Kronach. Rohstoffpreise, Euro und Zinsen sind künstlich niedrig, die Exportüberschüsse hoch, Wettbewerb kann so schön sein, wenn man gedopt ist. Doch grad wenn’s am schönsten ist, sollten wir unruhig werden, damit wir uns nicht in einer Wohlfühlblase verlieren. Eine Zukunft eingeklemmt zwischen dem „Digital House“ USA und dem Maschinenraum China kann sehr ungemütlich werden.
Vor allem dürfen wir uns nicht selbst bremsen — so wie mit der viel zu strengen, normierenden Debatte über die sogenannte Work-Life-Balance, die aus der vordigitalen Zeit stammt und sich derzeit wie eine zähe Soße lähmend über Gesellschaft und Unternehmen ergießt. Schon der Begriff Work-Life-Balance führt in die Irre, da er unterstellt, Arbeit sei kein Leben.
WIR HABEN SO VIELE JOBS WIE NIE, aber nirgends wird im Schnitt auch so wenig gearbeitet. Eine Bremse für neues Wachstum. Ich gehe einen Schritt weiter: Es darf individuell ruhig mal weniger gearbeitet werden, aber es muss möglich sein ranzuklotzen, wenn es nötig ist oder von Unternehmen und – Achtung! — Mitarbeitern gewünscht wird. Wir sollten uns hüten vor dem Geist, den die Idee der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig atmete: vollzeitnahe Beschäftigung, Familienarbeitszeit, in der Eltern beide 32 Stunden arbeiten (müssen) und dafür einen finanziellen Ausgleich vom Staat bekommen.
Warum überlassen wir das nicht den betrieblichen Sozialpartnern, die sich genauso wenig über einen Kamm scheren lassen wollen wie Eltern? Warum berauben wir uns unserer Agilität? Nur unverbesserliche Menschenverbesserer rufen nach einem Lebens- und Arbeitskonzept aus der Einheitssoße.
Die Politik ist ohnehin viel zu übergriffig. Aber selbst Großkonzerne neigen heute dazu, etwa Homeoffice als Option für viele auszugießen. Damit vermasseln sie nicht nur ihre Produktivität, sondern auch ihr sinnstiftendes Gemeinschaftsgefühl. Yahoo hat das bitter erlebt.
Während die Mehrheit der Belegschaft in der Kultur der Balance schwebt, muten viele Unternehmen ihren Topleistern immer mehr zu. Statt einer ideologischen Normierung von Lebensmodellen brauchen wir für die Arbeit individuelle Lösungen, die sich an der jeweiligen Lebenssituation orientieren. Der schwäbische Maschinenbauer Trumpf zum Beispiel praktiziert das so.
Es ist falsch, stets vom stressgeplagten Menschen auszugehen. Es gibt viele, denen der Job viel bedeutet und die sich nicht vom Gesetzgeber bremsen lassen möchten. Die vom Arbeitsministerium initiierte „Wertewelten“-Studie hat eine deutliche Zweiteilung in Schutz suchende und Freiheit fordernde Menschen ergeben ob zur Freude der Auftraggeber, sei dahingestellt.
In den 80ern bei Daimler, die IG Metall hatte gerade die Stechuhr durchgesetzt, bin ich mit Kollegen nach dem Ausstempeln oft johlend zurück ins Büro, weil unsere Arbeit sinnvoll war und Spaß machte. Auch Gründer, tüftelnde Mittelständler und deren Mitarbeiter sind mit strikten Zeitregimes nicht zu packen. Genauso wenig wie die Entwickler damals bei Conti in Markdorf am Bodensee: Deren Kreativität ließ sich nicht auf DIN A4 abbilden. Mittags wollten sie schon mal zum Segeln, aber nach dem Abendessen saßen sie wieder lange am PC.
ICH VERTRETE KEIN PHILOSOPHISCHES KONZEPT, sondern werbe für die Freiheit individueller Lösungen je nach Lebensphase der Beteiligten und Anforderungen der Firma. Wir dürfen uns von den Ideologen nicht in ihre Lebensentwürfe zwängen lassen. Sonst wachen wir eines Morgens auf und unsere Volkswirtschaft hält Siesta.
Intrinsische Motivation ist ein hoher Wert. Wir müssen ihr Freiraum geben, um die nächste Phase gesellschaftlicher Entwicklung zu ermöglichen, um Deutschlands Spitzenposition zu sichern. Der blinde Glauben an Regulierung ist Unfug. Der Staat hat noch niemandem zu persönlichem Glück verholfen. 95 Prozent dieses Glücks werden von der Arbeitswelt bestimmt, hat der US-Nobelpreisträger Edmund Phelps herausgefunden.
Leben und arbeiten lassen, darum geht es. Wer Arbeit nicht als etwas Sinnstiftendes begreift, versteht auch nicht, was eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft ausmacht. Auf der UnterhaltungselektronikMesse IFA in Berlin Anfang September sind die Rollen klar verteilt. Südkoreas Samsung-Konzern hat in der Hauptstadt die gigantische Baustelle für die Wiedererrichtung des Stadtschlosses großflächig mit Werbeplakaten zugehängt. Wenn es noch eines Zeichens bedurft hätte, wer den Markt beherrscht: Mark Hüsges, Miteigner des fränkischen TV-Herstellers Loewe freilich hält dagegen. Loewe plakatiert zur IFA vis-a-vis die Schinkelsche Bauakademie zu. Die Botschaft: Es gibt uns noch. Oder besser: wieder.
