Pjönjang. In China herrscht derzeit große Zufriedenheit. Die Wirtschaft boomt, die Einkommen steigen, die Börse tendiert aufwärts — alles bestens also. Und wer das anders sieht oder gar Kritik üben will, wird mundtot gemacht. Dieser Tage werden auch die letzten Möglichkeiten, Internetsperren zu umgehen und etwas anderes als Propaganda zu lesen, beseitigt. Selbst WhatsApp funktioniert nicht mehr.
Die Führung des Landes malt sich mit gutem Grund die Welt, wie sie ihr gefällt. Schließlich kommt in zwei Wochen die Kommunistische Partei, wie alle fünf Jahre, zum Parteitag zusammen. Da muss die Fassade makellos scheinen und alles perfekt choreografiert sein. Doch Peking übertüncht dafür auch die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme, die unter der Oberfläche gären. Noch kann die Regierung diese zwar mühelos kleinhalten. Doch die Uhr tickt. Wenn in den kommenden Jahren nichts passiert, wird China spätestens zum nächsten Parteitag 2022 mit dramatischen Schieflagen zu kämpfen haben. Und der Rest der Welt gleich mit.
Die Oberfläche, wie sie die Kommandobrücke in Peking derzeit präsentiert, glänzt vor allem durch verbesserte Wachstumszahlen. Im zweiten Quartal war die Wirtschaft um 6,9 Prozent gegenüber dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahres gewachsen. Das sind zwar nur zwei Zehntelpunkte mehr als im vergangenen Jahr, doch diese Ziffern sind in China ohnehin stets mit Vorsicht zu genießen. Entscheidend ist, dass Chinas Wirtschaft nun wieder brummt, nachdem es Anfang 2016 eine kleine Durststrecke gegeben hatte.
Damals grassierte weltweit eine „China-Angst“, die Furcht vor einer deutlichen wirtschaftlichen Abschwächung des Landes. Dies führte auch an den Börsen zu deutlichen Kursstürzen. Doch Peking reagierte darauf, indem wieder viel Geld in neue Infrastrukturprojekte investiert wurde. Ausführende Organe waren dabei meist staatliche Firmen, die so die Investitionsschwäche bei den privaten Unternehmen ausglichen. Gleichzeitig kurbelte die Regierung den Immobilienmarkt wieder an, indem sie Restriktionen zurücknahm.
Sie tat damit das, was sie schon seit mindestens zehn Jahren immer wieder macht: Sobald die wirtschaftliche Entwicklung schwächelt, springt der Staat ein und belebt die Konjunktur wieder durch entsprechende Programme. „Die Regierung in China hat die finanziellen Mittel, ihren eigenen Konjunkturzyklus zu erschaffen“, sagt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei JP Morgan Asset Management.
„Daher erscheint noch alles gut in China.“
Doch das ist eben nur das Bild an der Oberfläche. Darunter sieht es ganz anders aus. Denn all das Geld, das der Staat in den vergangenen zehn Jahren investiert hat, fiel nicht vom Himmel. Es findet sich vielmehr in den Bilanzen der staatlichen Konzerne in der Spalte mit den Verbindlichkeiten wieder. Die Verschuldung der Firmen ist seit 2008 dramatisch gestiegen, von einst 100 auf inzwischen 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und 70 Prozent dieser Schulden liegen bei den staatlichen Firmen, die heute nur noch für zehn bis 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes stehen.
Diese Kredite finden sich gleichzeitig natürlich auch in den Bilanzen der Banken – sollte man meinen. Doch das trifft nur teilweise zu. „Die Banken haben ähnlich wie zur Zeit des Immobilienbooms in den USA einen Teil der Problemkredite aus ihren Bilanzen verschwinden lassen“, sagt ein Anleihenmanager. „Dazu wandelten sie diese in strukturierte Sparprodukte um und reichten sie an private Anleger sowie institutionelle Investoren weiter.“ Und damit nicht genug. Zwar hat sich das Wachstum bei den Bankkrediten in den vergangenen Monaten verlangsamt. „Die Ausgabe alternativer Finanzierungsinstrumente schoss aber im Gegenzug in die Höhe“, sagt er. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres lag ihr Volumen um die Hälfte über jenem des Vorjahres. „Letztlich hat sich das undurchsichtige Kreditwachstum bislang nur verlagert“, so der Manager.
Gegenwärtig ist all das noch kein Problem. Denn sowohl die Firmen, die in der Kreide stehen, als auch die Banken sind in staatlichem Besitz. „Den wachsenden Berg notleidender Kredite und die drohenden Zahlungsausfälle konnte der Staat so bisher weitgehend vertuschen“, sagt Busch.
