Ingolstadt.
Als eine Art Markenbotschafter könnte man ihn bezeichnen, den skurrilen Briten, der mittlerweile in den USA fest verwurzelt ist und die Marke Porsche zu einem lebenden Snonym für Leidenschaft und Verehrung hochstilisiert hat. Das lebt er und das zeigt er, nicht nur mit seinen 40 Porsche-Modellen, die er in seiner Werkshalle in L.A. ausstellt. Auch der deutsche Mutterkonzern in Zuffenhausen nutzt seine weltweite Beliebtheit für Werbeauftritte und Porsche-Promotions.
Der Gegensatz könnte kaum größer sein. Gerade noch besang der Altländer Shanty-Chor die „Rrrreeeeperbahn nachts um halb eins“, dann kommt er auf die Bühne: Magnus Walker, 50, Modedesigner und Porschesammler aus Los Angeles. Und setzt mit Rocker-Outfit, langem Bart und Rastalocken, die unter einer Lederkappe hervorquellen, einen optischen Kontrapunkt zu den norddeutschen Seemannsdarstellern mit Matrosenhemden und akkurat gestutzten Kinnbärten.
Solche Grenzüberschreitungen sind Konzept beim Hamburger OMR Festival, dem Treffen der „Online Marketing Rockstars“. Ende März diskutierten dort rund 40 000 Teilnehmer über Werbung und Vermarktung im Digitalzeitalter. Die Branche verwischt immer mal wieder die Grenzen zwischen Information und Werbung. Der Gast aus Kalifornien, angekündigt als „personal brand“, als jemand also, der selbst zur Marke wurde, ist einer der Stars des Festivals. Jeder hier hat zumindest schon mal gehört, dass der Mann mit der ausufernden Haar- und Tattoopracht eine millionenschwere Porsche-Kollektion besitzt. Wie hat er das geschafft?
So füllt sich die Halle vor der „Big Picture“-Bühne rasch, als Walker zum Vortrag anhebt. Es ist im Wesentlichen eine Kurzfassung seiner Biografie, garniert mit eingängigen Botschaften: „Freiheit ist, das zu tun, was man tun möchte“, oder „Man muss aus jedem Moment das Beste machen, weil man ja nie weiß, was passiert“, oder auch „Folge deinem Bauchgefühl“. Simple Weisheiten — die Walker weltweite Popularität einbrachten. Sein Aussehen ist sein Markenzeichen, unverkennbar untermauert er damit seinen Status als Rebell, als „Urban Outlaw“ (etwa: Gesetzloser in der Stadt).Vor 35 Jahren hätten ihm „die Leute gesagt, schneid dir die Haare und such dir einen anständigen Job“, erzählt Walker im Gespräch in Hamburg, „heute habe ich mir die Haare immer noch nicht geschnitten, und ich habe noch immer keinen anständigen Job.“ Und während er das sagt, zeigt sich ein spitzbübisches Lächeln unter all den Haaren.
Seine Lebensgeschichte hat Walker in einem Buch* aufgeschrieben, das jetzt auf Deutsch erschienen ist: eine nahezu märchenhafte Erfolgsstory, mit einem Helden, der gleichsam ziellos seinem Glück entgegenstolpert — wie der „Taugenichts“ aus Eichendorffs Novelle. „Wenn man mich fragt, wo ich mich in zehn Jahren sehe, sage ich immer, ich weiß nicht mal, wo ich morgen bin“, ist Walkers Lebensmotto.
Er wuchs auf in der englischen Industriestadt Sheffield, in einer „typischen Arbeiterklassen-Familie“. Geld, sagt er, sei „immer knapp“ gewesen. Der junge Walker begeisterte sich für Querfeldeinläufe, die Schule verließ er ohne Abschluss, später reiste er mit der Sozialorganisation „Camp America“ in ein Sommerlager für „unterprivilegierte Kinder“ in die USA nach Detroit. Dort habe er beschlossen, nie wieder nach Sheffield zurückzukehren: „Ich blicke nie zurück, immer nur nach vorn.“ Der Rockfan, der für Bands wie Guns N’Roses und Mötley Crüe schwärmt, Iandet in seiner Traumstadt Los Angeles. Er schlägt sich mehr schlecht als recht durch, bis er eher zufällig auf eine Goldmine stößt: Walker kauft massenhaft alte, getragene Jeans, näht in Handarbeit selbst entworfene Sticker drauf und verkauft sie für teures Geld weiter. Das Geschäft entwickelt sich so prächtig, dass er zusammen mit seiner späteren Frau Karen das Label „Serious“ gründet. Bald gehören sie zu den angesagtesten Designern der Stadt. Stars wie Alice Cooper, Chris Isaak oder Gwen Stefani sind ihre Aushängeschilder. Das „Dreamteam“ (Walker) trifft wenig später eine weitere Schicksalsentscheidung. Sie kaufen ein altes Lagerhaus in einer verrufenen Gegend in Los Angeles. Es sei eine „desolate Landschaft leer stehender Industriegebäude“ gewesen, sagt er, „Obdachlose hausten unter Brücken, Prostituierte boten sich den Truckern an“.
