Brüssel. Es gibt Unternehmen, deren Ruf so ruiniert scheint, dass die Erwartungen an Ethik und Geschäftsgebaren ausgesprochen niedrig sind.
Schockierend ist es dennoch, wenn sich die Vorwürfe schwarz auf weiß bestätigen.
Der Agrarkonzern Monsanto steht unter Beschuss, weil das von der Firma entwickelte Unkrautvertilgungsmittel Roundup (Wirkstoff: Glyphosat) verdächtigt wird, krebserregend zu sein. Am Mittwoch sollen die EU-Mitgliedstaaten entscheiden, ob die Chemikalie, deren Zulassung am 15. Dezember ausläuft, für weitere zehn Jahre in der EU erlaubt wird. Vorausgegangen ist ein jahrelanger Streit, der nun durch brisante Dokumente weiter zugespitzt wird.
Interne E-Mails, Präsentationen und Memos enthüllen Monsantos Strategien, Glyphosat mit allen Mitteln reinzuwaschen. Und diese „Monsanto Papers“ lassen noch mehr erahnen: Offenbar weiß der Konzern selbst nicht so genau, ob Roundup unbedenklich für die Gesundheit ist.
„Man kann nicht sagen, dass Roundup nicht krebserregend ist“, schreibt die Monsanto-Toxikologin Donna Farmer in einer der E-Mails. „Wir haben nicht die nötigen Tests durchgeführt, um diese Aussage zu machen.“
Die am 22. November 2003 verschickte Mail ist eines von mehr als hundert Dokumenten, die Monsanto in den USA durch richterlichen Beschluss als Beweismittel zur Verfügung stellen musste. Rund 2000 Kläger fordern in Sammelklagen Schadensersatz von Monsanto. Sie behaupten, Roundup habe bei ihnen oder bei ihren Angehörigen das Non-Hodgkin-Lymphom ausgelöst — eine Form von Lymphdrüsenkrebs.
Hat Monsanto Risiken verschwiegen? Die Dokumente legen das nahe. Für die Firma ist die Veröffentlichung der Papiere eine Katastrophe. Auch in Leverkusen bei Bayer dürfte die Sache diskutiert werden — der deutsche Chemiekonzern ist im Begriff, Monsanto zu kaufen.
„Die Monsanto-Papiere erzählen eine alarmierende Geschichte von wissenschaftlicher Einflussnahme, Betrug und zurückgehaltenen Informationen“, sagt Michael Baum, Partner der Kanzlei Baum, Hedlund, Aristei & Goldman, die eine der US-Sammelklagen anstrengt. Monsanto benutze dieselben Strategien wie die Tabakindustrie: „Zweifel säen; Kritiker attackieren; Forschung manipulieren.“
Glyphosat ist das weltweit meistversprühte Herbizid. Über 800 000 Tonnen des Stoffs produzieren Firmen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer jedes Jahr. Auch in Deutschland wird es verkauft. Die Bauern machen mit dem Mittel Tabula rasa, um Felder für die neue Aussaat vorzubereiten. Oder sie spritzen damit Kartoffel- oder Rapspflanzen kurz vor der Reife tot. Dann ist die Ernte einfacher.
Seit mehr als 40 Jahren ist der BauernBlockbuster in Gebrauch und inzwischen fast überall zu finden: im Urin von Mensch und Tier, in der Milch, im Bier, im Speiseeis, vor allem im Kraftfutter aus den USA oder Brasilien, das auch in den Trögen deutscher Rinder und Schweine landet.
Lange galt Glyphosat als gesundheitlich unbedenklich, weil es einen Stoffwechselweg hemmt, der für Pflanzen zwar essenziell ist, bei Säugetieren jedoch nicht vorkommt. Doch ist das Mittel wirklich so harmlos? Im März 2015 nährte ein Warnruf von höchster Warte Zweifel an der Saga vom unbedenklichen Pestizid. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), ein Gremium unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation, stufte Gly- phosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. Das Votum löste die Sammelklagen in den USA aus.
