Ludwigshafen/Rhein. Saori Dubourgwar noch Grundschülerin, als eine Reise ins Heimatland ihrer Mutter zum Schlüsselerlebnis wurde. Der Blick in den japanischen Atlas ihrer Verwandten verwirrte sie: Asien lag in der Mitte der Weltkarte, Amerika rechts und Europa irgendwo am linken Rand? Aus ihrem deutschen Atlas kannte sie das anders. Was sie damals begriff, begleitet sie bis heute: „Der Blick auf die Welt hängt immer vom eigenen Standpunkt ab.“
Das Mädchen mit dem Interesse an Weltkarten hat es weit gebracht. Seit 21 Jahren arbeitet sie für die BASF, jetzt ist sie, gerade einmal 46 Jahre alt, sehr weit oben angekommen. Im Mai 2017 stieg Dubourg in den Vorstand auf, dort ist sie verantwortlich für Pflanzenschutz, Bauchemie und Europa. Ihr Bereich macht 8 Milliarden Euro Umsatz, steuert 14 Prozent zum Gesamtgeschäft bei und beschäftigt 70 000 Mitarbeiter. Mehr als jeder zweite BASFler ist ihr unterstellt.
Dubourg denke in langen Linien, weit übers Tagesgeschäft hinaus, heißt es im Konzern. Sie mag es, wenn’s komplex wird. „Saori blickt konsequent hinter das Offensichtliche“, sagt ein Weggefährte.
Das neue Vorstandsmitglied ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Konzernlandschaft: Als einziges weibliches Eigengewächs hat sie es bis ins operative Herz eines Dax-30-Industriekonzerns geschafft. Frauen in vergleichbaren Positionen, wie etwa die Energieexpertin Lisa Davis bei Siemens oder Hildegard Müller bei Innogy, stammen aus dem Ausland oder wurden eingekauft oder beides.
Saori Dubourg ist die Prima inter Pares der „100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft“. Die Liste erstellt das manager magazin zusammen mit der Boston Consulting Group (BCG) nun bereits im dritten Jahr. Ausgewählt wurden die Finalistinnen von einer hochkarätigen Jury (siehe Seite 93). Weil der Kreis an Top- » Ai auen beständig wächst, wurde die Liste von 75 auf 100 erweitert. Sie ist kein Ranking, dafür sind die Einsatzfelder zu unterschiedlich.
Was also qualifiziert Saori Dubourg als einflussreichste Businessfrau des Jahres 2017? Die Kombination aus Herkunft, Umfeld, Aufgabe und Zukunftsperspektive.
BASF, der männerlastige, eher verstockte Chemiegigant, und die Halbjapanerin, die als Teenager leidenschaftlich Geige spielte: Diese Verbindung erzeugt Reibung. Und genau das braucht die BASF.
Der Konzern muss sich verändern. Der gnadenlose Konsolidierungswettbewerb in der Branche setzt dem Weltmarktführer zu. Viel zu oft schien die BASF in den vergangenen Jahren Getriebene zu sein. Um wieder selbst in die Treiberrolle zu kommen, baut CEO Kurt Bock (59) zunehmend auf jüngere Vorstände wie Dubourg.
Die Neue fühlt sich durchaus wohl im Unvorhersehbaren, sie mag das „Greenfield“: „Die Zukunft hat mich immer schon, mehr interessiert als die Vergangenheit.“
Querdenken ist Ihre Stärke
Dubourgs Talente wurden früh entdeckt und systematisch gefördert, in Stabsfunktionen, operativ, durch Auslandsentsendungen. Zuletzt leitete sie den Geschäftsbereich „Nutrition and Health“ (Ernährungszusatzstoffe), restrukturierte ihn erfolgreich, baute die Einheit zum Vorreiter digitaler Ökosysteme in der Chemieindustrie aus und lieferte damit ihr Gesellenstück für den Vorstand ab.
Mit der Pflanzenschutzsparte steht sie nun einem der margenstärksten Erlösbringer vor, der an Gewicht und Umfang aber ordentlich zunehmen muss, um im globalen Maßstab nicht abgehängt zu werden. Die Akquisition des Saatgutgeschäfts von Bayer verhandelte Dubourg mit. Auch in der Bauchemie muss sie expandieren und vor allem an der Marge arbeiten.