Auch Tilmann Galler sieht derzeit noch kein Problem für Chinas Regierung, die Schuldenblase zu managen. Peking habe die Kraft und die Mittel, einerseits die staatlichen Unternehmen und andererseits die halbstaatlichen Banken notfalls zu retten. „Das Problem ist aber, dass die Schuldenlast jedes Jahr größer wird“, sagt er, „und wenn es so weitergeht, wird es in vier bis fünf Jahren schwierig werden, den Schuldenberg zu refinanzieren.“ Für ihn ist daher entscheidend, dass dieser Parteitag das Signal für einen Kurswechsel sendet.
Als essenziell sehen alle China-Experten, dass der Sektor der staatlichen Unternehmen reformiert und privatisiert wird. Denn diese Firmen sind nicht nur hoch verschuldet, sie sind auch extrem ineffizient. „Im Schnitt schafften sie 2016 eine Kapitalrendite von dürftigen 2,9 Prozent, verglichen mit 10,2 Prozent in der Privatwirtschaft“, schreiben die Analysten von Metzler Asset Management in einer aktuellen Studie dazu. Der Internationale Währungsfonds IWF hat errechnet, dass eine umfassende Privatisierung Chinas Wirtschaftsleistung innerhalb eines Jahrzehnts um zehn Prozent oder eine Billion US-Dollar steigern könnte.
Doch die Tendenz geht derzeit eher in die andere Richtung. An der Hongkonger Börse verschreckten in den vergangenen Monaten diverse chinesische Konzerne ihre Anleger, weil sie ihre Unternehmensstatuten überarbeiteten. Darin wurden die Einflussmöglichkeiten der Kommunistischen Partei zusätzlich gestärkt. Der Ölriese Sinpoec, die Großbank ICBC, der Eisenbahnkonzern China Railways Group und viele andere Firmen betonen in den Statuten nun ausdrücklich, dass es die zentrale Rolle der Partei sei, die Richtung des Unternehmens zu weisen. Das war auch eine Reaktion auf Präsident Xi Jinping, der im Herbst vergangenen Jahres gesagt hatte: „Die Führung von Staatskonzernen durch die Partei ist ein grundlegendes politisches Prinzip, und auf dieses Prinzip müssen wir bestehen.“ Aber auch private Unternehmen bekamen in den vergangenen Monaten die Macht der Partei zu spüren. Einige Konzerne, die in den vergangenen Jahren auf Einkaufstour im Ausland waren und viele andere Firmen übernommen hatten, wurden zurückgepfiffen. Dem Versicherer Anbang, der das New Yorker „Waldorf Astoria“-Hotel für fast zwei Milliarden Dollar übernommen hatte, wurde beispielsweise befohlen, das Hotel wieder zu verkaufen.
Dass die Führung in den kommenden Jahren einen erneuten Kurswechsel vollzieht, den staatlichen Sektor privatisiert und den Finanzsektor liberalisiert, ist daher eher unwahrscheinlich. Schließlich würde sie sich damit auch der Möglichkeit berauben, die Hebel bei Investitionen und Kreditvergabe nach Belieben umzulegen und so die Wirtschaft weiterhin in ihrem Sinne zu steuern.
Der Preis für die staatliche Lenkung jedoch ist hoch, und er steigt, je länger der nötige Kurswechsel auf sich warten lässt. Je größer der Schuldenberg wird, umso schwieriger werde es, dieser Last Herr zu werden, glaubt Andreas Busch. „Dass dieser Prozess reibungslos abläuft und die Luft geordnet aus der Blase entweicht, ist möglich – allerdings wäre das weltweit das erste Mal.“
Viel wahrscheinlicher sei, dass die Lage eines Tages eskaliere. Was der Auslöser sein werde, sei – wie bei allen Finanzkrisen – kaum vorherzusagen. „Wahrscheinlich wird es früher oder später zu Regulierungs- bzw. Liberalisierungsfehlern kommen, die einen Dominoeffekt nach sich ziehen“, vermutet er. Entweder würden viele staatliche Unternehmen dann in Konkurs gehen und das Wirtschaftswachstum schlagartig kollabieren, oder die Regierung werde die Firmen über lange Zeit künstlich am Leben halten, was den Absturz abmildere, dafür aber ein jahrelanges Siechtum bewirke. Nur in einem Punkt ist sich Busch recht sicher: „Eines Tages wird China die Zeche aus dem Schuldenboom der vergangenen Jahre zahlen müssen.“