Essen. In der Verwaltung fallen 2 500 Stellen weg, in den Fabriken 1500. Die Manager von Thyssenkrupp sind in diesen Wochen mal wieder damit beschäftigt, Beschäftigte zu entlassen. Und der Takt des Abbaus schlägt immer schneller – so scheint es zumindest, und so nehmen es auch viele Mitarbeiter des Traditionskonzerns wahr. Im Juli lief das erste Personalprogramm an, Ende August schon das nächste. Mal trifft es den Stahl, mal den Anlagenbau oder das Rüstungsgeschäft. Die Begründung ist immer die gleiche: Der „Wettbewerbsdruck“ sei so hoch, dass es keinen anderen Weg gebe als einen Verzicht auf weitere Planstellen. „Mehr Wettbewerbsfähigkeit“ – das ist die heilige Silbe von Thyssenkrupp-Chef-Heinrich Hiesinger seit seinem Amtsantritt im Januar 2011. Die Beschäftigten hören das Mantra und verstehen: weniger Personal! Das Merkwürdige ist bloß: Die Zahl der Beschäftigten sinkt unter dem Strich gar nicht. Das ist das Jobrätsel von Thyssenkrupp.
Im ersten Geschäftsjahr, das Hiesinger voll verantwortete, erwirtschafteten 167 951 Mitarbeiter einen Gesamtumsatz von 47 Mrd. Euro. Heute beschäftigt der Konzern, Stand 30. Juni 2017, weltweit 161781 Arbeiter und Angestellte. Unter dem Strich gingen also in fünf Jahren gerade mal 6 000 Stellen oder gut drei Prozent aller Arbeitsplätze verloren. Zum Vergleich: Der Umsatz des Konzerns sank im gleichen Zeitraum um fast 15 Prozent. Radikaler Arbeitsplatzabbau sieht anders aus.
Nun muss man gerechterweise sagen: Die Globalzahlen zeigen nur einen Teil der Wahrheit. Natürlich ist der heutige Konzern nicht mehr mit seinem völlig maroden Vorgänger zu vergleichen. Hiesinger stärkte Wachstumsbereiche wie die hochprofitable Aufzugsparte. Dort arbeiten heute mehr Beschäftigte als noch vor wenigen Jahren. Gleichzeitig beendete der Vorstandschef das Amerika-Abenteuer seines Vorgängers und baute vor allem im Stahlbereich weltweit zahlreiche Stellen ab. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter im Konzern verdeckt also durchaus heftige Personalumschichtungen.
Aber trotzdem wird ein Schuh daraus: Der Umsatz pro Beschäftigten ist in den Hiesinger-Jahren nicht gestiegen. Und der wirklich große Personalabbau bei Thyssenkrupp fand nicht unter ihm statt, sondern bereits früher. 2007/08 hielt der Konzern noch 200 000 Angestellte und Arbeiter in Lohn und Brot. Als Hiesinger den Chefposten übernahm, waren es 30 000 weniger. Sein heute verfemter Vorgänger Ekkehard Schulz baute also deutlich mehr Personal ab als Hiesinger in seiner bisherigen Amtszeit.
Man kennt das auch aus vielen anderen deutschen Konzernen: Jeder neue Chef ändert die Organisation und trennt sich mit einem Paukenschlag von überflüssigen Mitarbeitern. Oder mit vielen Trommelschlägen wie Hiesinger. Nach einiger Zeit aber blähen sich vor allem in den Verwaltungen die Stellenpläne wieder auf. Der Öffentlichkeit aber fällt das gar nicht auf: Man hört nur die Meldungen über Personalabbau, blättert jedoch kaum in den alten Geschäftsberichten.
Vor allem Journalisten und Finanzanalysten verfügen leider über kein ausgeprägtes Langzeitgedächtnis, um es vorsichtig zu sagen.