München. Damit ein Versicherer nicht nur Kunden, sondern auch die eigenen Vertriebsleute gegen sich aufbringt, muss er es schon bunt treiben. Der WWK Lebensversicherung in München ist dieses Kunststück gelungen. Zum Jahreswechsel senkte die Gesellschaft ihre Überschüsse für Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Prompt schnellten die Beiträge der Kunden nach oben um bis zu 40 Prozent. Statt 80 Euro werden ihnen monatlich nun zum Beispiel 110 Euro abgebucht. Aufs Jahr gerechnet macht dies oft einige Hundert Euro mehr.
Bis dato waren sich wahrscheinlich viele Versicherte gar nicht bewusst, dass ihnen solch ein drastischer Preisanstieg drohen kann. Doch Experten der Ratingagentur Assekurata in Köln warnen schon länger vor möglichen Beitragsaufschlägen wegen versiegender Überschüsse.
Im Fall der WWK hadern auch Vertriebe mit der Zentrale. Die Preiserhöhung im Hauruckverfahren hatte viele Makler kalt erwischt, weil die Gesellschaft — anders als üblich – vorab nicht oder zu spät informierte. Schlimmer noch ärgerte die Vertriebsleute, dass es bereits zum zweiten Mal schlecht lief. Schon 2016 wurden die Beiträge massiv erhöht, auch damals fühlten sich die Betreuer außen vor. Der Markt bestehe nicht aus „willenlosen Lemmingen“, beschwerte sich Oliver Drewes vom Maklerverbund Maxpool öffentlich bei den WWK-Vorständen.
Mit seiner rigiden Preis- und Kommunikationspolitik hat der Verherer viel Vertrauen verspielt.
Makler Drewes wirft der WWK vor, Kunden und Verkäufer mit günstigen Preisen „offenbar bewusst getäuscht“ zu haben. Sie habe doch bereits vor zwei Jahren gewusst, dass eine weitere Preisrunde bevorstehe, klagte er und reichte bei der Aufsichtsbehörde Bafin sogar Beschwerde ein. Die WWK war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Verlockende Rabatte warten auf Kunden
Im scharfen Preiskampf bei Policen gegen die Berufsunfähigkeit (BU) hatte sich die WWK oft mit sehr günstigen Prämien für Akademiker an die Spitze von Produktvergleichen geschoben – und entsprechend Geschäft eingefahren. Dabei halfen ihr die Regeln zur Beitragsberechnung: Die Versicherer kalkulieren einen Bruttobeitrag, der aber mit einem Sofortrabatt auf einen Nettobeitrag reduziert wird. Dieser Rabatt speist sich aus den Überschüssen — zumindest solange die Versicherung welche macht. Sinken die Überschüsse, steigt der fällige Beitrag, maximal bis zur Höhe des Bruttobeitrags.
Die Schadenseite bietet weitere Chancen für eine aggressive Preispolitik. Wer etwa frohen Mutes optimistische Annahmen zum künftigen Schadenverlauf trifft, kann auch damit die Nettoprämie drücken — und den Preis so erst mal ins Schaufenster stellen. Im Notfall sichert ein hoher Bruttowert den Spielraum für Erhöhungen ab. Der Kunde zahlt.
Tatsächlich stehen viele Lebensversicherer, die den Schutz bei Berufsunfähigkeit anbieten, enorm unter Druck. Die Zinsflaute macht es ihnen immer schwerer, ordentliche Überschüsse zu erwirtschaften, die sie brauchen, um günstige Beiträge ausweisen zu können. Werden zudem mehr Leistungsfälle gemeldet als gedacht, steigt der Druck auf die Prämien noch weiter.
Was der Grund für die Preissteigerungen der WWK ist, lässt sich von außen kaum ermitteln. Preisgünstig war bei der WWK jedenfalls nur der Nettobeitrag. Anders sah es dann bei der Bruttoprämie aus. Sie lag in einem Tarifbeispiel für Juristen aus dem Jahr 2014 mehr als 100 Prozent über der Nettoprämie — und damit beunruhigend hoch.
Schon in der Vergangenheit gab es immer mal wieder Fälle von steigenden Beiträgen. Das fiel wegen geringer Summen aber nicht so auf. Vorab informiert wird über dieses Risiko meist mehr schlecht als recht. Naturgemäß reden Vertreter nicht gern über mögliche Preisanhebungen, wenn sie einen neuen Vertrag an Land ziehen wollen. So liegt es bei den Kunden, sich über das Kostenrisiko gründlich zu informieren.
