Zürich. Das DS-600 ist kein Sofa, es ist ein Mythos. Es wird seit 45 Jahren hergestellt und Will Smith, Tina Turner sowie Mick Jagger haben eines. Letzterer, sogar „ungefähr 20″, sagt zumindest Monika Walser, Chefin des Herstellers De Sede. Sicher ist, dass man das Sofa nur dort findet, wo die Menschen andere Sorgen haben als jene ums Geld. Das ins Unendliche verlängerbare Sitzmöbel kostet mindestens 900 Euro — pro 24 Zentimeter.
Doch wer denkt, Luxus, noch dazu hergestellt in der Schweiz, sei ein Selbstläufer, der irrt. Das zeigt die jüngste Geschichte des Unternehmens De Sede aus der Gemeinde Klingnau, im Schweizer Kanton Aargau, nahe der Grenze zu Deutschland. Im Jahr 2014, ging es der Firma so schlecht, dass die gerade neu eingestellte Chefin Monika Walser nicht wusste, wie sie die Lieferanten, geschweige denn die Angestellten bezahlen sollte. Ihren ersten Tag als Geschäftsführerin beschreibt sie so: „Ich hatte mir vorgenommen, erst einmal einen Monat lang zuzuhören und zu lernen, die Möbelbranche war ja neu für mich. Aber schon nach zwei Stunden habe ich gemerkt, dass ich sofort eingreifen sollte, wenn es die Firma auch morgen noch geben soll.“
Heute, drei Jahre später, gibt es De Sede noch. Monika Walser, mit zehn Prozent an der Firma beteiligt, hat also ein paar Dinge richtig gemacht. 11000 Sofas, Sessel, Stühle und Tische stellen die 110 Angestellten jährlich her, und zwar nur auf Bestellung. 70 Prozent der Möbel werden ins Ausland geliefert, in mehr als 40 Länder. Wenn Walser durch die Firma führt, dann fällt sofort eines auf: dass in der Produktionshalle keine großen Maschinen stehen. Stattdessen wird von Hand gefertigt. Die Polsterer tackern das Leder Klammer für Klammer ins Holz, sie nähen mit Nadel, Faden und schlichtem Fingerschutz. Das hat seinen Preis, doch wenn schon Luxus, dann richtig, das war immer die Devise. Vor Turbulenzen hat sie das Unternehmen jedoch nicht bewahrt.
De Sede hat schwere Zeiten hinter sich. Ursache war die Finanzkrise, die sich zu einer Weltwirtschaftskrise auswuchs. Erschwerend kam hinzu, dass die vorherigen Eigner der Firma bei der Führung nicht immer eine glückliche Hand hatten, um es milde auszudrücken.
Als eine Investorengruppe im Frühjahr 2014 Monika Walser auf den Chefposten des schlingernden Unternehmens holte, hatte De Sede eine Reihe von Eigentümerwechseln hinter sich. Hans-Peter Fässler, der die Firma 1993 durch einen Management-Buyout gekauft hatte, machte die Marke groß. Er formuliert es so: „Wir wollten die schönsten, besten und tollsten Möbel der Welt bauen.“ Als er verkaufte, war De Sede sehr erfolgreich.
Neue Eigentümerin wurde die Schweizer Private-Equity-Firma Capvis. Es wird berichtet, die neuen Inhaber hätten verloren auf Möbelmessen herumgestanden und die Firma auf Excel-Tabellen geführt, statt die Marke und Kontakte zu pflegen. „Du hattest plötzlich Leute drin, die keinen Plan hatten von der Branche“, sagt Monika Walser. „Ich habe die Möbelbranche ja auch nicht gekannt, aber ich habe wenigstens das Handwerk verstanden.“
Bei Capvis will man sich dazu nicht äußern. Auch nicht über den Verlust, den man erlitten hat — Walser nennt einen Betrag von elf Millionen Franken (zehn Millionen Euro). Das Hauptproblem sieht man bei Capvis in der direkt nach dem Kauf ausgebrochenen Finanzkrise. Innerhalb von 18 Monaten seien die Aufträge um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen. Man habe nicht mehr in Produktentwicklung investieren können und sparen müssen.
