Bonn. So langsam müsste ihm die Puste ausgehen, dem Dauer-Redner und Beschwörungs-Fanatiker, dem „Umfaller“ und Lautsprecher der SPD. Martin Schulz war plötzlich auf das politische Abstellgleis abgebogen, doch der SPD-Parteitag in Berlin bot ihm die letzte Möglichkeit, noch einmal die Notbremse zu ziehen und den Rückwärtsgang einzulegen. Die Chance dazu bekam er von den Genossen, die ihn nach seiner Brandrede – die wievielte war das eigentlich in diesem Jahr – mit 82% zum Parteivorsitzenden gewählt haben. Einen Mann, der erst „Nein“ sagt zur GroKo, dann „vielleicht“ und in Zukunft sogar „wahrscheinlich“ – sein Job hängt schließlich davon ab, seine Karriere, die nach dem Wahldesaster mehr als angeknackst ist. Ein echter Wendehals, der erst am Wahlabend lauthals posaunt: „Ab diesem Tag ist unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU beendet“. Doch davon ist nicht viel übriggeblieben, nachdem der Über-Vater Walter Steinmeier, seines Zeichens amtierender Bundespräsident, seine „Schäfchen“ zur Besonnenheit und Harmonie aufgerufen hatte. Jetzt heißt es sogar aus dem Munde vom Vielsprecher-Martin, dass seine große Konkurrentin Angela Merkel nicht für den Zustand der SPD verantwortlich sei, sondern die Partei selbst. Dazu rührt er die emotionale Gebetstrommel und stemmt sich mit versöhnlichen Tönen gegen die Martin-Schulz-Bedeutungslosigkeit im Politik-Zirkus, unterstützt von Andrea Nahles, die ihm nicht nur kollegial den Schlips richtet, sondern auch die Lanze bricht für einen Parteivorsitzenden, dessen Vita im Management eines deutschen Großkonzerns keine Beachtung oder Wertschätzung finden dürfte. Zu viele Sachen angeschoben, nichts richtig zu Ende gebracht. Im Europa-Parlament den Vorsitz ohne nennenswerte Verbesserungen abgegeben, nun mit dem Vorschlag daherkommend, die „Vereinigten Staaten von Europa“ aus dem Boden zu stampfen. Das ist genauso albern wie die andauernden Parolen von Kim Jong, die USA in Kürze in den Krieg zerren zu wollen. Europa ist so unterschiedlich und so gespalten wie nie zuvor, eine von Helmut Kohl inszenierte europäische Währungsunion hat niemals funktioniert – es gibt einfach keinen europäischen Einheitsgedanken. Höchstens bei denen, deren Schulden wir bezahlen sollen, so wie Griechenland oder Zypern oder die baltischen Staaten. 28 EU-Mitgliedsstaaten, die nicht zueinander passen, wo jeder seine eigenen Interessen vertritt und am liebsten seine eigene Währung hat, wie die Briten, die Schweizer, die Schweden und die vielen anderen, die der eigenen Landes-Währung hinterhertrauern. Nein, das passt nicht zusammen.
Um zur Sache zurückzukommen, steht unserem Beschwörungs-Plauderer M. Schulz immer noch eine grössere Hürde bevor: Sollten die Koalitionsgespräche doch nicht fruchten, gäbe es Neuwahlen, die der SPD gar nicht gut zu Gesicht stünden. Dann würde nämlich auch die AFD neue, zusätzliche Stimmen bekommen und die SPD zur Randfigur verkommen. Noch haben sie den Kollaps vermeiden können, aber das Damoklesschwert schwebt weiter über den Parteigenossen. Deren eigene Nachwuchspolitiker, die JUSOS, stemmen sich vehement gegen eine Koalition mit der CDU/CSU, und damit steht eine GroKo noch weit in den Sternen. Doch Martin Schulz versucht die Probleme mit immer neuen Lösungsansätzen „wegzukuscheln“, sogar Entschuldigungsformeln kann man jetzt von ihm vernehmen, mit denen er sein Politikversagen zu rechtfertigen versucht. Da braucht es dann schon mal fast 80 Minuten, um die eigenen Delegierten wieder auf seine Seite zu ziehen. „Ergebnisoffene Gespräche“ mit der Union soll es geben. Wer zum Teufel hat sich solche Formulierungen nur ausgedacht? Jemand der verstanden hat, dass es neben der GroKo überhaupt keine Alternativen gibt für ein Fortbestehen der SPD? Und ein Regierungschef, der seiner Linie nicht treu bleibt, der umfällt, wenn seine eigene Karriere gefährdet ist, das passt auch nicht so recht ins Bild. Der Parteitag in Berlin war die letzte Chance für Schulz, seinen Kopf zu retten und die Genossen noch einmal auf seine Seite zu ziehen. Dafür musste der Mann `ne Menge Worte machen und als Dampf-Plauderer ganz tief in die psychologische Trickkiste greifen: Dann eben auch mal ganz weinerlich, mit der Rolle rückwärts zwar, aber dem Versprechen, im Interesse der Sache persönlich alles geben zu wollen. Da klingt dann die Aussage von Andrea Nahles: „Die SPD wird gebraucht, Bätschi!“ wie das verzweifelte Aufbäumen ein paar Gestrandeter, deren Zukunft nicht mehr in der eigenen Hand liegt.