Die Spanne zwischen brutto und netto unterscheidet sich je nach Anbieter und Vertrag. Beispiel BU: Für eine monatliche Rente von 1000 Euro verlangt die Iduna von 30-jährigen Architekten laut Analysehaus Morgen & Morgen monatlich 41 Euro (netto). Sie behält sich aber vor, den Betrag auf bis zu 83 Euro (brutto) zu verdoppeln. Im Mittel der ausgewerteten Angebote lag der maximal mögliche Prämienaufschlag bei knapp 50 Prozent – so auch bei den neuen Tarifen der WWK.
Nicht gleich Wechseln!
Nicht weniger gefährlich ist allerdings, dass einige Anbieter jetzt enttäuschte Versicherte umwerben und zu einem Wechsel animieren wollen. Gerade bei WWK-Kunden sind sie aktuell mit großen „Sonderaktionen“ auf Werbetour und locken mit allerhand Erleichterungen: Mal ist es der Verzicht auf neue Vertragsfristen (Nürnberger), mal sind es vereinfachte Gesundheitsfragen (Stuttgarter). Die LV 1871 wirbt sogar, bei Paketen ab 15 Policen verzichte sie ganz auf den Gesundheitscheck — als eine Art Mengenrabatt.
Während die Vermittler an solchen Umdeckungen ordentlich verdienen, sollten Kunden höllisch aufpassen: Experten wie Versicherungsberater Stefan Albers warnen eindringlich davor, erneut dem Lockruf günstiger Prämien zu folgen: „Ein Wechsel des BU-Schutzes ist aus Kundensicht – abgesehen von wenigen Ausnahmen — blanker Unfug.“ Die Nachteile eines Umstiegs seien schwer zu überblicken. Und ob der neue Anbieter im nächsten Jahr dann nicht auch die Prämien anhebt, sei ebenfalls nicht ausgemacht.
Aus der Sicht von Albers wiegen die Nachteile schwer: Oft habe sich in der Zwischenzeit der Gesundheitszustand der Kunden verschlechtert, zudem würden die heiklen Fristen für die Anzeigepflichten wieder von vorn beginnen.
Wer dennoch wechseln will, sollte schrittweise vorgehen und zunächst prüfen, ob der Markt tatsächlich bessere Angebote bei Preisen und Leistungen bietet, rät Albers. Immerhin zählen die BU-Konditionen der WWK laut Analysehaus Morgen & Morgen seit Langem zu den besten am Markt. Zudem sollten Versicherte vorab klären, ob Gesundheitszustand oder neue Hobbys einen Wechsel überhaupt zulassen. Auch sollte man beim neuen Anbieter die Brutto-Netto-Spanne frühzeitig ausloten.
Der wichtigste Tipp für Wechsler ist aber denkbar einfach: Niemals den alten Vertrag kündigen, bevor ein neuer Kontrakt zu Hause liegt.
De facto muss sich die große Mehrheit der WWK-Versicherten den Kopf darüber auch gar nicht zerbrechen. Denn deren Konkurrenten wildern nur unter Jungen und Kerngesunden. So gelten die aktuellen Aktionen lediglich für Kunden, die maximal seit drei bis fünf Jahren versichert sind. Ältere Versicherte sind außen vor. Die Continentale begründet die Einschränkung damit, nur so Änderungen beim Gesundheitszustand verlässlich prüfen zu können.
Welche Versicherer bei ihren Abwerbeaktionen ebenfalls eine aggressive Preispolitik fahren und damit potenzielle Erhöhungen riskieren, lässt sich kaum vorhersagen. Wenn Brutto- und Nettobeitrag im Berufsunfähigkeitsschutz um weit mehr als 70 Prozent auseinanderklaffen, ist das aber kein gutes Zeichen. Dann fehlt dem Versicherer selbst das Zutrauen in den fälligen Beitrag, den er in Aussicht stellt.
Trotz der Gefahr steigender Risikobeiträge machen Onlineportale wie Check24 den Zahlbeitrag immer noch zum Maß. Der mögliche Maximalwert wird teils gar nicht ausgewiesen, teils müssen Nutzer ihn mühselig suchen. Schon im eigenen Interesse achten findige Kunden deshalb konsequent auf beide Prämienangaben, brutto und netto. Als Faustregel gilt: Bei gleich guten Konditionen und ähnlichem Zahlbeitrag bevorzugen sie das Angebot mit dem niedrigsten Bruttobeitrag. Damit zahlen sie zwar kurzfristig vielleicht mehr. Doch langfristig sind sie auf der sicheren Seite.