify ist das wertvollste Start-up Europas — dank Ek.
Eigentlich ist Ek keiner für die große Show. Den kirschroten Ferrari hat er Iange abgeschafft, Medien meidet er, lieber kümmert er sich um seine beiden kleinen Töchter oder fliegt zu einem Spiel von Arsenal London. Auch Borussia Dortmund findet er gut. Ek mag es bodenständig — zumindest, wenn er nicht gerade heiratet, wie im Sommer 2016. Die Schweden haben für diese Mentalität einen Begriff: „Jantelagen“, das Gesetz von Jante. Es besagt: Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist. Ek lebt dieses Gesetz. Selbstjetzt, da ihn das Branchenmagazin „Billboard“ zum „mächtigsten Mann in der Musikindustrie“ kürt, er mit Justin Bieber Tischtennis spielt und Spotify In Schweden als Heiligtum gilt.
Selbst beim Börsengang hat Ek sich an den Kodex gehalten. An den mächtigen Säulen der New Yorker Börse prangte zwar ein schwarzes Segel mit grünem Spotify-Logo. Aber es floss kein Champagner, es gab kein Glockengeläut oder breitbeinige Interviews auf dem Parkett. Stattdessen skizzierte Ek mit einem Daft-Punk-Zitat auf seiner Website, wie Spotify die nächsten Jahre angehen wolle. „Harder, better, faster, stronger.“
Tatsächlich ist der Börsengang für den 35-Jährigen die Krönung, der Höhepunkt eines mehr als zehn Jahre dauernden AufStiegs. Dabei hat sich Ek nicht nur Freunde gemacht. Kritiker bezweifeln, dass er neben der Musikindustrie auch die Musiker rettet. Und seine glitzernde Kugel halten einige für kaufmännisches Blendwerk, denn bisher ist Spotify ein Minusgeschäft: 1,24 Milliarden Euro Miese waren es allein 2017. Was also ist dieser Ek: Dancing King — oder doch eher König Ohneland?
Stockholm, das „Grand Hotel“, fünf Sterne mit Blick aufden Königspalast. Der Spotify-Chef hält Hof im ersten Stock, im Separée Kinarummet, dem chinesischen Zimmer. Unten wummert Musik, eine Band probt. Jedes Jahr bringt Ek hier mächtige Manager aus der Musik- und Techszene auf einer Konferenz zusammen. Sie heißt „Brilliant Minds“. Geniale Geister. Rund um das wuchtige Hotel liegen graue Läufer. Mit Schriftzügen auf den Teppichen huldigt Ek Schwedens Idolen: Ikea, Roxette, Ace of Base, Avicii.
Er ist an sich keiner, der so gestählt daherkommt wie Facebooks Zuckerberg oder Amazons Jeff Bezos. Er ist auch keiner, der den Raum auf Anhieb füllt. Daniel Ek neigt zu Blässe und Bauch, ist mehr britischer Fußballfan als asketischer Weltenlenker.
Spotifys Erfolg, so erklärt er, beruhe auch auf den Eigenheiten seiner schwedischen Heimat. Die Musik sei staatlich gefördert, mit kostenlosem Musikunterricht für alle. „Ich bin ein Produkt dieses Systems“, sagt er. Er wuchs in Rågsved auf, einem etwas abgewetzten Vorort Stockholms, bei seiner alleinerziehenden Mutter. Sie hatten wenig Geld, aber viel Musik. „Mein Großvater war Opernsänger, meine Großmutter spielte Jazz und Klavier“, erzählt Ek im Separée. Mit vier bekam er eine Gitarre. Mit fünf, noch wichtiger, einen Computer.
In den 90er Jahren investierte die schwedische Regierung in schnelles Internet für alle. So konnten sich die Jungen früh als Hacker probieren. Auch Ek. Mit 14 begann er, Internetseiten für Firmen zu programmieren. Er verdiente gut, hatte Angestellte. Nach der Schule nahm ihn die Königlich Technische Hochschule in Stockholm auf, aber Ek zog es vor, Geschäfte zu machen. Es folgten wilde Jahre. Erste Million mit 22, schickes Appartement, der kirschrote Ferrari, Clubs, Mädchen. Viel Tempo.
Irgendwann wurde es Ek zu viel. „Ich habe festgestellt, dass die Mädchen keine sehr netten Menschen waren“, erklärte er einmal dem „New Yorker“. Er sei depressiv geworden. Es folgte: Läuterung. Ek zog sich zurück, in ein Holzhaus mit 29 Quadratmeter Wohnfläche — und besann sich.
