Potsdam. Trommelwirbel im Thronsaal. Eine Chinesin im exotischen Gewand schlägt die Stöcke, und acht Weise betreten diesen Teil des Kaiserpalasts. Mit bunten Hüten, spitzen Bärten und langen Haarzöpfen. „Fragt sie, was immer ihr wollt! “ werden die beiden Ausländer aufgefordert.
„Also, erstens, wo liegt diese Drachenstadt?“, will Lukas der Lokomotivführer wissen. „Und zweitens, wie kommt man dorthin? „, fällt ihm Jim Knopf dann ins Wort. Marlene-Dietrich-Halle in Babelsberg, Anfang Oktober 2016. Im größten deutschen Filmstudio entsteht die Leinwandadaption des legendären Kinderbuchs „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, die mit einem Budget von 25 Millionen Euro teuerste deutschsprachige Kino-produktion aller Zeiten.
Die Massenszenen in der asiatischen Fantasiestadt Mandala sind bereits im Kasten, neben den Kulissen des Ratssaals steht noch das riesige Eingangstor zum Kaiserreich mit mächtiger Treppe. „Gestern haben wir hier noch mit 150 Komparsen gedreht“, erzählt Produzent Christian Becker. Die werden dann digital sogar noch vervielfältigt.
Heute geht es etwas intimer zu. Henning Baum, Darsteller des Lukas mit dunklem Bart und gemütlichem Bäuchlein, hat die Lokomotivführermütze abgelegt und agiert hinter der Kamera. Er dient nur als Ansprechpartner für die acht Weisen, genauso wie Jim Knopf, dessen Dialoge allerdings von einer jungen Frau eingesprochen werden. Jim-Darsteller Solomon Gordon, damals zehn, darf als Kind nur maximal vier Stunden drehen und hat an diesem Nachmittag bereits sein Limit erreicht. Und dann machen sie sich wieder auf den Weg: Lukas, Jim und ihre Emma, die menschelnde Lok. Auf diesen Abenteuertrip, den Becker beschreibt als „herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Mut und die Suche nach der eigenen Identität“.
Eine Reise, die sie von Lummerland über Mandala, die rot-weiß gestreiften Berge, das Tal der Dämmerung und die weiße Wüste ins Land der 1000 Vulkane führt — dorthin, wo der Halbdrache Nepomuk wohnt und die Drachenlady Frau Mahlzahn herrscht. Und wo Prinzessin Li.
Jetzt also Szene 52. Die Gelehrten, deren Auftritt mit dem Ausrollen ihrer Schriftstücke von oben gesehen wie ein Mandala inszeniert wird, geben den beiden Helden Hinweise, wie und wo man die entführte Prinzessin Li Si finden könnte — in äußerst blumiger Weise, versteht sich. „Danke für die Früchte eurer Weisheit, oh Büsche der Gelehrsamkeit“ , sagt Lukas und vemeigt sich vor ihnen. „Blüten!“ ,schallt es von den acht indigniert zurück. Sie gefangen gehalten wird und sich das Geheimnis um die Herkunft des Findelkinds Jim lüften könnte.
Aber es ist ein kurzer Weg im Vergleich zur Herstellungsgeschichte des Films: 17 Jahre ist es her, dass die Idee dazu geboren wurde — in der Münchner WG von Becker. Er und der Regisseur Sebastian Niemann verfolgten anfangs das Projekt, „alle wollten damals das Buch machen“, erinnert sich der Produzent. Die Romane von Michael Ende kamen auf eine Weltauflage von etwa 25 Millionen, und die Leinwandversionen mit seiner „Unendlichen Geschichte“ und „Momo“ waren Kinohits.
Mit einem 150-seitigen Booklet versuchten sie, Endes Erben zu überzeugen, die die Filmrechte bis dahin nicht vergeben wollten. Und natürlich dachte man groß, wollte englisch für den internationalen Markt drehen. Mit John Goodman, Kevin James, Robbie Coltrane oder Gérard Depardieu als Lukas, bei Jim hatte man mal Will Smiths Sohn Jaden im Sinn.