Monsanto reagierte sofort. Die IARCEinschätzung widerspreche „Jahrzehnten umfangreicher Sicherheitsforschung der führenden Regulierungsbehörden der Welt“, wetterte Cheftechniker Robb Fraley. Firmenchef Hugh Grant diffamierte die Arbeit als „Drecksforschung“. Nun jedoch zeigt sich: Monsanto hatte das IARC-Votum schon erwartet. Den Konzernforschern aus St. Louis war von vornherein klar, dass die Expertenrunde eine Krebswarnung aussprechen würde.
„Worüber wir lange besorgt waren, ist eingetreten“, schrieb die Toxikologin Farmer im September 2014. „Glyphosat soll von der IARC überprüft werden.“ Monsanto-Kollege William Heydens präzisierte die Sorgen einen Monat später: Verwundert sei man nicht nur „im Bereich Epidemiologie“, sondern potenziell auch bei „Exponierung, Gentox und Wirkmechanismus“.
In epidemiologischen Studien kann untersucht werden, ob das Auftreten von Krankheiten mit bestimmten Stoffen zusammenhängt. Unter anderem auf solche Studien stützt die IARC ihr Votum. Die Untersuchungen aus den USA, Kanada und Schweden legen nahe, dass Glyphosat das Risiko erhöht, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken.
Gentox wiederum ist die Kurzform für Genotoxizität und beschreibt, ob eine Sub- stanz das Erbgut schädigt. Erbgutschäden können Krebs auslösen.
Und was mit „verwundbar“ gemeint ist, lässt sich in weiteren Monsanto-Mails nachlesen. Man habe „keine direkten Tests“ zur „krebserregenden Wirkung“ von Roundup durchgeführt, heißt es da. Oder: „Wir führen keine subchronischen, chronischen oder teratogenen Untersuchungen mit unseren Formulierungen durch.“ Letztere würden zeigen, ob Roundup Fehlbildungen auslösen kann, wie es manche Studien nahelegen. Rattenembryonen etwa, die mit verdünntem Roundup geduscht wurden, entwickelten Skelettschäden.
Sogar eigenen Gutachtern traute Monsanto nicht. Toxikologin Farmer fasste eine Analyse des Monsanto-Beraters James Parry so zusammen: „Dr. Parry folgerte, dass Glyphosat in der Lage sei, Genotoxizität zu produzieren.“ Als Warnung wollte Farmer dies aber nicht verstanden wissen. Man müsse Parry weitere Studien zukommen lassen, um ihn „von seiner Position abzubringen“, schrieb sie stattdessen.
Auch der Wirkmechanismus des Stoffs scheint nicht so harmlos, wie es die Industrie gern behauptet. Denn Glyphosat tötet nicht nur Pflanzen, sondern auch viele Mikroorganismen. Mensch und Tier sollten damit zwar nicht direkt betroffen sein, wohl aber das Mikrobiom, die Millionen Bakterien der Darmflora.
Bei Rindern, die glyphosathaltiges Kraftfutter fressen, verändert sich dadurch zum Beispiel die Häufigkeit mancher Mikroorganismen im Pansen, hat die Leipziger Veterinärmedizinerin Monika Krüger beobachtet — mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere. Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR), das in der EU für die Einschätzung von Glyphosat zuständig ist, widerspricht dem allerdings.
Verantwortunglos verhalten sich die Monsanto-Forscher auch, wenn es um die Aufnahme von Roundup in den Körper geht. „Zwischen 5 und 10 Prozent“ des Stoffs drängen durch die Haut von Ratten, fanden die Konzernexperten schon 2002 bei eigenen Tierversuchen heraus.