Draußen tobte währenddessen ein Kulturkampf. In Schweden und weit darüber hinaus versuchten Hacker, das alte Regime der Musikindustrie zu zerstören. Mit einer revolutionären Idee: Sie wollten Lieder im Internet verfügbar machen, überall und umsonst. Sie nannten sich „Piraten“ und ihre Plattform „The Pirate Bay“, Piratenbucht. Es ging ihnen nicht um Geld oder Geschäftsmodelle, sondern um ein Statement. „Ziel war es, die großen Plattenfirmen loszuwerden als diejenigen, die über unser kulturelles Erbe bestimmen“, sagt Peter Sunde, einer der Gründer von The Pirate Bay. Dass sie sich mit der Kopiererei strafbar machten, war ihnen egal. Sie wollten die Macht der „Majors“ brechen. Und sie hatten Erfolg. Die Umsätze der Musikindustrie brachen ein. Warum sollte man für CDs zahlen, wenn das Internet die Songs verschenkte? Dann aber kroch Daniel Ek aus seinem Holzhaus. Er habe nun gewusst, was ihm wirklich wichtig sei, wird er später behaupten: Musik und Technologie. Er habe eine Alternative zur Piraterie schaffen wollen und also, gemeinsam mit Martin Lorentzon, dem Chefeiner Internet-Werbefirma, 2006 das Start-up gegründet. So schön klingt der Gründungsmythos, den Ek erzählt.
Einer, der selbst Teil der Pirate-Bay-Be- wegung war und gerade ein Buch über Spotifys Geschichte veröffentlicht, beschreibt den Ursprung der Firma nüchterner. „Die zwei kannten sich mit Werbung im Internet aus“, sagt der schwedische Historiker Rasmus Fleischer, „ihr Ziel war es, Reichweite zu schaffen, um dann Anzeigen verkaufen zu können.“ Musik sei dabei ein Mittel zum Zweck gewesen. „Klar. Ek mochte Musik. Aber wer mag die nicht?“
Und noch etwas passe nicht ganz zum Mythos. Kulturell gehörte Ek nie zu den Piraten, hing nie mit den Linken ab, in ihren Clubs oder Chats. Und doch, sagt Fleischer, habe sich Ek zunächst ihrer Methoden bedient. Anfangs, als man bei Spotify nur mit Einladung Musik hören konnte, hätte auch Ek Dateien unerlaubt kopiert. „Das war ein Piratendienst“, sagt Fleischer – nur eben mit der Absicht, die Musik möglichst schnell legal anzubieten. Dazu brauchte Ek die Lizenzen von den großen Konzernen, und die sträubten sich, weil Ek vorhatte, die Musik nicht nur mit Abos, sondern auch kostenlos anzubieten – nur unterbrochen von Werbung. „Für uns war es zunächst eine riesige Hürde, die Musik in so einem großen Umfang quasi gratis zur Verfügung zu stellen“, sagt Thomas Hesse, damals Cheffür das globale Digitalgeschäft von Sony Music.
Ek musste die Konzerne also davon überzeugen, dass die Chance das Risiko überwog. Dabei half ihm, dass deren Geschäft rasant zerrann. Apple hatte die Musik mit iTunes zwar ins Netz gebracht, dort konnte man jetzt Lieder kaufen, aber das reichte längst nicht, um die Verluste zu stoppen. Zunehmend verzweifelt suchten die Bosse nach einer Alternative zur Piraterie und beschlossen schließlich, es mit Streaming zu versuchen. Im Herbst 2008 gewährten sie Ek die Lizenzen, beschränkt auf Schweden und wenige andere Länder. Spotify konnte offiziell starten — und startete durch. Sein Angebot war schneller und bequemer als das der Piratendienste, und dazu noch legal. „Wir haben in Schweden gesehen, dass das Streaming nicht zulasten des Digitalmarktes ging, sondern sehr stark zulasten der Piraterie“, sagt Hesse. Außerdem griff inzwischen die Justiz durch. Auch Peter Sunde wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Ancien Régime gewann – und Prinz Daniel war der Held. Er konnte nun sein großes Ziel angehen: die Expansion nach Amerika. Jeder verhandelte Ek mit der Industrie, beharrlich, beinhart. „Er ist jemand, der immer sehr bedächtig, klug, sehr rational spricht und eher zurückhaltend auftritt“, sagt Hesse. „Und dennoch ist er extrem durchsetzungsstark.“2011 hatte Ek die Majors so weit: Sie ließen Spotify auf den US-Markt. Es war ein Ereignis wie die Ankunft der Beatles in New York 1964: Danach war die Musikwelt eine andere.