Profit interpretiert Dubourg als eine Notwendigkeit, deutlich wichtiger ist ihr das große Ganze: Die BASF soll als verantwortungsbewusstes Glied der Gesellschaft wahrgenommen werden. Klingt nach Marketing, aber Dubourg meint es ernst. Als Chefin des Ernährungsgeschäfts hat sie dafür gesorgt, dass der Konzern stärker auf gesunde Produkte setzt und sich öffentlich besser erklärt. Wenn nötig, stieg sie dafür sogar mit Greenpeace aufs Podium. Seit 2013 weist die BASF den „Value to Society“ im Geschäftsbericht aus.
Auf den ersten Blick nimmt die Vorstandsnovizin wenig Raum ein: Das dunkelblaue Designerkleid betont die zierliche Figur, sie denkt und spricht schnell, nimmt sich aber auch zurück und hört lächelnd zu. Sie sei sehr klar in der Sache, aber „warm im Stil“, sagt Dubourg. Mit japanischer Note, so wie sie das von zu Hause kennt.
Ihr Vater war ein mittelständischer Unternehmer, ein Macher. Die Mutter stammt aus einer buddhistischen Priesterfamilie, hat Literatur und Philosophie studiert und in Japan als Lehrerin gearbeitet. Beim gemeinsamen Abendbrot wurde über Strategie gesprochen, Montesquieu zitiert.
Im kuscheligen Augsburg fallen Saori und ihr jüngerer Bruder auf, bei den anderen Kindern heißt sie nur „die Chinesin“. Dieses Anderssein erkennt sie irgendwann als Stärke und nutzt es für ihren eigenen weg.
Fleiß und Disziplin lernt sie im Orchester. Künstlerischer Ausdruck sei harte Arbeit an Kleinigkeiten, sagt sie: „Wenn man die Nuancen einer Komposition zum Leben erwecken will, muss man sie zu 150 Pro ent beherrschen.“ Ein Ganzes entstehe nur, wenn alle im Team aufeinander achten.
Nach dem Abitur (Note 1,4) entscheidet sie sich für ein BWL-Studium mit den Schwerpunkten strategisches Management und Industriegütermarketing. Eine Laufbahn als Profimusikerin, als Interpretin anderer, findet sie unattraktiv. Sie will „selbst kreativ werden und Brücken zwischen Europa und Asien schlagen“.
Ein Praktikum bringt sie zur BASF. Einstieg im Marketing, rascher Wechsel in die Strategie. Ihre Förderer, zu denen bald auch Vorstände gehören, schicken sie quer durchs BASF-Universum. In den USA erstellt sie Wettbewerbsanalysen, zurück in Ludwigshafen, soll sie den Beschäftigten die wundersame neue Welt des Internets nahebringen.
2001 steht die dritte Auslandsentsendung an, im Stab des damaligen Asien-Vorstands Helmut Becks. Eine Chance, die beiden Seiten allerdings einiges abverlangt: Zum Zeitpunkt der Entscheidung steht Dubourg, verheiratet mit einem Franzosen, zwei Wochen vor der Entbindung ihrer Tochter. Drei Monate später geht sie mit Kind und Mann nach Asien und übernimmt dort ein Jahr später das Faserbindungsgeschäft. Mit vereinten Kräften und Unterstützung im Haushalt wuppen die beiden berufstätigen Eltern ihre Jobs und das Baby. Saori Dubourg ist motivierter denn je. Und die BASF bekommt ein Rollenmodell.
Offen erzählt Dubourgvon der Beziehung zu ihren Kindern, auch dies eine Seltenheit unter Topmanagerinnen in Deutschland.
DREIERBANDE BASF-Chef Kurt Bock und seine neuen Vorstände Saori Dubourg und Markus Kamieth
Sie habe sich damals genau überlegt, wie sie ihre Energie investiere: in die Gegenwart der Tochter, dann hätte sie zu Hause bleiben müssen, oder in deren Zukunft. Zur Tochter ist inzwischen ein Ziehsohn hinzugekommen — Patchwork. Der Nachwuchs lernt, dass beides zusammengeht, Beruf und Familie.
Für das Vertrauen, dass die Vorgesetzten ihr beim Singapur-Einsatz entgegengebracht haben, revanchiert sie sich ein paar Jahre später. 2008 tut sich im Personalmanagement der BASF eine Lücke auf, CEO Jürgen Hambrecht braucht dringend einen Leiter für die weltweite Führungskräfteentwicklung. Er spricht Dubourg an, die baut gerade die globale Diversity-Stabsstelle auf und sagt sofort für die neue Aufgabe zu.