Als Hüsges 2014 mit seinem Partner Boris Levin Loewe aus der Insolvenz herauskaufte, gehörte dazu viel Mut. Die Marke war heruntergewirtschaftet, der Fachhandel frustriert. Panel-Zulieferer Samsung hatte die Lieferungen eingestellt, sodass Loewe zeitweise gar keine Fernseher mehr fertigen konnte.
Hüsges, groß, schmal geschnittenes Hemd, Jeans, Slipper, dunkelblonder Hipsterbart, steckte zehn Millionen Euro privates Geld in das Unternehmen, über die Beteiligungsgesellschaft Stargate Capital, die er gemeinsam mit Levin führt. Mehr lesen.
Und er machte sich selbst zum Geschäftsführer, tauschte weite Teile des Managements aus und brachte die Lieferketten wieder zum Laufen. Zugleich investierte er in Software und Design, um sich abzuheben vom Allerweltsangebot der anderen. Sein Ideal: das Beste aus den zwei Welten Manufaktur und Masse.
Inzwischen behauptet sich die Traditionsfirma immer besser. Der Umsatz, der in der Krise weit unter die 100-Millionen-Euro-Schwelle gerutscht war, wird 2017 voraussichtlich 190 Millionen Euro erreichen — ein Plus von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Belegschaft wächst wieder, auf 570 Beschäftigte.
Die neuen Geräte kommen an, vor allem die Fernseher mit Bildschirmen aus organischen Leuchtdioden (OLED), die Loewe vor einem Jahr als einer der Ersten herausbrachte. Die Panels sind mit 4,9 Millimetern dünner als ein iPhone und besonders kontraststark. Dafür ging Hüsges 2015 eine Partnerschaft mit LG aus Korea ein, genau gesagt: mit LG Display, einer Schwester des Rivalen LG Electronics. Die Panels werden speziell für Loewe in Fernost gefertigt. Durch eine selbst entwickelte Software und Steuerungselektronik erziele sein Haus eine der besten Bildqualitäten, behauptet Hüsges. Einfachere Panels für die günstigeren Geräte kauft er bei Hisense aus China oder bei Samsung.
Entwickelt und produziert werden die Fernseher nach wie vor in Deutschland; selbst die Leiterplatten werden in Kronach bestückt. Wobei die Softwareentwickler über die ganze Republik verteilt sind, auf München, Darmstadt und Hannover. Der neue Chefdesigner Bodo Sperlein arbeitet von London aus.
Bot Loewe seine Geräte früher teils doppelt so teuer an wie die Konkurrenz, ist der günstigste OLED-Fernseher mit 2990 Euro etwa 500 Euro teurer als vergleichbare Geräte. Loewe sei „preislich absolut wettbewerbsfähig“, sagt Hüsges. Die immer schnelleren Preissenkungsrunden der Koreaner und Japaner macht er allerdings nicht mit, er könnte es auch gar nicht. Den Händlern gefällt das, wie die neuerdings große Liefertreue. Zudem bieten die Franken einige Premiumgags an. Die Geräte sind nicht nur mit guten Lautsprechern ausgestattet, diese verschwinden beim Ausschalten auch hinter dem Bildschirm.
Zweifel, dass Loewe ein Comeback schaffen könnte, habe er nie gehabt, sagt Hüsges. „Ich war immer davon überzeugt. “ Als junger Credit-Suisse-Banker hatte er Loewe 1999 im Team von Stephan Sturm (heute Fresenius-CEO) noch an die Börse gebracht. Später stieg er ins Private-Equity-Geschäft ein und gründete mit Levin Stargate. Nacheinander übernahmen die beiden drei Krisenfirmen, sanierten sie und verkauften sie weiter, darunter den Autoprüfgerätehersteller Beissbarth (an Bosch).
Ein so hohes Risiko wie bei Loewe gingen die beiden indes nie ein. Der Wiederaufbau kostete viel Geld – das und eine rasante Abschwächung des Euro um ein Fünftel zehrte in den Anfangsmonaten die dünne Eigenkapitaldecke fast komplett auf. 2015 zahlte Hüsges die Banken aus und nahm dafür ein fünfjähriges Darlehen des von Beraterlegende Roland Berger mitgegründeten Finanziers RiverRock über 25,5 Millionen Euro auf. Nur ein Teil der Zinsen — Riverrock nimmt bis zu 20 Prozent — wird laufend bezahlt. Der Rest wird mit der Schuld am Ende der Laufzeit beglichen. 2016 schoss Stargate mehrere Millionen Euro nach, um bei Neuentwicklungen keine Zeit zu verlieren. Das Geld ist und bleibt knapp. Dass Loewe 2017 unter dem Strich Gewinn erzielt, scheint fast ein Muss. „Ich bin nicht in der Lage, permanent Geld in die Firma zu stecken“, sagt der Vater zweier Kinder. Seit 2016 sei Loewe vor Zinsen und Steuern wieder profitabel.
Hüsges denkt nicht daran, wieder zu verkaufen. „Ich habe mit Loewe noch sehr viel vor.“ Mittelfristig will er aber nicht ausschließen, die Minderheit an einen Partner abzugeben, um schneller wachsen zu können. „Da bleibe ich pragmatisch.“