Paris. In Frankreich ist Mitterrand — Präsident von 1981 bis 1995 — längst zum Mythos geworden, und auch diesseits des Rheins genießt er hohes Ansehen. Er trieb gemeinsam mit Kanzler Helmut Kohl die deutsch-französische Aussöhnung voran; er stimmte, wenn auch nach einigem Zögern, der Einheit zu und zählte zu den Gründern des Euro. Nahm der Franzose illegale Gelder von Saddam Hussein an, der 1974 offiziell die Nummer zwei des Regimes war, doch bereits in Bagdad dominierte? Er glaube nicht, dass „es auch nur eine Partei in Frankreich gegeben hat, die nicht von irakischen Zahlungen profitiert hat“, sagt ein ehemaliger Funktionär der Sozialisten über die alten Zeiten.
Und die Vermutung liegt nahe, dass die illegalen Parteispenden ein Grund dafür waren, dass Mitterrand als Präsident den irakischen Kriegsverbrecher unterstützte wie kaum ein anderer westlicher Staats und Regierungschef. In der Opposition hatte Mitterrand Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten noch scharf kritisiert. Kaum war er 1981 in den Élysée-Palast eingezogen, änderte er seine Haltung. Er lieferte Saddam während des irakisch-iranischen Kriegs so viele Waffen, dass Experten von »gemeinsamer Kriegführung« durch Bagdad und Paris sprechen. Am Ende stammte ein Viertel der irakischen Bestände aus Frankreich — obwohl Saddam viele Rechnungen nicht bezahlte. Trotzdem bekam er immer wieder Nachschub.
Bislang gingen Experten davon aus, dass andere Motive ausschlaggebend waren: der Wunsch, den iranischen Fundamentalismus zu stoppen, und das Interesse am irakischen Öl. Die französischen Parteien waren sich einig, den Irak zu unterstützen. Mögliche Parteispenden spielten als Erklärung für das Verhalten Mitterrands bislang keine Rolle. Dieser nahm es sogar hin, dass Saddam die irakischen Kurden verfolgte und mit Giftgas angriff. Mitterrands Ehefrau Danielle, eine engagierte prokurdische Aktivistin, stellte ihren Mann deshalb zur Rede: „Francois, warum tust du das? Warum verkaufst du ihm Waffen?« Der Staatschef entgegnete matt: „Wenn Frankreich nicht liefert, dann liefert jemand anderes, und Frankreich geht leer aus.“
Als Saddam 1990 Kuwait überfiel und der Westen drohte, zu den Waffen zu greifen, um das Emirat zu befreien, versuchte Mitterrand mit immer neuen diplomatischen Initiativen, den Feldzug zu verhindern. Bei Mitterrand gebe es in Sachen Saddam eine »schwer verdauliche Doppelbödigkeit«, befand selbst Willy Brandt, der Mitterrand eigentlich schätzte.
Der Korruptionsverdacht kann nicht überraschen. Bestechung ist ein Markenzeichen der Fünften Republik, erst kürzlich wurde Ex-Präsident Nicolas Sarkozy angeklagt, weil er im Verdacht steht, von Libyens damaligem Diktator Muammar al-Gaddafi Gelder genommen zu haben. Auch gegen Mitarbeiter Mitterrands gab es Korruptionsverfahren, einer seiner Söhne wurde verurteilt. Immerhin nahm Mitterrand 1991 schließlich doch am Zweiten Golfkrieg teil, mit dem eine US-geführte Allianz den Aggressor Saddam aus Kuwait vertrieb. Wie es auf deutscher Seite 1974 weiterging, ist ungeklärt. Kanzleramtschef Grabert wollte Finanzminister Helmut Schmidt, den angehenden Kanzler, über die BND-Meldung informieren. Es war bekannt, dass Schmidt mit Giscard, dem Mitterrand-Konkurrenten, befreundet war. Grabert hoffte, Bonn könne „einen gewissen Nutzen nach einem möglichen Wahlsieg Giscards aus dem Vorgang“ ziehen — also sich das Wohlwollen eines Präsidenten Giscard sichern, indem man ihn über die Machenschaften seines sozialistischen Widersachers informierte. Ob das geschah, ist offen.