Und zwar so: Die Finanzinvestoren verlagerten die Lederbearbeitung nach Deutschland, weil das billiger war — was Monika Walser wieder rückgängig machte. Bei einem deutschen Möbelunternehmen, das damals zu De Sede gehörte, seien bis zu 40 Prozent Verschnitt angefallen. Die Angestellten in Deutschland hätten die Modelle nicht gut genug gekannt, um das Leder maximal auszunutzen, sagt sie. Bei Rindshäuten, die bis zu 1500 Franken (1300 Euro) das Stück kosten, summiert sich das schnell. Um das Leder wieder in der Schweiz zu verarbeiten, brauchte Walser eme neue Zuschneidemaschine. Kostenpunkt: eine halbe Million Franken (430 000 Euro). „Und das müssen Sie erst einmal jemandem erklären, wenn es der Firma gerade miserabel geht.“ Aber Sparen allein hilft eben auch nicht weiter.
Sonst machte sich Walser eher einen Namen als harte Saniererin. Die neue Chefin strich gleich zu Beginn „alles, was nicht unbedingt, unbedingt sein musste“. Konkret: Sie schaffte firmeneigene Fahrzeuge ab, stoppte den Druck von Hochglanzprospekten, kürzte die Sponsoring-Gelder radikal, machte weniger Werbung. Zu Geschäftsleitungstreffen wurden fortan Fertigsalat und Sandwiches bestellt. Walser verzichtet bis heute auf eine Assistentin, dafür spannt sie die Empfangsdame am Hauptsitz ein. Auch so lässt sich sparen.
Walser ist Damenschneiderin und hat einen Master in Kommunikation, sie baute einst ein Label für Kinder-Trachtenkleidung auf, durchlief dann als PR-Verantwortliche die Strom- und die Telekommunikationsbranche und war zuletzt Chefin von Freitag, jenem Schweizer Hersteller, der aus Lkw-Planen Taschen fertigt. Dort trieb sie die Expansion nach Asien voran und orientierte das Unternehmen mehr in Richtung Luxus.
Wer so viele Stationen hinter sich hat, der hat gelernt zu pokern. Und das tat sie. Gegen Ende ihres ersten Jahres als Chefin realisierte sie, dass sie die 13. Monatsgehälter nicht würde bezahlen können. Also buchte sie ein Flugticket und gaukelte einem chinesischen Kunden mit Abnahmeverpflichtung vor, er müsste dieses Jahr noch bestellen und anzahlen und nicht erst nach der Messe im Januar. Andernfalls gäbe es keine Exklusivität mehr. Die Chinesen stimmten zu. Sie erfuhren erst im Nachhinein, dass De Sede kurz vor der Pleite stand. Gleichzeitig verhandelte Walser mit den Lieferanten einen Zahlungsaufschub. Damit Überstand das Unternehmen das Jahr 2014.
Doch als sie gerade geglaubt hatte, dass sie etwas Luft zum Atmen hatte, kam schon der nächste Schock. Am 15. Januar 2015 hob die Schweizer Nationalbank den Mindestkurs zum Euro auf. Binnen Minuten wertete sich der Franken zum Euro um fast 30 Prozent auf. Für ein exportorientiertes Unternehmen, das mit teurer Handarbeit hochwertige Produkte herstellt, eine kleine Katastrophe. Für De Sede blieben in jenem Jahr nur minimale Margen. Inzwischen hat Walser alles neu berechnet. Sie hat die Preise weltweit vereinheitlicht. Zuvor hatten Schweizer Kunden verhältnismäßig mehr zahlen müssen — wegen der höheren Kaufkraft. „Das habe ich nie verstanden“, sagt sie. Jetzt zahlen alle den gleichen Preis, die Schweizer also weniger, die Kunden im Ausland mehr.
Was Monika Walser auch nicht verstanden hat: die Gehälter der Geschäftsleitung. Sie erschienen ihr deutlich zu hoch. Also halbierte sie die Löhne — auch ihren eigenen. Dann strich sie Leitungsstellen — oder wie sie es sagt: „Wir mussten einfach den Wasserkopf eliminieren.“ Manchen Managern hat sie nahegelegt, dass es für sie bessere Wirkungsorte gebe. „Das waren nicht nur schöne Gespräche. Es hat auch Tränen gegeben.“ Andere hätten selbst gekündigt, weil ihnen der Führungsstil der neuen Chefin nicht gefallen habe. Sie findet das okay. Walser als Chefin zu haben heißt auch: Man muss Klartext ertragen.
