Washington. Das Haus von Mike Pytlik ist eng und schlicht. Die Polstermöbel sind mit Laken verhängt, um sie zu schonen. Es riecht nach Zigarettenrauch. Wer aber die Garage im Arbeitervorort von Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin betritt, der staunt. Dort funkelt eine Harley-Davidson des Typs Ti Glide Ultra in Bordeaux-Metallic, blitzblank poliert. Kostenpunkt: 35 000 Dollar. Bald könnte das neueste Modell, das sich Pytlik jedes Jahr leistet, noch mehr kosten. Der Grund sind die von Donald Trump verhängten Importzölle auf Stahl und Aluminium.
Ich habe Trump gewählt, und ich will nicht schlecht über einen US-Präsidenten reden“, sagt der Republikaner Pytlik, der bis zu seiner Verrentung 2007 als Abteilungsleiter bei Harley-Davidson gearbeitet hat, mit leiser Stimme. Aber die Sache mit den Zöllen trifft ihn hart: „Dadurch wird sich alles Mögliche verteuern: Essen, Kleidung, Benzin“, fürchten er und seine Frau, die ebenfalls Bikerin ist und im Retiree-Club der Firma aktiv. Beide können nicht fassen, dass jetzt die Zukunft ihrer geliebten Harley auf dem Spiel steht. Und zwar ausgerechnet durch die Politik von Donald Trump, dem der überraschend große Zuspruch von Wählern in Wisconsin an die Macht verholfen hat. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Bereits in der zweiten Woche seiner Amtszeit empfing Präsident Trump CEO Matt Levatich auf dessen Harley vor dem Weißen Haus. „Wir wollen es ein-facher machen für die Wirtschaft, mehr Jobs zu schaffen und mehr Fabriken in den USA aufzumachen. Ihr seid das beste Beispiel dafür“, sagte Trump. Doch den Worten folgten Taten, die alles andere als gut für Harley und andere amerikanische Exportfirmen waren: Trump strich das fertig vorliegende Freihandelsabkommen TTP mit zahlreichen wichtigen asiatisch-pazifischen Nationen, das den Absatz von Harley-Bikes hätte beflügeln können. Jetzt sorgt er mit den angekündigten Strafzöllen von 25 Prozent auf importierten Stahl und zehn Prozent auf Aluminium für neue Probleme. Dass Trump es ernst meint mit Protektionismus und Abschottung, entgegen der Empfehlungen von Wirtschaftsexperten, stellte er gerade auch mit einer anderen Aktion unter Beweis: Anfang der Woche verbot er per Dekret die 146 Milliarden Dollar schwere Übernahme des amerikanischen Chip-Herstellers Qualcomm durch den in Singapur ansässigen Konkurrenten Broadcom. Der könne der nationalen Sicherheit schaden, rechtfertigte der US-Präsident den Schritt. Genauso begründet er auch die neuen Zölle.
Harley-Davidson ist im Visier der EU
Wer sollte solche Maßnahmen verhindern? In Trumps Kabinett gibt es kaum noch jemanden, der dem Präsidenten widersprechen könnte, seit er auch Außenminister Rex Tillerson per Tweet entließ. In der Woche zuvor trat bereits sein oberster Wirtschaftsberater Gary Cohn zurück. Von den Verteidigern des Freihandels ist kaum noch jemand übrig geblieben. Der Ökonom Peter Navarro, Chef des Nationalen Handelsrates, feierte dagegen die Strafzölle als „mutige und harte Entscheidung“ zum Schutz der einheimischen Produzenten. Seine Funktion sei es, dem Präsidenten die Analysen zu liefern, die „dessen Instinkt bestätigen“, erklärte er kürzlich dem Nachrichtendienst Bloomberg.
Hat Tumps „Instinkt“ auch gewusst, dass die Europäer die Harley ins Visier nehmen würden? Neben Levi’s-Jeans und Bourbon-Whiskey nannte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Bike-Hersteller als mögliches Ziel für ihre „Vergeltungsmaßnahmen“, sprich: 25-prozentige Einfuhrzölle in die EU. Ein bewusst ausgewähltes Ziel, denn die Firma exportiert stark nach Europa, und der Sitz des Motorradbauers ist der Heimatstaat von Paul Ryan, dem als Sprecher des Repräsentantenhauses wichtigsten Abgeordneten im Kongress. Anders als die Finnen für Jeans und Whiskey blutet die Kultmarke doppelt. Die US-Importzölle verteuern die Produktion, denn Harley verarbeitet beide Rohstoffe in seinen Motorrädern. Die Investmentbank Wedbush Securities schätzt allein die Zusatzkosten für Stahl auf 30 Millionen Dollar jährlich.
US-Politiker sind alarmiert
Noch schlimmer kommt es, wenn die EU als Revanche auch mit den von Juncker angekündigten Zöllen auf Harley-Davidson Ernst macht — denn das strategische Ziel der Firma ist es, die schwachen Verkaufszahlen in den USA durch Exporte auszugleichen. Aktuell liefert Harley 16 Prozent seiner Bikes in die EU. Aber wenn die Preise für die Konsumenten dort um ein Viertel steigen, werden die Verkaufszahlen kaum nach oben schnellen.