Spotify ist inzwischen in 65 Ländern verfügbar, mit 2960 Angestellten weltweit. Suchten Kunden anfangs Lieder, die sie kannten, will Spotify nun injeder Lebenssituation den richtigen Sound liefern, über Listen oder über Empfehlungen, ganz persönlich. Algorithmen werten die Vorlieben jedes Hörers aus. Spotify verfügt über Unmengen persönlicher Daten, einen Schatz, der allerdings schnell zum Fluch werden kann, wie der Datenskandal bei Eks Freund Zuckerberg zeigt. Spotify ist heute weniger Musiklabel als globaler Technologiegigant. Ek will das Radio neuen Typs schaffen, einen Sender für die ganze Welt.
„Die Musik ist zentralisierter als jemals zuvor“, schimpft deshalb Peter Sunde. In seinen Augen ist Ek ein Strohmann für die „gesichtslosen“ Bosse der Industrie. Tatsächlich lassen sich die Majors ihre Lizenzen nicht nur mit Gebühren entlohnen, sie haben sich auch Anteile an Spotify gesichert, allein Sony 5,7 Prozent.
Kritik an Ek kommt auch von Künstlern. Manche bezichtigen Spotify, sie verhungern zu lassen. Taylor Swift zog ihre Musik aus Protest sogar zeitweise zurück, in den USA läuft ein Verfahren, bei dem es um eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1,3 Milliarden Euro geht. Kläger ist Randall Wixen, der Künstler wie Tom Petty und Neil Young vertritt. Er behauptet, Spotify habe Musik ohne Erlaubnis gestreamt. „Früher konnten Menschen davon leben, dass sie Musik machten, sie hatten Löhne“, sagt Wixen. „Die Streamingdienste haben diese Einkommen kannibalisiert — und noch gibt es keinen Ersatz.“ Mit Ek habe er telefoniert, sagt Wixen, der sei freundlich, seine Anwälte aber knallhart.
Die Discokugel ist inzwischen so viel wert, dass Ek mit allen Mitteln kämpft — auch als politischer Lobbyist wie an diesem Tag im Januar 2018 in Brüssel. Im Ballsaal des Concert Noble sitzt Ek auf einer Bühne. Unten im Publikum drängt sich die EU-Elite: Bürokraten, Anwälte, Lobbyisten. Tagsüber hat Ek sich mit Kommissaren und Beamten getroffen. Jetzt, am Abend, tritt er öffentlich auf. „Es ist wichtig für Leute wie mich, rauszugehen, offen zu sein“, sagt er. Und meint: Ich bin anders als die als hochnäsig verschrienen Amerikaner. Ich bin einer von euch!
Tatsächlich ist er nach Brüssel gekommen, um einen amerikanischen Konkurrenten zu attackieren. Apple verlangt von Spotify in seinem App-Store Prozente, zahlt aber für den eigenen Dienst nichts. Ek findet das unfair. Und weil die EU-Kommission derzeit gern US-Konzernen auf die Finger haut, möchte Ek sie ermutigen, Spotify zu helfen. Ihm. Was ihn antreibe, sagt er auch, das sei Spotifys „Mission“: dafür zu sorgen, dass eine Million Künstler ihr Auskommen fänden. „Wenn wir das schaffen, wird die Welt viel besser aussehen.“
Ek ist jetzt auch ein — und mit dieser Attitüde nähert er sich den amerikanischen Gründern an – selbst ernannter Weltverbesserer, ausgestattet mit großem Selbstbewusstsein. Selbstbei dem Schritt an die Börse ging er volles Risiko. Normalerweise heuern Firmen Investmentbanken an, die den Preis der Aktie vorab festzurren. Ek bot die Anteile einfach direkt an — und war erfolgreich. Die Investoren scheinen seinen Versprechen zu glauben, seiner Story von Wachstum und immer mehr Werbeeinnahmen, trotz Wixens Klage, trotz irrsinniger Verluste, trotz der Aufholjagd von Apple, trotz des Datenskandals bei Facebook. Nur die New Yorker Börse patzte. Statt der schwedischen hisste sie aus Versehen zunächst die Schweizer Flagge. Aber was juckt das den König? Als Ek den Ballsaal verlässt, spielen sie Abba. „Dancing Queen“.