Früher oder später können Finanzanlagenvermittler vor dem Kürzel ETF nicht mehr die Augen verschließen. „Die Vogel-Strauß-Politik mache ich nicht mehr mit“, ist von Vertretern dieser Berufsgruppe zu hören. Honorar-Finanzanlageberater haben längst ihre Scheu abgelegt. Sie setzen die preisgünstigen Sondervermögen verstärkt als Baustein im Kapitalanlageportfolio ihrer Mandanten ein. Die Hinwendung überrascht nicht.
Erstens müssen inzwischen die Provisionen der teuren, weil aktiv verwalteten Investmentfonds offengelegt werden, was Vermittler gegenüber ihren Kunden zuweilen in Erklärungsnot bringt. Die niedrigen Gebühren für Exchange Traded Funds (ETFs) wirken positiv auf deren Rendite, weshalb sie auf Dauer oft besser abschneiden als Fonds mit Management. Und zweitens entfaltet der ETF-Markt selbst eine starke Anziehungskraft. Medien berichten über den Boom, was auf Interesse stößt und weiteres Kapital anlockt. So erreichte das verwaltete Vermögen des europäischen Marktes für ETFs Ende 2017 ein Volumen von 635 Milliarden Euro.
AUCH FÜR SPARPLÄNE
Nach den Banken und Versicherern investieren zunehmend Anleger mit kleinem Geldbeutel in börsengehandelte Indexfonds. „Bisher beträgt der Anteil von Profi-Investoren rund 80 bis 85 Prozent. Doch entdecken immer mehr Privatanleger ETFS und deren Vorzüge bei der Geldanlage, nicht zuletzt auch über Sparpläne“, sagt Thomas Meyer zu Drewer, Head of ComStage ETF. Meyer ist davon überzeugt, dass ETFS „an Bedeutung gewinnen“. Von einem Angestellten eines ETF-Anbieters ist vermutlich nichts anderes zu erwarten. Aber auch Wissenschaftler machen sich für Indexfonds stark. So kontert Lutz Johanning, Professor an der WHU — Otto Beisheim School of Management, das geläufige Argument gegen ETFs, sie würden Abwärtstrends verstärken, nüchtern so: „Die Anstiege der Volatilität bei Kursrückgängen sind eine Folge gleichgerichteten Verhaltens der Anleger, nämlich prozyklisch zu verkaufen. Da ist es egal, ob die Anleger ETFs, aktive Fonds oder Aktien halten und dann panisch verkaufen. Dieser Effekt hat nichts mit dem Produkt an sich zu tun.“
MARKTANTEIL WEITERHIN BESCHEIDEN
Eine weiterer Einwand gegen Passivfonds, deren Anlageziel es ist, die Wertentwicklung eines Börsenindex präzise abzubilden, ist ihr Wachstum. Laut einer Statistik der Deutschen Bank werden weltweit vier Billionen US-Dollar in ETFS verwaltet. Wirtschaftsprüfer halten es für möglich, dass sich das Volumen bis 2021 verdoppeln könnte. Kritiker sehen hier ein Systemrisiko heraufziehen. So müssen ETFS das hereinströmende Geld immer in die Indexwerte investieren. Anders als aktive Fonds kennen sie keine Liquiditätshaltung. Das sei mit ein Grund, weshalb die Aktienkurse von Tech-Giganten wie Apple und Facebook auf gefährliche Weise aufgebläht seien. Dem hält Johanning entgegen, „dass der Anteilbesitz von ETFS an europäischen Aktien im August 2017 nur bei 4,5 Prozent lag. Dieser Wert deutet nicht darauf hin, dass der ETF-Markt zu groß ist. “ Im Weltmaßstab dürfte die Relation ähnlich sein. Ergo: Vor allem aktive Vermögensverwalter investieren in großem Stil in diese Werte. Im Übrigen werde die Philosophie der Passivprodukte nicht blind nach dem Gießkannenprinzip, sondern „semi-aktiv“ umgesetzt, wie der Professor meint. Denn: „Wenn ein Unternehmen in einen Index aufgenommen wird, so muss es sehr erfolgreich gewesen sein. Aktive Anleger haben dieser Gesellschaft zuvor Kapital zur Verfügung gestellt und damit die erfolgreiche Entwicklung finanziert. ETF-Anleger setzen auf eine Fortsetzung. Sollte diese Erwartung nicht eintreffen, so fällt das Unternehmen wieder aus dem Index und damit aus der ETF-Anlage heraus.“ Um eine Vorstellung zu bekommen, was „semi-aktiv“ bedeutet: Die Deutsche Börse überprüft die Zusammensetzung des DAX regulär jährlich im September. Nur bei signifikanten Veränderungen an den Märkten — zum Beispiel eine Übernahme — gibt es vierteljährlich die Option eines Fast-Entry beziehungsweise Fast-Exit.
IDEALE ERGÄNZUNG
Insgesamt spricht viel für eine Fortsetzung des ETF-Booms. Hier werden Fakten geschaffen, denen sich Vermittler nicht verschließen sollten. Und wen es mit Blick auf die Vergütung tröstet: Aktive und passive Anlagen schließen sich nicht aus, sie dürften sich vielmehr ergänzen. Zum Beispiel ETFS für ein Kernportfolio und aktive Fonds zum Teil im Kern oder als besonders chancenreicher Satellit.