Düsseldorf. Vom Wackelkandidaten zum Big-Player, so könnte man die steile Entwicklung vom britischen Mobilfunkkonzern Vodafone beschreiben. Das Unternehmen hat kürzlich mit dem Zukauf des Konkurrenten Unitymedia einen ganz großen Schritt zum Branchenprimus gemacht, dessen Netzwerk mittlerweile ganz Deutschland umfasst. In dieser Position kann das Unternehmen auch der deutschen Telekom das Fürchten lehren und ist bereits heute eine echte Macht im deutschen Kabelnetz- und Breitbandmarkt.
Rückblick: Als Vittorio Colao in jener letzten Juliwoche 2008 seinen größten Triumph feiert, befindet sich die Welt im Aufruhr. Binnen sechs Wochen wird sich die seit Monaten tobende Finanzkrise durch die westlichen Volkswirtschaften fressen und — als vorläufiger Höhepunkt — in der spektakulären Pleite von Lehman Brothers münden. Das ahnt Colao freilich nicht, als er seinen Schreibtisch einräumt. Der Chef von Vodafone hat ohnehin ganz andere Probleme. Der Konzern, den er führt, erweist sich nämlich als ziemliches Flickwerk. Sicher, Vodafone gilt zu jener Zeit als eines der größten Mobilfunkunternehmen in Großbritannien, hält einen milliardenschweren Anteil an Verizon Wireless (USA) und verfügt zudem über Aktivitäten im Festnetz. Hinzu kommen ein paar Aktivitäten in der Werbung und in Bereichen, die wirtschaftlich gesehen so unbedeutend sind, dass sie den Aufwand kaum lohnen. Was Vodafone fehlt: der Fokus. Vodafones Netz gilt zudem zumindest als in die Tage gekommen und bedarf massiver Investitionen. Colao setzt sich also hin und überlegt, wie er Vodafone für die Zukunft aufstellen will. Und er hat einen Plan. Er räumt erst einmal auf.
Vom Flickwerk zum Powerhouse
Schneller Vorlauf auf das Jahr 2018. Die Welt hat sich von der Finanzkrise (fast) erholt und Vittorio Colao steht vor dem Rücktritt bei Vodafone. Was hat der 56-jährige Manager mit italienischen Wurzeln erreicht? Vodafone ist noch immer eine Hausnummer auf der Insel. Mit einem Marktanteil von 22 Prozent im Mobilfunkbereich rangiert das Unternehmen hinter British Telecom (29 Prozent) und 02 (27 Prozent) auf Rang 3. Dennoch hat sich Vodafone in den zehn Jahren unter Colao radikal verändert, ist dank des Verkaufs von Verizon Wireless und verschiedener Randaktivitäten viel schlanker und profitabler. Kurzum: Colao hat Vodafone zu einem schlagkräftigen, integrierten Kommunikationskonzern umgebaut, dessen Angebotspalette neben Breitband- und Kabel-TV- auch Telekom Leistungen umfasst und der nach dem Kauf von Kabel Deutschland 2013 auch hierzulande zu den großen Playern zählt. Mit der jetzt angekündigten Übernahme von Unitymedia (und einigen Assets in Osteuropa) hinterlässt Colao seinem Nachfolger Nick Read ein bestelltes Feld.
Milliardenschwerer Top-Deal
Vodafone lässt sich die Übernahme von Unitymedia 18,4 Milliarden Euro kosten, das entspricht dem 10,9-fachen EBITDA der einzelnen Assets und liegt im Rahmen dessen, was bei ähnlichen Deals bezahlt wurde. Liberty Global trennt sich von Bereichen, die nicht unmittelbar zum Kerngeschäft zählen und/oder innerhalb des Konzerns als wenig zukunftsträchtig bewertet wurden. Eine Win-win-Situation also. Tatsächlich hätte Colao wohl auch tiefer in die Tasche gegriffen, denn mit den Kunden von Unitymedia kann Vodafone seine Netzaktivitäten auf Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg ausweiten — bislang die einzigen weißen Flecken in Vodafones Deutschlandkarte.
