Itzehoe. Für die meisten Menschen ist der Gedanke an einen Zahnarztbesuch ein echter Stimmungskiller. Nicht so für Bruno Herter. Der frühere Regionalmanager des Elektronikhändlers Media-Saturn (MSH) empfand bei dem Gedanken an Dr. Uwe K. ein regelrechtes Hochgefühl. Denn der Doktor bohrte nicht, sondern versorgte ihn mit Bargeld, genauer gesagt Schmiergeld. 2011 flog der Skandal auf, und Herter wanderte ins Gefängnis.
Die Geschichte könnte damit vorbei sein, ist sie aber nicht. Weil im Zentrum eine Tragödie steht, die offenbar umgeschrieben werden muss. Ex-Deutschland-Chef Michael Rook, von Herter als Komplize belastet und vom Landgericht Augsburg zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verdonnert, saß womöglich unschuldig ein.
Das Landgericht Itzehoe wies im Mai eine Schadensersatzklage von Media-Saturn gegen Rook ab. Das Urteil macht aus dem Täter ein Opfer. Liegen die Richter richtig, stellt sich die Frage: Hat Herter seine Beute stattdessen mit anderen — noch aktiven — Konzernmanagern geteilt?
Klar ist: Jahrelange Ermittlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten geben Einblick in dubiose Geschäftspraktiken, die in Teilen bis heute gepflegt werden und einmal mehr an dem skandalträchtigen Konzern zweifeln lassen.
Mal fliegt der Umsatzsteuerbetrug der Onlinehandelstochter Redcoon auf. Dann wieder führt die fast schon legendäre Schlammschlacht zwischen dem Minderheitsaktionär Erich Kellerhals und Metro zum Börsengang der neu geschaffenen Konzernmutter Ceconomy und mündet schließlich in einer Untersuchung der Börsenaufsicht BaFin. Verdacht: Marktmanipulation.
Die verhängnisvolle Affäre um Bruno Herter beginnt 1995. Der Media-Saturn-Manager ist ein Aufsteiger mit Hang zum Luxus. Nach einer teuren Scheidung ist er für Gaben empfänglich, als er 1995 Peter N. im Urlaub kennenlernt.
Peter N. vermittelt Menschen, die auf Handelsflächen Waren verschiedener Hersteller anpreisen. Die Kosten für die sogenannten Promotoren, die für Kunden oft wie Mitarbeiter der Kaufhäuser aussehen, teilen sich Industrie und Handel. Zunächst stellt Herter für Peter N. Kontakte her, zur Belohnung gibt es Reisen und Möbel. 1999 verhilft Herter seinem Gönner zu einem Auftrag bei Media-Markt. Peter N.’s Firma Marketing Vision beginnt in ausgewählten Märkten Sony-Notebooks zu verkaufen.
2005 gelingt dem Duo der große Coup. Media-Markt beschließt, erstmals bundesweit von einem Dienstleister DSL-Verträge anpreisen zu lassen. Ohne Ausschreibung fällt die Wahl auf Peter N., auf einen echten Vertrag für die intern als „Tagelöhner“ bezeichneten Promotoren verzichten beide Seiten. Kasse macht dabei aufjeden Fall Herter. Bis 2011 flossen mehr als vier Millionen Euro.
Peter N. indes hatte Probleme, seine Leute und den gierigen Herter zu finanzieren. Also half MediaMarkt aus. Am 25. November 2005 erhielt er eine Akontozahlung in Höhe von 400 000 Euro, die stets verlängert und am 4. Juni 2007 schließlich in ein Darlehen über 300 000 Euro umgewandelt wurde.
Der noch heute für die Finanzen von Media-Saturn in Deutschland zuständige Thomas Wünnenberg bezeichnete die Zahlungen im Prozess gegen Herter und Rook als „No-Go“, beendete sie aber nicht. Im Gegenteil: Am 23. März 2010 brachte Peter N. im Zuge der drohenden Pleite seiner Firma Wünnenberg und den damaligen Einkäufer Johannes K. mit den Geschäftsführern des früheren Wettbewerbers TrendNet zusammen. 30 Minuten genügten, um das DSL-Projekt mit der eigens gegründeten RSS fortzuführen. Peter N. blieb über einen Strohmann beteiligt, Herter freute sich weiterhin über bündelweise Schmiergelder.
Doch reichte Herters Einfluss als Mitglied der zweiten Führungsebene wirklich aus, um Peter N. derart zu unterstützen — oder hatte er einen Helfershelfer im Topmanagement? Gegenüber Peter N. hatte Herter stets behauptet, das Schmiergeld mit Ex-Deutschland-Chef Rook zu teilen. Ob das Geld dort je ankam, bezweifeln Peter N. und seine Komplizen. Rook bestreitet es. Nach der Beweisaufnahme im Zivilprozess seien die auf Herters Anschuldigungen beruhenden Indizien „völlig in sich zusammengefallen“, sagt Rooks Anwalt Magnus Dühring. „Den dabei aufgedeckten Sachverhalten wird noch nachzugehen sein.“ Zu den vielen Ungereimtheiten gehört der E-Mail-Verkehr zwischen Peter N. und Wünnenberg, vor allem am 8. April 2010. Um 11.05 Uhr beschwert sich der MSH-Finanzer, dass Peter N. die Kündigung des Darlehensvertrags auf den 1. April 2010 datiert hat, und fordert ihn auf, den 2. März 2010 zu vermerken. Einen Tag vor dem Schriftwechsel, am 7. April 2010, hatte Peter N. Eigeninsolvenz beantragt. Er leistete Wünnenberg Folge und sendete ein knapp gehaltenes Dokument. „Wir kündigen aus wichtigem Grund (Insolvenzgefahr) das mit Ihnen vereinbarte Darlehen vom 01.01.2010 in Höhe von 300 T Euro“. Als Datum brav vermerkt: 2. März 2010. Verträge im Zuge einer Insolvenz rückzudatieren — gewagt. Ebenso die Verrechnung des Darlehens mit offenen Forderungen und der Übenveisungvon 880 000 Euro an Peter N. im März 2010.
Wer sich durch die Aktenberge wühlt, wundert sich indes über nichts mehr. So hielt Herter kurz vor seiner Verhaftung Ende 2011 noch einen Vortrag mit dem Titel „Werte bei Media Markt“ und deponierte Bargeld in Höhe von rund 50 000 Euro sowie eine Rolex bei Christoph Thomas, im Hauptberuf Inhaber und Geschäftsführer des wichtigen Media-Saturn Lieferanten Hama. Thomas reichte es an Zahnarzt Uwe K. weiter, wo Herter es abholen ließ. Woher die Summe stammte, wusste Thomas nach eigener Aussage nicht. Die Ermittlungen gegen ihn wurden 2013 gegen eine Zahlung in Höhe von 100 000 Euro eingestellt. Media-Saturn sah darin lange kein Problem. Erst vor einigen Monaten erhielt Hama-CEO Thomas Hausverbot. An den guten Beziehungen zwischen beiden Häusern hat das nichts geändert.
Die Vorgänge will Media-Saturn nicht weiter kommentieren. Herter war nicht zu erreichen.