Für eine Luxusmarke gilt: Man mache sich rar
Kommunikation ist das eine, was eine Führungspersönlichkeit können muss. Die richtigen Leute auf die wichtigen Posten setzen, das andere. Auf der Suche nach einem neuen ProduktionsChef fiel ihre Wahl auf den langjährigen Produktionsangestellten Arben Mehmedi. „Als sie mich gefragt hat, wie es richtig funktiomeren würde und wir gemeinsam die Probleme eruiert haben, habe ich gemerkt, dass sie mehr mit mir vor hat“, erzählt er. Monika Walser sagt dazu: „Es ist sehr offensichtlich gewesen, wer wirklich alles kennt in dieser Produktion.“ Das hat sich ausgezahlt. Die Lederverarbeitung in die Schweiz rechnet sich, das kann sie inzwischen beweisen. Neun neue Stellen wurden in dieser Abteilung geschaffen, zwei weitere in der Logistik.
Es hilft, dass sich die Konjunktur weltweit erholt hat und die Nachfrage nach Luxusgütern wieder gestiegen ist. Laut des Luxury Business Reports 2016 des Inlux-lnstituts und der Beratungsgesellschaft EY heizen vor allem junge US-Amerikaner und Neureiche aus den asiatischen Schwellenländern die Nachfrage an. Luxusmöbel verzeichnen eine Steigerung von vier Prozent.
Wer begehrt werden möchte, muss sich rar machen, glaubt Monika Walser. Sie will daher nicht mehr mit großen Möbelhäusern zusammenarbeiten, um wieder in deutlich kleineren Luxusmöbelgeschäften präsent zu sein. In Zahlen: Sie hat ein Unternehmen mit 20 mehrstöckigen Filialen in der ganzen Schweiz gegen ein kleines Geschäft mit drei Filialen im Raum Zürich eingetauscht. Sie sagt: „Es wertet eine Marke auch ab, wenn sie nicht richtig verkauft wird.“
Neue Zielgruppen: Dem Opa muss es nicht gefallen
Doch die edelsten Geschäfte helfen wenig, wenn das Sortiment verstaubt ist. Ulrich Kössl soll es jetzt aufhübschen, er ist der Kreativ-Chef bei De Sede und aus seiner Sicht bei einem besonderen Unternehmen angekommen. „Das erfüllt mich einfach nur mit Stolz“, sagt er beim Gespräch an seinem zweiten Arbeitstag.
Monika Walser kennt Ulrich Kössl von früher. Sie saß mit ihm im Verwaltungsrat des Küchenzubehör-Herstellers Kuhn Rikon und hat ihn geholt, um die Marke zu verjüngen. Sie sagt: „Ich kann es nicht. Und die Leute, die schon länger dabei sind, brauchen neue Impulse.“ Zu Beginn hatte sie fünf Produkte aus dem Sortiment genommen, die sie für „ganz und gar nicht rentabel und outdated“ hielt. Parallel dazu trieb sie ihre Designer zu Neuentwicklungen. Im Durchschnitt vier pro Jahr.
Kössl spricht von einer komplett veränderten Kundschaft: „Vor 30, 40 Jahren waren Leute, die sich De-Sede-Möbel leisten konnten, Anzugträger. Mittlerweile hat sich die Bevölkerung total verändert. Du läufst mit zerrissenen Jeans herum, oder du führst ein Start-up und bist 23. Und denen wollen wir imponieren, indem wir Oma- und Opa-Sofas machen?“ Die Möbel sollen frecher werden, findet er.
„Weil De Sede eine gute Marke ist, leben wir überhaupt noch“, sagt Monika Walser. Heute schreibe das Unternehmen „knapp schwarze Zahlen“. Mehr erfährt man nicht. Wenn es um Geschäftszahlen geht, spricht sie plötzlich nicht mehr Klartext. Während des Gesprächs ruft sie ihren Investor an. Ob sie nicht doch wenigstens den Umsatz nennen dürfe? Am anderen Ende der Leitung heißt es: nein. Grund: Gruppenrichtlinien. Manchmal muss sich auch eine Monika Walser fügen.