Eine Woche später beginnt die Integration der Schweizer Ciba, den Spezialchemiehersteller hatte die BASF kurz zuvor übernommen. Dubourg managt ihren Teil geräuschlos, auch weil sie offen mit ihrem anfänglichen Nichtwissen umgeht und sich schnell einarbeitet.
Da ist sie wieder, die japanische Note: zuhören, Respekt zeigen. Man verhandele mit ihr in einem testosteronfreien Raum, sagt Dubourg.
Doch an die Wand spielen lässt sie sich nicht. Sie bemüht gern das Bild vom Bambus: Fest verwurzelt hält er biegsam dem stärksten Sturm stand, ohne zu brechen. Einfühlsam, aber extrem hart in der Sache, so beschreibt sie ein Vertrauter.
2009 geht sie zum vierten Mal ins Ausland, nun als Präsidentin Asien-Pazifik an der Seite von Vorstand Martin Brudermüller. Sie erhält Verantwortung für 10 000 Mitarbeiter und hat jede Stunde ein anderes Thema auf dem Tisch: Investitionen und Joint Ventures, Entwicklung und Produktion, alle Märkte, sämtliche Funktionen. Dubourg wird allmählich vorstandstauglich.
Essen für alle
Aber macht sie ihren Job wirklich gut? Was denken ihre Mitarbeiter über sie? Dubourg wagt ein Experiment. Sie schlägt Martin Brudermüller vor, die bonusrelevante Bewertung ihrer Führungsqualitäten an die Mitarbeiter zu delegieren, eine große Gruppe von Landesfürsten. Brudermüller spielt mit. Er erhält wertvolles Feedback, sie den vollen Bonus.
Führung bedeute, „für andere, für etwas“ zu stehen, sagt Dubourg. Dass ihr Wertekanon kein leeres Gerede ist, beweist sie bei der Restrukturierung des Lebensmittelbereichs. Der ist ein klassischer Sanierungsfall, als sie übernimmt. Um 40 Prozent war das Ebit eingebrochen, Jobs standen zur Disposition.
Sie geht vor, wie sie es immer tut: analysiert erst mal. Aus 80 Gesprächen destilliert sie eine Change-Agenda, 90 Punkte stark. Zusätzlich bittet sie das Management um eine Selbsteinschätzung.
Ergebnis: Die Verantwortung für das Desaster sieht keiner bei sich selbst, alle geben sich ein „Outstanding“. Und statt der vereinbarten Nullrunde hatte sich jeder noch ein paar neue Leute an Bord geholt.
Wahnsinnig geärgert hat sie das. Dubourg greift durch: Jeder Manager erhält fünf Beschäftigte zugeteilt, um deren Zukunft im Konzern er sich als Sponsor persönlich zu kümmern hat. Den Protest der Schichtarbeiter gegen die Streichung des Rollbratens auf der Weihnachtsfeier holt sie sich persönlich ab.
Drei Jahre später ist das Geschäft saniert. Dubourg spendiert Rollbraten für alle.
Offen reden, die Mitarbeiter mitnehmen, Wandel erklären und Verantwortung einfordern, dafür steht die neue Vorstandsfrau. Als Nächstes will sie die BASF in einen Zukunftsdialog führen, lädt Führungskräfte aus Start-ups zu „Denkerrunden“ ein. Im „digitalen Schrebergarten“ soll es um das Silicon Valley und um Zusammenarbeit in der neuen Ära gehen.
Dubourg hat untersuchen lassen, wie junge Firmen erfolgreich werden: als adaptive Ökosysteme, die in Netzwerken denken. Von solchen Gebilden soll die BASF lernen.
Was ging schief auf ihrem Weg nach oben? Ihr fällt nichts ein. Ja, ihre Ehe ist zerbrochen wie bei so vielen Leistungsträgern. Für ihren neuen Partner und die Kinder nimmt sie sich nun so viel Zeit wie möglich, geht sogar ins Fußballstadion.
Den Ausgleich zwischen Arbeit und dem restlichen Leben zu finden dürfte in nächster Zeit die vielleicht größte Herausforderung sein. Sie gilt als eine Kandidatin für die Nachfolge von Vorstandschef Bock.