2012 inszenierte dann Dennis Gansel, der als neuer Regisseur dazugestoßen war, in Australien mit Shirley MacLaine die Takes von Frau Mahlzahn — um nach ihrer Mimik die Drachenfigur am Computer zu animieren. In der Zwischenzeit war aber die Constantin, zu der Beckers Firma Rat Pack mehrheitlich gehört, abgesprungen, weil ihr das Projekt zu teuer wurde. „Leider kam nie der Milliardär, der als Kind begeistert ,Jim Knopf‘ gelesen hat und mir zehn oder 20 Millionen Euro für den Film gab“, erinnert sich Christian Becker. Er musste weiter Finanziers suchen.
Neben vielen anderen Interessenten standen auch mal chinesische Investoren auf dem Plan, schließlich spielt ein Teil der Handlung ja im femöstlichen Reich Mandala. Aber nach kurzer Tuchfühlung überwog das Gefühl, beim Dreh dort über den Tisch gezogen zu werden. „ Und die Chinesen fragten auch: ,Warum ist der Junge denn schwarz?‘ J‘ , sagt Becker kopfschüttelnd. „Es gibt eine von Ende nicht autorisierte TV-Serie, da ist Jim Knopf ein Manga-Held, der Superkräfte bekommt. “ Hollywood bereitete ebenfalls Probleme: „Die Amis sagten dann auch: ,Könnte Jim nicht weiß sein?‘ Und schließlich wurde noch die Frage aufgeworfen, was eigentlich ein dicker, alter, schwitzender Mann mit einem kleinen Jungen in einer engen Lok treibt“ , erzählt der „Wickie“und „Fack ju Göhte“-Produzent. „Ich glaube, kein Mensch in Deutschland wäre je auf die Idee gekommen, da auch ein pädophiles Motiv zu vermuten! Und hat der Autor Drogen genommen? Da gibt es ein rot-weiß gestreiftes Gebirge, einen sprechenden Halbdrachen, der von einem Nilpferd gezeugt wurde, und am Schluss gebärt eine Stahllok eine kleine Lok. Bei uns fragt keiner so was, da lassen sich alle davon verzaubern. “
Die Zeichen standen also auf retour — zumal sich mit der deutschen Dependance von Warner Bros. ein neuer, potenter Co-Produzent dazugesellte, der ebenfalls für eine deutschsprachige Version plädierte. Deren Boss Willi Geike hatte bereits als großer „Knopf“ -Fan Mitte der neunziger Jahre versucht, an die Filmrechte zu kommen.
Und so verwandelte sich Shirley MacLaines Stimme in die ihrer Synchronsprecherin Judy Winter; so wurde Solomon Gordon, der Jim-Darsteller, der erst in England zu finden war, deutsch synchronisiert. Die Vorlage wurde zum obersten Plimat, der Film hauptsächlich eine Studioproduktion — in Babelsberg und bei der Bavaria, mit einem Abstecher nach Südafrika. Sechs Millionen Euro flossen allein in die Ausstattung, 7,5 in die Computereffekte, die fünf deutsche CGI-Firmen fabrizierten.
„Die arbeiten natürlich alle auch für Hollywood“, sagt Regisseur Gansel, der zuletzt das „Mechanic “ -Sequel mit Jason Statham inszeniert hat. „Spannend, wenn man bedenkt, dass da zugleich an Filmen wie, Black Panther‘ gearbeitet wird.“
Für ihn war die größte Herausforderung, „das Ding nicht zu versauen — und gleichzeitig den Fans gerecht zu werden, die sofort in den sozialen Medien beklagen werden, wenn etwas nicht stimmt. „Wo steht denn das ist die prompte Reaktion auf Änderungen, die aus bestimmten Gründen unumgänglich sind“, skizziert Gansel das Kemproblem von Literaturadaptionen, das hier besonders prekär war.
Umso nervöser fiebern die Macher auf den Start der teuersten deutschsprachigen Produktion hin. Im Sommer gab es noch auf Anregung von Geike einen Nachdreh, um am Ende die Heimkehr von Jim nach Lummerland emotional mehr aufzuladen.
Nun also, Magie frei und volle Rührung voraus, geht es ins Kino, am 29. März. So an die drei Millionen Zuschauer müssten gewonnen werden – schließlich gibt’s auch noch einen zweiten Buchteil. Und es soll ja nicht wieder 17 Jahre bis zu einer Verfilmung dauern.