Die Regionalpolitiker machen sich Sorgen. „Menschen lassen sich den Markennamen Harley-Davidson tätowieren“, sagt Matthew Flynn, der führende demokratische Kandidat für die Wahl zum Gouverneur in Wisconsin, „welches andere Unternehmen in der Welt kann das von sich behaupten? Ich bewundere die Firma, und es schmerzt mich, sie leiden zu sehen.“ Für ihn sind die Zölle ein Unding. Der frühere Anwalt stellt sich zur Wahl, um selbst nicht „tatenlos zuzuschauen, wie Trump die sorgfältig aufgebauten internationalen Partnerschaften leichtfertig und schwer reparabel beschädigt. “
Lokaltermin im Harley-Davidson-Motorenwerk in Menomonee Falls, außerhalb von Milwaukee. Eine flache, weiß verkleidete Halle beherbergt die Fabrik, die elf Fußballfelder groß ist. In drei Schichten arbeiten hier 1000 Leute, die im vergangenen Jahr mehr als 240 000 der besonders wuchtig klingenden Motoren hergestellt haben. Im Getümmel der orangefarbenen und gelben Roboter eine ganz verschwindende Anzahl von Arbeitern — die meisten überwachen Maschinen. Nur ganz am Ende setzen sie die Bauteile zu Motoren zusammen. Eine bunte Truppe ist das: Ein Arbeiter trägt einen Zopf, der ihm bis zum Po reicht und von sechs Gummibändern zusammengehalten wird. Zwei Schlosserinnen haben sich die Haare lila gefärbt. Viele sind tätowiert, viele tragen T-Shirts mit dem Finnenlogo. „Die Besucher fragen mich oft, ob das Tragen von Harley-Davidson-T-Shirts Vorschrift ist“ , erzählt die blonde Mitarbeiterin, die die Besucher durch die Werkanlage führt — und beteuert sofort: „Natürlich nicht. Die Mitarbeiter sind einfach stolz auf ihr Produkt.“ Zu ihnen gehört Greg Palmer. 32 Jahre lang arbeitete er für Harley-Davidson. Zuerst stellte er Zylinderköpfe von Hand her, dann lernte er, die Maschinen zu programmieren. Schließlich wurde er zum Repräsentanten der Gewerkschaft gewählt und vertrat die Interessen von 2000 Arbeitern gegenüber dem Management. Anfangs war die Arbeit bei Harley-Davidson für ihn ein ganz normaler Job, doch dann überwältigte ihn die Harley-Magie: „Das Gefühl, wenn man das Röhren des Motors hört und ihn zwischen seinen Schenkeln vibrieren fühlt, dann der Wind im Gesicht — das ist pure Freiheit. “ Die Sache mit Trump nervt Palmer gewaltig. „Die Vergeltungszölle werden uns schwer treffen — große finanzielle Bedrängnis kommt auf Harley zu. Die Arbeit von 35 Jahren, Märkte im Nahen Osten, in Asien und Europa aufzubauen, wird zunichte gemacht „, sagt der eingefleischte Demokrat.
Die Harley-Fahrer werden zu alt
Der 70-Jährige gehört zu der Generation der Babyboomer, die seit den neunziger Jahren Harleys kauft — und dem Unternehmen Wachstumsquoten um die 20 Prozent pro Jahr bescherte. Aber diese Zeiten sind vorbei, seit vier Jahren sind die Absatzzahlen rückläufig. 2017 verlor Harley knapp sieben Prozent an Umsatz weltweit; im jüngsten Quartal brach der Gewinn um mehr als 80 Prozent ein. Die Harley-Fabrik in Kansas, eine von dreien in den USA, wird deshalb geschlossen. Die Generation der Boomer wird zu alt. Palmer ist ein gutes Beispiel: 2016 hatte er zwei kleinere Unfälle und verkaufte seine Bikes. Seine Lederkutte schenkte er dem 16-jährigen Enkel. Ein Harley-Motor fungiert jetzt als Möbelstück: Er wurde zum Tisch umgebaut. Ein Geschenk der Kollegen zum Ruhestand. So ist es bei vielen gealterten Biker-Fans: So bequem sie auf den Maschinen sitzen, die wie Sofas gepolstert sind — so schwierig ist es für diese Fans, die schweren Maschinen im Alter zu halten.
Der Demokrat Palmer und der Republikaner Pytlik sind inzwischen Freunde geworden. Die Liebe zu Harley überwindet alles, selbst die Kontroversen über Trump. Einmal im Monat treffen sie sich Rentner-Club und fahren zusammen auf Spritztour, ganz wie in alten Zeiten. Dann blutet Palmer, der keine Harley mehr besitzt, regelmäßig das Herz.