Inzwischen ist die Gegend ein Treffpunkt der Kunst- und Musikszene, mit schicken Läden, Restaurants und Lofts. Als Immobilienbesitzer profitierten die Walkers nun doppelt: Nicht nur, dass sich der Wert des alten Backsteingemäuers in kurzer Zeit vervielfachte, es wurde zum Geheimtipp unter Filmcrews auf der Suche nach pittoresken Drehorten. So wurden die Modedesigner zu Filmlocation-Vermietern, wiederum fast zufällig. An mehr als 100 Tagen im Jahr wird das Loft nun zur Kulisse für Krimis, MusikClips, Werbespots oder Realityshows wie „America’s Next Top Model“. Das Geschäft boomt derart, dass es Walkers größte Leidenschaft finanziert: Porsche. Er liebt vor allem die alten Modelle. „Porsche“, sagt er in vollem Ernst, „ist für mich wie Religion.“ „So um die 40″ Autos seien es zurzeit, praktischerweise fänden sie alle Platz in seinem Lagerhaus. Seltene Modelle sind dabei, wie einer der ersten 911 von 1964 und einer der sogenannten Ur-Turbos aus den 1970er Jahren, die er zum perfekten Originalzustand restaurierte. Gefeiert aber wird Walker, weil er viele seiner Sammlerobjekte im „Urban Outlaw“-Stil umbaut, als kämen sie gerade von der Rennstrecke: Streifendekor, tiefergelegtes Fahrwerk, veränderte Stoßstangen, Leuchten und Felgen. Normalerweise gilt es als Sakrileg, wenn sich jemand an der Ikone 911 vergreift, bei Walker jedoch sorgt genau das für geradezu kultische Verehrung in der Fangemeinde. „Jeder spürt doch ein bisschen den Rebellen in sich“, ist seine Erklärung.
Auf seiner Tour im März kommt er den deutschen Fans ganz nah. Zur Buchpräsentation im Hamburger Prototyp-Museum fahren viele Gäste im Porsche vor, nicht wenige ziert „Urban Outlaw“-Dekor. Etwa 300 Bücher wird Walker an diesem Abend mit einer geradezu bewunderungswürdigen Geduld signieren. „Es ist beeindruckend, mit welcher Hingabe er sich um die Fans kümmert“, meint Oliver Schmidt, einer der beiden Gründer des Museums, „Das ist authentisch, man spürt echte Leidenschaft.“ Auch bei Porsche weiß man längst, wie wertvoll der schrille und zugleich sympathische Markenbotschafter ist. Über die Art der Geschäftsbeziehung geben weder er noch das Unternehmen genau Auskunft. „Sie laden mich ein zu Veranstaltungen“, erläutert Walker, „und dann gehe ich dorthin.“ So könne er „all die heiligen Stätten besuchen“, zum Beispiel „Zuffenhausen oder den Nürburgring“. Daneben pflegt der rührige Selfmademan offensichtlich mit Mineralölfirmen und Zubehörherstellern gute Kontakte. Jedenfalls sind deren Logos auffallend oft in seinen Videos zu sehen. Auch auf dem Hamburger OMR Festival vergisst er nicht, die Produkte zu preisen. Das passt zum Programmpunkt, unter dem er auftritt: Influencer Marketing. So kommen Geschäft und Leidenschaft zusammen. Er habe „viel Glück“ gehabt, sagt Magnus Walker, Erfolg aber sei nicht nur Glückssache: „Wir haben jahrelang geschuftet wie die Verrückten.“ Die dunkelsten Tage erlebte er im Oktober 2015, als seine Frau überraschend starb. Über die Ursache möchte er nicht reden, er sagt nur, er trauere noch immer. Seit Karens Tod sei er „wieder auf einer Reise, von der ich nicht weiß, wohin sie mich führt“. Ein Urban Outlaw lässt sich nicht unterkriegen.