Vodafone verfügt wie die Deutsche Telekom über eine eigene Infrastruktur für Festnetz- und Mobilfunkangebote und seit dem Kauf von Kabel Deutschland über ein Kabelnetz. Über dieses lassen sich Daten schneller übertragen als über die Kupferkabel der Telekom. Bei den Breitbandkunden kommen die Briten zukünftig auf sieben Millionen, bei den TV-Kunden sind es 14 Millionen. Zum Vergleich: Die Telekom versorgt 13 Millionen Breitbandkunden, aber nur 3,2 Millionen TV-Zuschauer. Wie groß die Sorge bei der Deutschen Telekom ist, zeigt sich an der Reaktion von Telekom-Boss Tim Höttges, der den geplanten Deal als „wettbewerbsverzerrend“ bezeichnete und Widerstand ankündigte. „Deutschland wird von einem Anbieter dominiert, der mehr als 50 Prozent des Breitbandmarktes kontrolliert“, stellte Liberty-Global-Boss Mike Fries klar und sieht durch den Deal eine Chance auf mehr Wettbewerb.
Durch die Übernahme von Unitymedia erhofft sich Vodafone eine Reihe von Vorteilen. Während die Wechselrate bei reinen Mobilfunkkunden bei 16 Prozent liegt, beträgt sie bei kombinierten (Converged) Angeboten nur die Hälfte. Vodafone dürfte zudem mit einem höheren jährlichen Umsatz je Kunde (ARPA) rechnen, wobei Morgan Stanley hier von plus 20 Euro/Kunde ausgeht. Einen dicken Brocken machen zudem Synergieeffekte aus. Vodafone selbst rechnet mit Kosteneinsparungen von 535 Millionen Euro. Ein Punkt, der ebenfalls für den Kauf spricht: Unitymedias solides Wachstum. Beim Umsatz beträgt das CAGR (2 Jahre) für 2017 4,6 Prozent, beim EBITDA 5,6 Prozent.
Vodafone-Aktie unter Druck
Insgesamt bringt es Vodafone/Unitymedia mit seinem Netz auf einen adressierbaren Markt von 24,7 Millionen Haushalten. Für die britischen Eroberer bedeutet das: jede Menge Luft nach oben. Dass die Aktie von Vodafone auf die Ankündigung dennoch nicht mit einem Freudensprung reagierte, sondern zweitweise um rund vier Prozent im Wert abrutschte, ist nachvollziehbar — trotz der besser als erwarteten Quartalszahlen, die der Konzern am Montag vorlegte. Erst einmal dürften viele Anleger Vittorio Colao hinterhertrauern, der aus dem Flickenteppich von einst einen durchstrukturierten Telekom-Riesen mit klarem Fokus gezimmert hat. Colao war bei den Anlegern für seinen unaufgeregten Führungsstil und die transparente Kommunikation beliebt. Dass es der scheidende Konzernchef seit dem Amtsantritt auf eine Rendite von 4,4 Prozent p.a. bringt, wurde ihm ebenfalls positiv angerechnet, selbst wenn es Telekom-Aktien gab, mit denen Anleger besser gefahren wären. Nick Read muss mit der Abwicklung des Deals zeigen, dass die Fußstapfen seines Vorgängers nicht zu groß für ihn sind. Denn eines ist klar: Der Deal ist kein Vodafone Selbstläufer. Die EU-Wettbewerbshüter werden die Details auseinandernehmen und abwägen, ob die Übernahme tatsächlich mehr oder — wie Telekom-Chef Höttges befürchtet — weniger Wahlfreiheit für die Kunden bedeutet. Read ist allerdings seit mehr als 15 Jahren im Konzern und wird in seiner jetzigen Funktion als Finanzchef die richtigen Kontakte geknüpft haben, um zu wissen, wo er welche Knöpfe drücken muss, um Colaos Vermächtnis zu bewahren. In der Zwischenzeit gilt es, die Anleger zu überzeugen, dass sie auch über 2018 hinaus mit ähnlich attraktiven Ausschüttungen rechnen können wie unter dem scheidenden Chef. Zuletzt betrug die 12-Monats-Rendite 6,6 Prozent.
Top-Player auf Angriffskurs
Vodafone bietet durch die geplante Übernahme von Unitymedia eine solide Wachstumsstory im europäischen Telekom-Markt. Die Aktie ist mit einem KGV von 20 nicht zu teuer und mit einer Dividendenrendite von 6,6 Prozent attraktiv. Die Schwächephase bietet einen interessanten Einstieg für Anleger.