Die Quote lag weit höher als erwartet: Das Ergebnis habe das Potenzial, die „Roundup-Risikobewertungen“ zu „sprengen“, heißt es in einer E-Mail. Die Konsequenz: „Wir haben beschlossen, die Studie zu stoppen.“ Auch über den Verdauungstrakt nahmen Versuchstiere mehr Roundup-lnhaltsstoffe auf als erhofft.
Vor allem aber wird aus den Monsanto-Papieren deutlich, dass den Experten ein Unterschied sehr bewusst war, der in der öffentlichen Diskussion häufig untergeht. Herbizide wie Roundup enthalten neben Glyphosat weitere gefährliche Chemikalien, die unter anderem notwendig sind, um dem Wirkstoff den Weg durch die harten Pflanzenwände zu bahnen. Diese geheimen Rezepturen jedoch sind oftmals schädlicher als der Wirkstoff allein.
Das Problem daran: Viele Regulierungsbehörden bewerten vor allem den Wirkstoff Glyphosat isoliert auf Giftigkeit, nicht aber die versprühten Mixturen — ein Erfolg jahrelanger Lobbyarbeit der Industrie.
Ob die Environmental Protection Agency aus den USA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit oder das BfR: Sie alle führen sogenannte Risikoanalysen durch. In den dafür ausgewerteten Studien träufeln Forscher Ratten reines Glyphosat ins Futter. Dann bestimmen sie jene Glyphosat-Menge, die den Tieren gerade eben noch keine Schäden zufügt. Andere Studien stellen fest, in welcher Konzentration der Stoff tatsächlich in der Umwelt vorkommt. Liegen die beiden Werte weit auseinander, geben die Kontrolleure Entwarnung. Bei GiyphosaL ist das so. Das Urteil: nicht krebserregend.
Anders die gefahrenbezogene Bewertung, die zum IARC-Votum führte: Unabhängig von der Dosis untersuchen Forscher dabei, ob der Stoff prinzipiell gefährlich ist. Zudem bewerten sie, was geschieht, wenn die kompletten Mixturen, in diesem Fall Roundup, versprüht werden. Bei solChen epidemiologischen Studien können die Bedingungen nicht so gut kontrolliert werden. Dafür bilden sie die Wirklichkeit besser ab — und führten zum IARC-Votum: wahrscheinlich krebserregend.
Zu einem ähnlichen Resultat kamen auch die Monsanto-Experten. „Glyphosat ist OK, aber das formulierte Produkt verursacht den Schaden“, schrieb MonsantoForscher Heydens an Donna Farmer.
Wäre es da nicht angebracht gewesen, die Öffentlichkeit zu warnen? Der Konzern tat nichts dergleichen. Stattdessen setzte die Firma ihre massive Lobbykampagne fort und ließ kaum etwas unversucht, um missliebige Forscher zu diskreditieren.
Eines der Opfer war der französische Toxikologe Gilles-Éric Séralini. Er tat genau das, was eigentlich Monsantos Aufgabe gewesen wäre: Séralini träufelte Versuchsratten über zwei Jahre Roundup ins Trinkwasser und fütterte sie mit glyphosatbelastetem Gentech-Mais. Was er fand, war alarmierend: Manche der Tiere entwickelten Nierenschäden, die Weibchen erkrankten auffallend häufig an Brustkrebs.
Im September 2012 veröffentlichte das Fachblatt „Food and Chemical Toxicology“ die Studie. Danach brach in Séralinis Leben die Hölle los. Hunderte Forscher protestierten. Séralini wurden „Falschaussagen“ vorgeworfen und die „Verwendung von Tieren für Propagandazwecke“.
Im November 2013 zog das Journal die Veröffentlichung zurück. Zufall oder nicht — ein halbes Jahr zuvor hatte das Fachmagazin einen ehemaligen Monsanto-Mitarbeiter in seinen Beirat berufen.
Auch die internen Memos bestätigen, wie Monsanto Druck ausübte. Er habe „erfolgreich mehrere Sachverständige dazu gebracht, Briefe an den Herausgeber“ zu schreiben, brüstete sich der damalige Monsanto-Experte David Saltmiras. Der Vorgang sei „in unserem besten Interesse“ und „die letzte Ölung für Séralinis Glaubwürdigkeit“.
Methodisch ist Séralinis Arbeit tatsächlich angreifbar. Das machte es den Monsanto-Experten leicht. Doch bei der Gefahrenbewertung der IARC wiederholte sich das Muster. Hier hatte Monsanto sogar einen detaillierten „Bereitschafts- und Einsatz-Plan“ vorbereitet, um gegen das Votum der Krebsexperten vorzugehen.
Die Firma engagierte ein Team von Forschern und Lobbyexperten. Ihr Ziel: ein „orchestrierter Aufschrei“. Die IARC sollte als Organisation mit einer Geschichte „fragwürdiger und politisch aufgeladener Entscheidungen“ diskreditiert werden.
Tatsächlich brach nach dem IARC-Votum ein Sturm der Entrüstung los. Die Finanzierung des Gremiums wurde hinterfragt. Erst im Juni machte die Falschmeldung die Runde, ein Mitglied der IARC habe Informationen zurückgehalten.
Der Monsanto-Schlachtplan sah zudem „drei neue wissenschaftliche Veröffentlichungen“ vor. 2016 erschien tatsächlich eine kritische „Review“ zur IARC-Bewertung. Die internen Papiere zeigen: Monsanto nahm massiv Einfluss auf den Inhalt. Zudem erhielten zwei der Autoren offenbar direkt Geld von Monsanto. So wird dem ehemaligen Mitarbeiter John Acquavella die Summe von 20 700 US-Dollar quittiert, für „Beratung im Zusammenhang mit dem Glyphosat-Expertengremium“.
Monsanto weist die Einflussnahme zurück. Zu den weiteren Vorwürfen nimmt die Firma keine Stellung. Offene Fragen bleiben: Wieso veröffentlicht Monsanto seine eigenen Forschungsergebnisse nicht? Warum finanziert die Firma nicht zum Beispiel eine unabhängige Wiederholung der Séralini-Studie, die alle Zweifel ausräumen könnte?
„Monsanto würde alles tun, um sein Produkt Roundup zu schützen“, sagt Daniel Boese von der Bürgerbewegung Avaaz. Über Jahre habe die Firma die Verbraucher getäuscht und Gutachten beeinflusst. Die Firma „zerstört wissenschaftliche Sicherheitsmechanismen, auf die sich die Öffentlichkeit eigentlich verlässt“, so Boese. Der Lobbyeinfluss des Unternehmens sei massiv. So sei der Glyphosat-Bericht des deutschen BfR in Teilen aus Unterlagen der Glyphosate Task Force übernommen, eines Monsanto-geführten Industrieverbandes. Das BfR weist den Plagiatsvorwurf zurück.
Europas Politiker sollten sich die Monsanto-Papiere besser gut ansehen, bevor sie Glyphosat für weitere zehn Jahren zulassen. Italien, Osterreich und Frankreich wollen sich bereits dagegen entscheiden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zögert noch.
„Wir werden uns dafür einsetzen, dass Sie diesen Stoff da, wo es notwendig ist, auch weiterhin anwenden können“, rief sie den Landwirten noch im Juni auf dem Deutschen Bauerntag zu. In einer möglichen Jamaikakoalition mit den Grünen könnte es für Merkel allerdings schwer werden, dieses Versprechen einzuhalten.
Ohnehin täten auch Europas Landwirte gut daran, sich Schicksale wie jenes von Jack McCall vor Augen zu führen, dessen Witwe Teri zu den Klägerinnen in den USA gehört.
Der kalifornische Farmer versprühte über Jahrzehnte Roundup in seinen Obstplantagen. Ein treuer Begleiter blieb dabei lange an seiner Seite: sein Hund Duke.
Erst starb der Hund an Lymphdrüsenkrebs. Dann McCall.